Mathematik trifft Immunabwehr: Warum eine Grippe mitunter tödlich verläuft

Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae besiedeln eine Endothelzelle. © HZI/M. Rohde

Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae besiedeln eine Endothelzelle. © HZI/M. Rohde

Liegt bereits eine Infektion mit dem Grippevirus vor, so ist unser Körper für andere Krankheitserreger besonders anfällig. Dann haben Bakterien wie Streptococcus pneumoniae, die Lungenentzündung auslösen, mit dem Immunsystem ein leichtes Spiel und können sich massiv ausbreiten. Das kann mitunter sogar zum Tod führen. Bisher wusste man nicht, warum dies der Fall ist. Nun haben Forscher entdeckt, dass solche Doppelinfektionen mit der Überproduktion eines bestimmten Botenstoffes einher gehen. Das scheint die Vermehrung der Bakterien zu begünstigen.

Allein in Deutschland sterben jährlich bis zu 20.000 Menschen an den Folgen einer Grippe. Dabei ruft das Grippevirus selbst meist gar keine gravierenden Komplikationen hervor. Gefährlich wird es erst, wenn eine bakterielle Zweitinfektion hinzu kommt. Sie geht oft auf das Bakterium Streptococcus pneumoniae zurück, das die von der Grippeinfektion geschwächten Patienten infiziert. Es kann schwere Lungenentzündungen auslösen. Eine solche Infektion verläuft in Kombination mit einer Grippe oft besonders schwer und kann dann sogar lebensbedrohlich werden. Bisher war nicht klar, warum das der Fall ist.

Um diesem Rätsel auf den Grund zu gehen bildeten Forscher um Dunja Bruder und Esteban A. Hernandez-Vargas vom Helmholtz Zentrum für Infektionsfoschung ein Team. Sie planten ihre Laborversuche mit Mäusen, die gleichzeitig mit dem Grippevirus und Streptococcus pneumoniae infiziert waren so, dass sie in idealer Weise dazu geeignet waren die Infektionsprozesse mit einem Computermodell zu simulieren.

Wie die Forscher beobachteten, bricht bereits 18 Stunden nach der Infektion grippekranker Mäuse mit den Bakterien die Zahl der Makrophagen massiv ein. Eine fatale Situation, sollten doch diese Immunzellen die Krankheitserreger beseitigen. Unter den optimalen Bedingungen einer geschwächten Immunabwehr vermehrten sich die Bakterien rapide.

Die Systembiologen beschrieben die beobachtete Zunahme der Pneumokokken und die gleichzeitige Abnahme der Immunzellen mit mathematischen Funktionen und stellten dabei fest, dass beide Entwicklungen nicht genau zueinander passten. Damit sich die Bakterien so stark vermehren konnten musste mindestens noch ein weiterer Faktor im Spiel sein.

Deshalb untersuchten die Forscher noch einmal genauer im Labor, welche Botenstoffe, in welcher Menge zur Abwehr der bakteriellen Infektion auftraten. Auch bei der Untersuchung dieser Moleküle berücksichtigen die Forscher genau, welche Zeitpunkte der Probennahme für eine mathematische Simulation am besten geeignet waren. Bereits bei ihren Messung fiel den Forschern auf, dass der Körper bei einer Doppelinfaktion wesentlich mehr Botenstoffe bildet, als bei einer rein bakteriellen Infektion. Das Computermodell ergab dann die beste Übereinstimmung mit dem  Botenstoff Interferon gamma. Aber auch Interleukin 6 könnte an der fatalen Entwicklung beteiligt sein. Beide Moleküle spielen eine wichtige Rolle bei der  Infektionsabwehr.

Durch die Grippeinfektion wird bereits viel Interferon gamma gebildet. Die Zweitinfektion mit Pneumokokken lässt diesen Wert dann noch weiter ansteigen. Den Forschern zufolge können die Makrophagen vermutlich wegen dieser Überreaktion des Immunsystems die Bakterien nicht mehr effektiv beseitigen. Denn deren „Fressfunktion“ wird durch zu viel Interferon gamma beeinträchtigt. Und die Computersimulation bestätigt dieses Bild: Ohne Interferon gamma vermehren sich die Bakterien nicht so rasant.

Als nächstes wollen die Forscher die Ergebnisse der Simulation im Labor überprüfen. Sollten sich ihre Vermutung bestätigen, so hätten sie mit dem mathematischen Modell ein Werkzeug an der Hand, mit dem sie vorhersagen können, welche Rolle bestimmte Botenstoffe in Infektionsprozessen haben. Mit dem Vorteil, dass sie damit ihre Laborexperimente deutlich besser planen können, sich Tierversuche damit reduzieren ließen und sie langfristig eine Therapie für Doppelinfektionen entwickeln könnten.

Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, 22. November 2016

Originalpublikation:

S. Duvigneau1, N. Sharma-Chawla1, A. Boianelli, S. Stegemann-Koniszewski, V. K. Nguyen, D. Bruder2, and E. A. Hernandez-Vargas2: Hierarchical effects of pro-inflammatory cytokines on the post-influenza susceptibility to pneumococcal coinfection. Scientific Reports 6 (2016), doi: 10.1038/srep37045

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