Wie der Grizzlybär Diabetes im Schlaf meistert

Grizzly fängt Lachs. © Brian W. Schaller. CC BY-NC-SA 3.0

Grizzly fängt Lachs. © Brian W. Schaller. CC BY-NC-SA 3.0

Leider wurde die Veröffentlichung aufgrund von Datenmanipulationen inzwischen zurückgezogen. Weiteres siehe bei Science.

Grizzlybären (Ursus arctos horribilis) fressen sich als Vorrat für die Winterruhe im Sommer und Herbst gewaltige Fettpolster an. Eine so rapide Gewichtszunahme würde beim Menschen unweigerlich zur Entwicklung von Stoffwechselerkrankungen und Diabetes führen. Grizzlys werden jedoch nur vorübergehend während der Winterruhe zuckerkrank. Im Frühjahr hat sich dann ihr Zuckerstoffwechsel wieder normalisiert. Um Stoffwechselprobleme zu vermeiden schalten die Bären in ihren Fettzellen ein Protein aus, dem eine Schlüsselrolle in der Stoffwechselregulation zukommt.

Grizzly beim Faulenzen.  © Pogrebnoj-Alexandroff. CC BY 1.0.

Grizzly beim Faulenzen. © Pogrebnoj-Alexandroff. CC BY 1.0.

Überlebensnotwendige Völlerei

Im Sommer und Herbst vertilgen die Grizzlys große Mengen an Nahrung, wie reife Beeren, viele, kleine proteinreiche Insekten, aber auch kleine und seltener große Säugetiere oder, wo vorhanden, Lachse. In dieser Zeit der Polyphagie, einer Phase von wahrer Völlerei, können sie bis zu 180 kg zulegen. Diese gewaltigen Fettpolster dienen ihnen als Energiespeicher für ihre fünf bis sieben monatige Winterruhe. Während dieser Zeit nehmen die Grizzlys weder Nahrung auf noch geben sie Urin oder Kot ab. Ihr Stoffwechsel ist in dieser Phase stark heruntergefahren. Die Bärinnen bringen außerdem während dieser langen Fastenzeit ihre Jungen zur Welt und müssen zudem aus ihren Energievorräten die für das Säugen der Jungen benötigte Milch bilden.

Die Folgen von permanenter Völlerei

Die Völlerei der Grizzlys im Sommer und Herbst ist also für die Tiere überlebensnotwendig. Wie aber schaffen es die Bären dafür zu sorgen, dass ihr Stoffwechsel während dieser Zeit der massiven Kalorienzufuhr nicht entgleist? Nach einer Zuckerzufuhr produzieren die Betazellen der Bauchspeicheldrüse Insulin, um die Zellen des Körper zu veranlassen den Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Diesen speichern sie dann entweder als Energievorrat oder nutzen ihn zur Energieerzeugung. Gleichzeitig hemmt Insulin die Lipolyse, den Fettabbau in Fettzellen. Unter diesen Bedingungen können also massive Fettpolster angelegt werden. Bei einer so massiven Fressorgie würde man erwarten, dass die Fett-, Leber und Muskelzellen mit der Zeit ihre Empfindlichkeit gegenüber Insulin verlieren. Es käme zu einer Insulinresistenz. In dessen Folge würde der Blutzuckerspiegel ansteigen, da die Zellen nun weniger Insulin aus dem Blut aufnehmen. Um den Blutzuckerspiegel trotzdem konstant zu halten müssten die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse mehr Insulin produzieren. Eine ständig erhöhte Produktion von Insulin jedoch bedeutet Stress für die Inselzellen und kann zu deren Absterben führen, was zu einer nachhaltigen Störung des Zuckerstoffwechsels führen würde: ein Diabetes melitus wäre die Folge.

Insulin-Glukose-Metabolismus. © public domain.

Insulin-Glukose-Metabolismus. © public domain.

