Meister der kulturellen Synthese: Petra

Petra ist eine natürliche Festung: Blick auf Khazne al-Firaun aus dem Siq. © Berthold Werner. CC BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

Gut versteckt ragen im Bergland von Edom, in Jordanien, gewaltige steinerne Fassaden in den Himmel. Ihr architektonischer Stil lässt einen griechisch-römischen Ursprung vermuten. Doch schaut man genauer hin, so erkennt man, dass es sich hierbei um eine besondere Mischung verschiedener Stilelemente handelt. Die Bauwerke in Petra bestehen aus einer beeindruckenden Fassade, hinter der sich jeweils eine oder mehrere schlichte Kammer befinden. Lange rätselten Archäologen, wozu diese Bauten dienten und von welchem Volk sie geschaffen wurden. Nach und nach stellte sich dann heraus, dass die Erbauer keineswegs Griechen oder Römer waren, sondern ein Nomadenstamm, der aufgrund der günstigen Lage am Knotenpunkt der Weihrauchstraße zu Reichtum gelangt war: Die Nabatäer. Zu Wohlstand gekommen, wollten auch sie so luxuriös wohnen, wie die sie umgebenden Griechen und Römer. Dabei schufen sie ihren ganz eigenen nabatäischen Stil. Ein weiteres Beispiel für die Fähigkeit von Nomadenstämmen, sich die kulturellen Errungenschaften der sie umgebenden Hochkulturen anzueignen und für ihre Zwecke anzupassen.

Petra liegt im Bergland von Edom wie eine natürliche Festung auf 800 bis 1350 m Höhe: Von Nordwesten ist sie nur über einen schmalen Gebirgspfad zu erreichen und von Osten nur durch eine eineinhalb Kilometer lange und siebzig Meter breite Schlucht, den Siq, der an seiner engsten Stelle gerade einmal 2 Meter misst. Hat man diese Schlucht durchquert, so gelangt man unvermittelt in einen weiten Talkessel. Ein idealer Rückzugsort für Nomaden in unruhigen Zeiten. Gleichzeitig lag Petra jedoch auch günstig an einem Knotenpunkt mehrerer Karawanenwege, die Ägypten mit Syrien und Südarabien mit dem Mittelmeerraum verbanden. Die Nabatäer selbst nannten ihre Stadt vermutlich Reqmu, die Rote, wegen der roten Felsen. Das griechische Petra bedeutet Fels oder Stein.

Handelsrouten der Nabatäer. © Like tears in rain . CC BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

Nachdem die Region im 6. Jahrhundert v. Chr. unter persische Herrschaft gelangt war, wanderten die vermutlich aus dem inneren Arabiens stammenden Nabatäer um 500 v. Chr. in das Gebiet der Edomiter ein und verdrängen diese. Anfangs errichteten sie im Tal von Petra nur ihre Zelte. Doch Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. war das Nomandenvolk durch den Handel mit Gewürzen und Weihrauch und möglicherweise auch durch Raubzüge bereits so reich geworden, dass sie sogar die Begehrlichkeiten der Griechen auf sich zogen. 312 v. Chr. versuchte Antigonos I. Monophthalmos, ein Nachfolger von Alexanders dem Großen, die wohlhabende Stadt einzunehmen. Diesem Schicksal entging sie nur aufgrund ihrer uneinnehmbaren Lage in den Bergen Edoms. Die eigentliche Blütezeit von Petra begann jedoch erst im 2. Jahrhundert v. Chr., als Petra unter dem wachsenden Einfluss der Römer zur Hauptstadt der Nabatäer wurde. Nachdem unter Kaiser Augustus die Mittelmeerregion unter die Pax romana gefallen war, florierte in den folgenden 200 Jahren der Handel. Als Nebeneffekt stieg unter anderem auch die Nachfrage nach Weihrauch sprunghaft an.

Khazne al-Firaun © Graham Racher. CC BY-SA 2.0. Wikimedia Commons.

Wer über die schmale Schlucht des Siq nach Petra gelangt, erblickt zunächst das Khazne al-Firaun, oder „Das Schatzhaus des Pharao“, wie die heute dort lebenden Beduinen es nennen. Seine Fassade wirkt auf den ersten Blick, wie Prunkbauten aus griechischen oder römischen Metropolen. Doch auf den zweiten Blick bemerkt man, dass hier sowohl griechische, wie auch römische Motive auf eine einzigartige Weise miteinander kombiniert wurden. Ursprüglich ging man davon aus, dass die mächtigen Fassaden, die sich in Petra befinden, auch auf die gleiche Weise, wie von den Griechen und Römern, mit Hilfe von Gerüsten erbaut wurden. Doch hier irrten die ersten Entdecker: Tatsächlich handelt es sich bei den Fassaden um riesige Skulpturen, die am Stück direkt aus dem Stein gehauen wurden. Bei dem Khazne al-Firaun handelt es sich um eine der schönsten Fassaden Petra’s.

