Furcht vor neu eingeführten Räubern kann das Artensterben beschleunigen

Darwinfinken gehen einer Konkurrenz aus dem Wege, indem sie mit ihren verschieden geformten Schnäbeln unterschiedliche Nahrung bevorzugen. © public domain.

Bisher glaubte man, wenn eine neue Spezies von Räubern in ein Ökosystem eingeführt wird, würde dies zu einer größeren Artenvielfalt führen. Forscher haben diese These nun am Beispiel dreier verschiedener Eidechsenarten auf mehreren kleinen karibischen Inseln überprüft. Mit einem überraschenden Ergebnis.

Um Konkurrenz zu vermeiden spaltet sich eine Arten in mehrere Spezies auf, die unterschiedliche ökologische Nischen besetzen. Ein Beispiel hierfür sind die Darwinfinken auf den Galapagos-Inseln. Dort diversifizierte sich eine zufällig auf die Inseln verschlagene Vogelart zu verschiedenen Spezies, die sich unterschiedliche Nahrungsquellen erschlossen, indem sie verschiedene Schnabelformen entwickelten. Dieses Phänomen nennt man adaptive Radiation. Der Grund für diese Entwicklung ist das Konkurrenzausschlussprinzip nach dem zwei verschiedene Arten nicht genau die gleiche ökologische Nische besetzen können ohne miteinander konkurrieren zu müssen. Bei diesem Kampf um die in der Natur meist knappen Ressourcen gewinnt die stärkere Art und verdrängt die schwächere, bis diese schließlich ausstirbt. Führt man in ein bestehendes Ökosystem einen Räuber ein, der die Art frisst, die bisher an der Spitze der Nahrungskette stand, so erwartet man eine Zunahme der Artenvielfalt bei den bisherigen Beutetieren. Denn nun nimmt der Druck durch den bisherigen Fressfeind ab und die bisherigen Beutetiere können sich besser vermehren und zur Konkurrenzvermeidung neue Arten ausbilden.

Der braune Bahamaanolis (Anolis sagrei) jagt in den unteren Bereichen von Büschen und Bäumen, sowie am Boden nach Insekten. © public domain.

Der grüne Bahamaanolis (Anolis smaragdinus) fängt Insekten in den oberen Wipfeln von Bäumen und Büschen. © maxintosh. CC BY 2.0.

Forscher wollten durch die Beobachtung von verschiedenen Eidechsenarten auf kleinen, isolierten Karibikinseln untersuchen, wie sich zwei konkurrierende Eidechsenarten ein Ökosystem teilen und was passiert, wenn ein Räuber eingeführt wird, der die dominante Eidechsenart frisst. Als Versuchsgelände dienten den Forschern 16 kleine Bahamainseln. Auf all diesen Inseln führten sie den braunen Bahamaanolis ein, der in den unteren Ästen von Sträuchern und Bäumen und am Boden nach Insekten jagt. Auf manchen dieser Inseln setzten sie auch als Konkurrenten seinen grünen Verwandten, den grünen Bahamaanolis (Anolis smaragdinus) aus, der seine Beute hoch oben in den Büschen und Bäumen fängt. Nur bei wenigen Inseln fügten sie dem Ökosystem noch eine dritte Art hinzu, den Rollschwanzleguan (Leiocephalus carinatus), der den braunen Bahamaanolis frisst.

Der Rollschwanzleguan frisst den braunen Bahamaanolis. © Ianaré Sévi. CC BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

Auf den Inseln, auf denen nur der braune Bahamaanolis vorkam, bildete dieser die Spitze der Nahrungskette und vermehrte sich gut. In den Ökosystemen, wo er sich die Insel mit dem grünen Anolis teilen musste, ohne dass ein weiterer Räuber vorhanden war, gewann sogar der grüne Anolis, nach einer schwierigen Vorlaufszeit, zahlenmäßig die Oberhand. Doch durch die verschiedenen ökologischen Nischen gingen sich beide Spezies aus dem Weg. Sobald jedoch der Rollschwanzleguan mit ins Spiel kam, veränderte sich die Situation drastisch. Denn der braune Anolis zeigte nun ein von den Forschern nicht erwartetes Verhalten: Er flüchtete vor seinem Fressfeind in die höheren Gefilde, also die höheren Bereiche der Bäume und Sträucher. Dort traf er auf seinen Konkurrenten, den grünen Anolis. So kam das Konkurrenzausschlussprinzip zum Tragen und die stärkere Art setzte sich durch. In diesem Fall der brauen Anolis. Sein Fluchtverhalten vor dem Fressfeind führte auf gleich mehreren Inseln im Laufe von sechs Jahren zum Aussterben des grünen Anolis.

Die Forscher mahnen daher, dass Arten auf das Einschleppen von Fressfeinden im realen Leben wesentlich komplexer reagieren können, als dies die Theorie vorhersagt. Wir können daher kaum abschätzen, welche Folgen die zur Zeit in den globalen Ökosystemen auftretenden Veränderungen auf die Zusammensetzung der Spezies langfristig haben werden. Daher sollten wir umso mehr darum bemüht sein, diese mit Umsicht zu behandeln.

Meines Erachtens ist es eine zweifelhafte, wissenschaftliche Vorgehensweise, ein Ökosystem als Experimentierfeld so zu nutzen, wie es die Forscher der vorliegenden Arbeit getan haben. Zwar lassen sich so wichtige, wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, die man sonst nicht so leicht erhalten hätte. Doch für diese Zwecke gleich drei Tierarten auf 16 Inseln einzuführen halte ich nicht für akzeptabel. Und man denke nur daran, was passieren würde, wenn dieses Beispiel Schule machen würde (Anmerkung der Redaktion).

von Ute Keck, 12. Juni 2019

Originalpublikation:

Robert M. Pringle, Tyler R. Kartzinel, Todd M. Palmer, Timothy J. Thurman, Kena Fox-Dobbs, Charles C. Y. Xu, Matthew C. Hutchinson, Tyler C. Coverdale, Joshua H. Daskin, Dominic A. Evangelista, Kiyoko M. Gotanda, Naomi A. Man in ’t Veld, Johanna E. Wegener, Jason J. Kolbe, Thomas W. Schoener, David A. Spiller, Jonathan B. Losos & Rowan D. H. Barrett, Predator-induced collapse of niche structure and species coexistence,  Nature 570, 58–64 (2019) DOI: 10.1038/s41586-019-1264-6

Weitere Informationen:

Predators affect competitors’ coexistence through fear effects

How do new predators change an ecosystem? Watch the prey, say Princeton researchers

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