Individualisierte Krebstherapie

© NicoLeHe  / pixelio.de

Infusion/Tropf
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Welche Medikamente gegen einen Tumor wirken kann man vor einer Krebstherapie testen. Doch bisher werden diese Tests wegen des hohen Aufwands und der geringen Zuverlässigkeit kaum durchgeführt. Forscher am Frauenhofer Institut in Mannheim haben nun ein automatisiertes, kostengünstiges System entwickelt, mit dem diese Tests serienmäßig durchgeführt werden können.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 469.000 Menschen neu an Krebs. Etwa 215.000 Menschen sterben jährlich daran. Nach Herz-Kreislauferkrankungen ist Krebs damit die zweithäufigste Todesursache. Künftig wird die Zahl der Krebserkrankungen wegen der zunehmenden Alterung der Bevölkerung noch weiter steigen. Experten erwarten bis zum Jahr 2050 eine Zunahme um 30 Prozent. Um den Betroffenen besser und gezielter helfen zu können, muss die Behandlung effektiver werden.

Nach wie vor setzen Mediziner bei der Krebsbehandlung auf die Chemotherapie. Mit Hilfe von sogenannten Cytostatika soll das Wachstum der Krebszellen gezielt unterbunden werden. Dabei sind die Tumorzellen von Krebspatienten so individuell verschieden, wie die Patienten selbst. Eine Diagnose wie Brustkrebs klingt eindeutig. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um einen Sammelbegriff für eine Vielzahl ähnlicher Erkrankungen. In jedem Tumor haben andere genetische Veränderungen stattgefunden, die über seine spezifischen Eigenschaften entscheiden. Das hat zur Folge, dass sie sehr unterschiedlich auf Medikamente reagieren. So kann die meist angewandte Standardtherapie bei dem einen Patienten hoch wirksam sein, während sie beim anderen vielleicht kaum oder gar nicht anschlägt. Seit Jahren ist man daher dabei nach Verfahren zu suchen, die im Rahmen der „personalisierten Medizin“ eine „individualisierte Krebstherapie“ ermöglichen sollen. Dazu muss mit Hilfe von Tests, die vor dem Beginn einer Chemotherapie durchgeführt werden können, abgeklärt werden, welches Cytostatikum das Wachstum der Tumorzellen am besten hemmt. Nur so kann der Behandlungserfolg und die Lebensqualität des Patienten nachhaltig gesichert werden. Doch bisher können sich nur Privatpatienten diese aufwändigen Verfahren leisten, da die hohen Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden. Und wegen des hohen Personalaufwands sind nur große Klinken dazu in der Lage diese Tests anzubieten.

So sieht das herkömmliche Verfahren zum Testen der Cytostatikawirkung auf die Tumorzellen aus.

Zur Durchführung der Tests müssen Medizinisch-Technische Assistentinnen in mühevoller Handarbeit eine sehr kleine Gewebeprobe, Biopsie analysieren. Mit Hilfe von Enzymen lösen sie die Zellen aus dem Gewebeverband heraus. Das so erhaltene Zellgemisch verdünnen sie anschließend und setzen es in verschiedenen Versuchsansätzen sieben Tage lang unterschiedlichen Cytostatika aus. So kann man herausfinden, auf welche Medikamente die Zellen besonders empfindlich reagieren. Diese aufwändig von Hand durchgeführten Tests sind nicht nur sehr teuer, sondern auch fehleranfällig. Mit diesem arbeitsintensiven Aufschlussverfahren erzielt man außerdem nur eine geringe Ausbeute. Und die Zellsuspension, mit der die Sensitivität auf die Cytostatika getestet wird, enthält nicht nur Tumorzellen, sondern zusätzlich noch ganz normale, gesunde Zellen aus dem umgebenden Gewebe des Tumors. Diese normalen Zellen können das Ergebnis des Tests stark verfälschen, da sie naturgemäß ganz andere Eigenschaften als die Tumorzellen besitzen.

So sieht das neue Verfahren aus.

