Sie ist eine der gefürchtetsten Komplikationen bei Operationen und auf der Intensivstation: die Sepsis, umgangssprachlich auch Blutvergiftung genannt. Bei einer Verletzung oder Infektion reagiert das Immunsystem mit einer überschießenden Reaktion, in deren Folge es zu Mulitorganversagen bis hin zum Tod kommen kann. Einem internationalen Wissenschaftlerteam ist es nun gelungen den körpereigenen Botenstoff Interleukin-3 (IL-3) als Auslöser für die ausufernde Immunreaktion zu identifizieren. IL-3 spielt auch bei allergischen Reaktionen eine wesentliche Rolle. Die neuen Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer, effektiverer Medikamente gegen die gefürchtete Krankheit genutzt werden.
Täglich sterben in Deutschland mehr als 140 Menschen an Sepsis. Bisher gibt es zu ihrer Bekämpfung nur wenige Medikamente, die ihre Wirkung nicht selten verfehlen. Denn die komplexen molekularen Prozesse, die der überschießenden Immunreaktion zugrunde liegen sind noch weitgehend unverstanden. Einem internationalen Forscherteam ist es nun gelungen einen Schlüsselmechanismus zu identifizieren, der die überschießende Immunreaktion vermutlich in Gang setzt. Wie die Forscher unter der Leitung von Wissenschaftlern der Harvard Medical School, USA, und dem Universitätsklinikum Dresden in Zusammenarbeit mit Sepsis-Experten des Universitätsklinikums Heidelberg heraus fanden liefert der körpereigene Botenstoff Interleukin-3 (IL-3) ein entscheidendes Signal zur Ausweitung der Entzündung. Darüber hinaus entschlüsselten sie auch den an der Reaktion beteiligten Signalweg.
Die bisher kaum zu unterbindende Entzündungsreaktion stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen der modernen Intensivmedizin dar. Deutschlandweit erkranken jedes Jahr etwa 180.000 Patienten an einer Sepsis. Weltweit ist die Krankheit für mehrere Million Todesfälle verantwortlich. Bei der schwersten Verlaufsform, dem septischen Schock, sterben trotz moderner intensivmedizinischer Versorgung 40 bis 60 Prozent der Betroffenen. Bei weniger dramatisch verlaufenden Entzündungsreaktionen sehen die Überlebenschancen etwas besser aus. Insgesamt überlebt rund ein Drittel der Patienten die außer Kontrolle geratene Immunreaktion nicht. Für diese verheerende Bilanz gibt es verschiedene Gründe: Zum einen ist die Frühdiagnose oft mangelhaft. Der steigenden Zahl multiresistenter Infektionserreger steht zum anderen eine stetig abnehmende Zahl wirksamer Antibiotika gegenüber. Darüber hinaus sind die Mechanismen, die der überschießenden Immunreaktion zugrunde liegenden, kaum erforscht, was wiederum die Entwicklung wirksamer Medikamente erschwert.
„Entfesselte“ Immunzellen greifen körpereigene Gewebe und Organe an
Auslöser einer Sepsis ist eine Infektion oder Verletzung. Anders als bei einer normalen Immunreaktion gerät die so wichtige Abwehrreaktion des Körpers bei einer Sepsis jedoch auf fatale Weise außer Kontrolle: Bei ihr werden große Mengen an Zytokinen, Botenstoffen des Immunsystems, produziert, die Immunzellen an den Infektionsherd oder an die Stelle der Wunde locken. Was eigentlich ein ganz normaler Abwehrmechanismus des Immunsystems ist, gerät dann jedoch durch ein Überschießen der Reaktion außer Kontrolle. Die sich dort ansammelnden Zellen schütten ihrerseits wiederum Zytokine aus. Dieser sogenannte „Zytokinsturm“ lockt noch mehr Immunzellen an. So entsteht ein sich ständig verstärkender Teufelskreis. In der Folge wird der Körper geradezu von Zytokinen überflutet. Statt die bakteriellen Eindringlinge zu bekämpfen greifen die „entfesselten“ Immunzellen die eigenen Gewebe und Organe an, was bis zum Organversagen und Tod gehen kann.
Eine Sepsis tritt typischerweise bei schwer erkrankten Patienten auf, die etwa an einer Lungenentzündung oder größeren, mit Bakterien infizierten Verletzungen leiden. Aber auch nach großen Operationen kann es zu einer Sepsis kommen. Besonders gefährdet sind schwerkranke Patienten auf Intensivstationen und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, deren körpereigene Abwehr eine Infektion nur langsam abwehren kann. So können sich die Erreger relativ ungehindert vom Krankheitsherd aus über den ganzen Körper verbreiten. Kommt das Immunsystem dann doch irgendwann in Gang, so entwickelt es oft, wegen der im Körper schon weit verbreiteten Erreger, eine überschießende Reaktion. Dann treten plötzlich im ganzen Körper heftige Entzündungsreaktionen auf: Der ganze Körper und die inneren Organe schwellen an. Der Kreislauf bricht zusammen und der Organismus entwickelt einen lebensbedrohlichen Schockzustand. Die Blutgerinnung wird übermäßig aktiviert, was die Adern verstopfen lässt. In der Folge versagen lebenswichtige Organe wie Nieren, Leber, Lunge und Herz.
Untersuchungen am Mausmodell: Welche Rolle spielt IL-3 bei der Sepsis?