Wie die Grizzlybären sich vor Insulinresistenz schützen

Aber der Zuckerstoffwechsel der Grizzlybären funktioniert anders. Wie Kevin Corbit und sein Team von der amerikanischen Biotechnologie Firma Amgen herausgefunden haben sind die Grizzlys im Herbst zwar übergewichtig, entwickeln aber keinen Diabetes. Während ihrer Fressorgien im Herbst bleiben die Insulinwerte der Bären immer gleich hoch. Zur großen Überraschung der Forscher war die Empfindlichkeit der Tiere gegenüber Insulin während der Zeit der rapiden Gewichtszunahme sogar am höchsten. Nur die Fettzellen veränderten ihre Antwort auf das Insulinsignal. Sie schalteten vorübergehend das Gen PTEN aus. Denn anders als viele fettleibige Tiere speichern Grizzlybären das für die Winterruhe eingelagerte Fett nicht in der Leber oder im Muskel, sondern in ihrem Fettgewebe. Grizzlys haben also einen Weg gefunden, wie sie trotz Übergewicht nicht diabetisch werden, also ihre Sensitivität gegenüber Insulin nicht verlieren. Vor kurzen hatten Forscher herausgefunden, dass auch beim Menschen nicht alle Übergewichtigen zwangsläufig Diabetes bekommen.

Grizzly auf Futtersuche.  © Tony Hisgett . CC BY 2.0.

Grizzly auf Futtersuche. © Tony Hisgett . CC BY 2.0.

Reversibler Diabetes während der Winterruhe

Erst mit dem Beginn ihrer Winterruhe werden die Zellen der Grizzlybären unempfindlicher gegenüber Insulin. Sowohl der Insulin- als auch der Zuckerspiegel bleiben jedoch auch während dieser Zeit normal. Durch den massiven Fettabbau verbrauchen die Bären in dieser Zeit ihre Fettpolster und wandeln sie in Energie um. Wenn sie im Frühjahr wieder aufwachen ist ihr Diabetes wieder verschwunden und ihre Zellen reagieren wieder normal auf Insulin.

Neue Theorie zum Zusammenhang zwischen Übergewicht und Diabetes

Laut Corbit unterstützen seine Ergebnisse eine neue Theorie über den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Diabetes, nach der nicht das eine die Ursache des anderen ist sondern beide natürliche Gegensätze des Stoffwechsels darstellen.

Grizzlybär beim Ausruhen.  © Chad Teer.  CC BY 2.0.

Grizzlybär beim Ausruhen. © Chad Teer. CC BY 2.0.

Die Erkenntnisse über die jahreszeitlichen Anpassungen des Zuckerstoffwechsels bei Grizzlybären können laut Corbit zu einer ganzheitlicheren Herangehensweise bei der Therapie von Übergewichtigen und Diabetikern führen. Die Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Patienten Übergewicht bekommen könnten diese gleichzeitig vor Diabetes schützen. Umgekehrt könnten die Mechanismen, die wiederum andere Patienten vor Fettleibigkeit schützen zur Folge haben, dass sie an Diabetes erkranken. Menschen, die weniger PTEN haben besitzen denn auch eine besondere, bärengleiche Eigenschaft: Sie reagieren ausgesprochen empfindlich auf Insulin und das selbst dann noch, wenn sie übergewichtig sind. Ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen Übergewicht und Diabetes könnte dabei helfen Therapien zu entwickeln, die diesen Mechanismus ausnutzen und Patienten auszuwählen, bei denen diese Therapieform am besten anschlägt.

Die Kehrseite der Medaille: PTEN auszuschalten kann gravierende Konsequenzen haben

Wenn man beabsichtigt PTEN therapeutisch auszuschalten muss man jedoch berücksichtigen, dass es beim Menschen mehrere schwere Krebsarten gibt, die unter dem Sammelbegriff PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrom zusammengefasst werden und die durch ein fehlerhaftes PTEN-Gen hervorgerufen werden. Ob ähnliche Effekte auch dann noch auftreten, wenn PTEN nur in Fettzellen ausgeschaltet wird muss noch intensiv untersucht werden.

von Ute Keck

 

O. Lynne Nelson, Heiko T. Jansen, Elizabeth Galbreath, Kurt Morgenstern, Jamie Lauren Gehring, Kimberly Scott Rigano, Jae Lee, Jianhua Gong, Adam J. Shaywitz, Chantal A. Vella, Charles T. Robbins, Kevin C. Corbit. Grizzly Bears Exhibit Augmented Insulin Sensitivity while Obese Prior to a Reversible Insulin Resistance during Hibernation. Cell Metabolism, Volume 20, Issue 2, p376–382, 5 August 2014. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.cmet.2014.07.008

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