Einfachere Felsengräber in Petra. © David Bjorgen. CC BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

Doch auf der Hochebene von Petra gibt es auch wesentlich einfachere Fassaden, die nur mit einem schlichten Zinnenmotiv dekoriert sind, das auf einen mesopotamischen Ursprung hindeutet. Mehr als 600 solcher mehr oder weniger luxuriös ausgestattete Fassaden finden sich an den Felswänden rings um Petra, die in einmaliger Weise Stilelemente von Morgenland und Abendland miteinander verbinden. Doch wozu dienten diese in den Fels gehauenen Monumente? Was befand sich in ihrem Inneren? Hinter der beeindruckenden Fassade des Khazne al-Firaun entdeckten die Archäologen nur eine grob behauene Hauptkammer mit drei kleineren Seitenkammern. Ein ähnliches Bild bot sich auch hinter den anderen Fassaden. Wozu dieser gewaltige Aufwand, wenn das innere eher schlicht gehalten war?

Nach dem Vergleich mit älteren, in den Fels gehauenen Gräbern in der Wüste Saudi Arabien’s kamen die Forscher auf des Rätsels Lösung. Die Felshöhlen dienten keineswegs als Wohnungen, sondern vielmehr als Grabstätten. Ausgestattet waren sie je nach dem Wohlstand des Auftraggebers. Demnach könnte das Khazne al-Firaun das Grabmal der Familie von König Aretas IV. gewesen sein, einem der wichtigsten Könige der Nabatäer. Leer sind die Gräber heute, weil sie im Laufe der Jahrtausende von Grabräubern geplündert wurden.

Karte von Petra. © Holger Behr. public domain. Wikimedia Commons.

Die Einwohner Petra’s wohnten vermutlich in Häusern aus Lehmziegeln, nachdem sie mit zunehmendem Wohlstand ihre Zelte gegen feste Behausungen eingetauscht haben. Im Zentrum der Stadt entdeckten Archäologen nach genauerer Suche mehrere Tempel, eine Prachtstraße, ein römisches Theater und sogar ein königliches Badehaus. Der große Haupttempel, der Qasr al-Bint Fara’un, der „Palast der Pharaonentochter“ wie ihn die Beduinen nennen, stammt wohl aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. und könnte den nabatäischen Hauptgöttern Dushara und Al-Uzza geweiht gewesen sein.

Die Nabatäer unterhielten entlang der Weihrauchstraße verschiedene Handelszentren, wie etwa Bosra im heutigen Syrien und Hegra (heute Mada’in Salih) im heutigen Saudi-Arabien. Einige dieser Städte liegen heute in Israel und gehören zum UNESCO Welterbe. Dazu zählen die vier Städte Awdat, Mamshit, Schivta und Elusa, die vier Festungen Kazra, Nekarot, Makhmal, Grafon und die zwei Karawansereien Moa und Saharonim. Bereits in der Antike war das Harz des Weihrauchbaums als religiöse Opfergabe und Arzneimittel begehrt.

Offenen Wasserleitung im Siq. © Dr. Erwin Schwentner. CC BY-SA 1.0. Wikimedia Commons.

Doch wie gelang es den Nabatäern in der auch damals schon sehr trockenen Region eine Stadt mit 20.000 bis 30.000 Menschen mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen? Auch hier bediente sich das Wüstenvolk genialer Lösungen, die es zum Teil von anderen Kulturen übernahm.  Nutzten doch bereits die Perser sogenannten Qanate, unterirdische Wasserleitungen, um Wasser aus dem Gebirge in ihre Gärten und Städte zu leiten. Von diesen übernahmen die Nabatäer vermutlich ihr geniales Bewässerungssystem. Aus den Bergen der Umgebung leiteten sie Wasser über in die Felsen gemeißelte Qanate in ihre Stadt. Das hoch komplexe System verfügte über mehr als 200 Zisternen, deren kühlendes Nass aus Quellen im Umkreis von mehr als 25 Kilometern stammte.

Zur Bewässerung ihrer Felder nutzten sie eine andere Technik: Die sogenannten Sturzwasserlandwirtschaft. Bei dieser Methode nutzten sie die Tatsache aus, dass es in der Wüste immer wieder sintflutartige Regenfälle gibt, die unglaublichen Schaden anrichten können und alles mit sich reißen, was ihnen im Wege ist. Durch den Bau von Mauer senkrecht zu den dann entstehenden Wasserwege schützten sie zum einen ihre Land vor Überflutungen und zum anderen konnten sie so das Wasser auf einfache Weise auffangen. In einem Auffangbecken konnte sich das Geröll absetzen und das so aufgestaute Wasser ließ sich dazu nutzen, die Felder zu bewässern. Für diese Bewässerungsform benötigten sie eine zehn bis zwanzigfach größere Regensammelfläche im Vergleich zu der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Der israelische Botaniker Michael Evenari entdeckte diese antike Bewässerungstechnik im 20. Jahrhundert wieder, wandte sie erfolgreich an und begründete damit die moderne israelische Wüstenlandwirtschaft.

So sind die Nabatäer ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Nomadenvolk sich die Techniken der sie umgebenden Hochkulturen aneignen kann und auf diese Weise etwas Neues und ganz eigenes entwickelt. Auch hier erweist sich die kulturelle Evolution als äußert erfolgreiche Strategie.

von Ute Keck, 8. Februar 2019

 

Weiterführende Literatur:

Quellen zur Geschichte der Nabatäer

Das Königreich der Nabatäer

Geniale Nomaden Die Spuren der Nabatäer

Konrad Lorenz: Die Rückseite des Spiegels

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