IL-3 fördert die Bildung und Vermehrung verschiedener weißer Blutkörperchen, darunter auch solchen wie, Monozyten und Neutrophilen. Diese Zellen bilden die Botenstoffe des Immunsystems, die für den Zytokinsturm verantwortlich sind. Deshalb beschlossen Swirski von der Harvard Medical School und sein Team herauszufinden, welche Bedeutung IL-3 für die Entwicklung einer Sepsis hat.
Für ihre Experimente wählten die Forscher ein Mausmodell. Dabei beobachteten sie folgendes: Mäuse, die aufgrund einer genetischen Manupulation kein IL-3 besaßen, bildeten unter Sepsis-auslösenden Bedingungen keine für die überschießende Immunreaktion verantwortlichen Zellen und Zytokine und waren so vor dem Ausbruch der Krankheit geschützt. Sobald man diesen Mäusen jedoch künstliche IL-3 zuführte wurden sie wieder für Sepsis anfällig. Entsprechend bildeten normale Mäuse, bei denen die Bindung von IL-3 an seinen Rezeptor auf den Immunzellen blockiert wurde, weniger Sepsis-auslösende Zytokine. Die Überlebenschancen der Mäuse verbesserten sich dadurch um etwa 88 Prozent.
Als nächstes suchten die Forscher nach der Quelle des IL-3. Dabei stießen sie auf einen Zelltyp, der ihnen bereits aus früheren Experimenten zur Sepsis bekannt war: den sogenannten Innate Response Activator (IRA) B-Zellen. Sie sitzen in Milz, Thymus und Lymphknoten und geben dort große Mengen des Botenstoffes IL-3 ins Blut ab. Das veranlasst andere Zellen des Immunsystems dazu sich zu vermehren und ihrerseits Zytokine auszuschütten. Durch diesen Verstärkermechanismus kommt es zu dem berüchtigten Zytokinsturm.
Empfindliche Balance des Immunsystems
Aber die Rolle der IRA B-Zellen scheint ambivalent zu sein: Denn bei vorangegangenen Experimenten hatten die Forscher aus Harvard bereits entdeckt, dass genau die gleichen Zellen auch noch einen andern Wachstumsfaktor produzieren, GM-CSF genannt. Und dieser Faktor hat eine dem IL-3 genau entgegengesetzte Wirkung: Er schützt die Mäuse vor einem Tod durch Sepsis. Mäuse, deren IRA B-Zellen kein GM-CSF bilden konnten starben entsprechend schneller und zahlreicher an einer Sepsis, als Kontrolltiere, deren IRA B-Zellen normale Mengen an GM-CSF bilden konnten.
Das zeigt wie empfindlich die Balance des Immunsystems ist, die zwischen einer effektiven Infektionsabwehr und dem Vermeiden gravierender Schäden im eigenen Organismus, besteht.
Je höher die Konzentration von Interleukin-3 im Blut desto schlechter sind die Überlebenschancen
Um zu überprüfen, ob die am Mausmodell gewonnen Erkenntnisse auch auf den Menschen übertragbar sind untersuchten die Forscher Blutproben von Patienten, bei denen eine Sepsis aufgetreten war. Und tatsächlich: Je höher der IL-3-Spiegel 24 Stunden nach dem Beginn der Sepsis war, desto schlechter waren die Überlebenschancen der Betroffenen und zwar unabhängig von anderen Risikofaktoren.
In der Wissenschaft ist umstritten, wie gut Mausmodelle die Situation einer Sepsis beim Menschen wiedergeben können. Wie die vorliegenden Ergebnisse zeigen, könnte IL-3 auch bei der menschlichen Sepsis eine wichtige Rolle spielen. Jeder Mensch hat eine gewisse Menge von IL-3 in seinem Blut. Daher wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob Menschen, die einen höheren IL-3-Spiegel haben eher Gefahr laufen, eine Sepsis zu entwickeln oder Komplikationen bei Infektionskrankheiten zu erleiden. Weiter wollen sie herausfinden, ob IL-3 selbst oder ein anderer Faktor in dem damit verbundenen Signalweg als Ziel für eine Therapie gegen Sepsis in Frage kommt.
Allerdings ist die Korrelation zwischen der Höhe des IL-3-Spiegels und der Schwere des Krankheitsverlaufs noch kein Beweis dafür, dass IL-3 beim Menschen tatsächlich der immunologische Botenstoff ist, der den Zytokinsturm bei der Sepsis auslöst. Denn im Verlaufe des Zytokinsturms ist die Konzentration sehr vieler verschiedener Zytokine massiv erhöht, ohne dass ihnen eine Schlüsselrolle als Initiator der Sepsisreaktion zukommt. Ob IL-3 die Entzündungsreaktion beim Menschen triggert werden erst noch weitere Studien ergeben müssen. Beispielsweise könnte man in einer klinischen Studie klären, ob Antikörper gegen IL-3 eine Sepsis abmildern können (Anmerkung der Redaktion von Scimondo).
von Ute Keck
Originalpublikation:
G. F. Weber, B. G. Chousterman, S. He, A. M. Fenn, M. Nairz, A. Anzai, T. Brenner, F. Uhle, Y. Iwamoto, C. S. Robbins, L. Noiret, S. L. Maier, T. Zönnchen, N. N. Rahbari, S. Schölch, A. Klotzsche-von Ameln, T. Chavakis, J. Weitz, S. Hofer, M. A. Weigand, M. Nahrendorf, R. Weissleder, F. K. Swirski. Interleukin-3 amplifies acute inflammation and is a potential therapeutic target in sepsis. Science (2015). 347 (6227): p. 1260-1265. DOI: 10.1126/science.aaa4268