Christian Reis und Caroline Siegert vom Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Mannheim haben zur Lösung dieses Problems ein automatisiertes Testsystem namens „DiagnoSYS“ entwickelt. Mit DiagnoSYS läuft das gesamte Testverfahren vollautomatisch ab. Die Technischen Assistentinnen müssen das Gerät nur noch mit der Gewebeprobe und den Lösungen versehen. Um die Probe für den Test aufzubereiten wird vollautomatisch eine Enzymlösung zugegeben, zum Beispiel eine Kollagenase, die das Gewebe verdaut. So werden Bindegewebe und Kollagenbestandteile entfernt, um eine Einzelzellsuspension zu erhalten, in der die Tumorzellen für die weiteren Schritte des Tests frei zugänglich sind. Dann verteilt die Pipette des Roboters die Zellen in kleine, flache Mulden einer Kunststoffplatte.

In einem nächsten Schritt werden die Tumorzellen von den restlichen, gesunden Gewebezellen getrennt. Sie können sonst, wie bereits erwähnt, das Testergebnisses verfälschen. Dazu werden magnetische Beads eingesetzt. Das sind kleine Polymerkügelchen mit einem magnetischen Kern, die einen Durchmesser von weniger als 1 Mikrometer besitzen. Die magnetischen Beads sind mit Antikörpern bestückt, die gegen ein Protein auf der Oberfläche der Zellen gerichtet sind. Die Antikörper erkennen nach dem Schlüssel/Schloss-Prinzip bestimmte Strukturen auf diesen Proteinen. Tumorzellen tragen auf ihrer Zelloberfläche Proteine, die sie von normalen Zellen unterscheiden. Das macht man sich für das magnetische Seperationsverfahren zunutze. Die Tumorzellen, die von den Antikörpern auf den magnetischen Beads gebunden werden können mit Hilfe eines Magneten gezielt aus dem Zellgemisch herausgefischt werden. In einem weiteren Schritt sondert man die restlichen, noch verbliebenen, normalen Zellen mit Hilfe von Beads ab, deren Antikörper die Proteine erkennen, die für normale Zellen charakteristisch sind. Auf diese Weise kann man die Tumorzellen massiv anreichern. Pro Biopsie erhält man ungefähr 2 bis 4 Millionen angereicherte Tumorzellen. Dieser Schritt ist entscheidend für den Erfolg des gesamten Tests. Denn die Antikörper die man für den Anreicherungsschritt auswählt entscheiden darüber, wie erfolgreich die Anreicherung der Tumorzellen gegenüber den normalen Zellen funktioniert. Da die Zellen eines Tumors sehr heterogen sind und unterschiedliche Eigenschaften haben, dürfen bei diesem Schritt auch keine Tumorzellen verloren gehen. Für die Anreicherung der Tumorzellen muss also ein Zelloberflächenprotein gewählt werden, das jede Tumorzelle des entsprechenden Tumors besitzt. Sonst können bei diesem Schritt Tumorzellen verloren gehen, deren Empfindlichkeit gegenüber den getesteten Cytostatika dann mit dem Test nicht erfasst werden konnte.

Die angereicherten Tumorzellen verteilt der Roboter zu Portionen von 15 bis 20 Tausend Zellen auf einer Mikrotiterplatte, einer Plastikplatte mit 96 Vertiefungen und gibt zu jeder Portion unterschiedliche Chemotherapeutika hinzu. Mit einer solchen Mikrotiterplatte kann ein umfangreicher Test durchgeführt werden. Bis zu sieben verschiedene Cytostatika in verschiedenen Dosierungen können so auf einmal getestet werden. Dabei testet man immer mehrere Proben parallel, um zuverlässige Ergebnisse zu erhalten. Die Zellen werden dann je nach Krebsart fünf bis sieben Tage mit den Cytostatika im Brutschrank aufbewahrt.

Im nächsten Schritt muss ermittelt werden, welche der Medikamente die Krebszellen erfolgreich abtöten konnten und bei welchen dies nicht gelungen ist. Die Auswertung erfolgt auch hier vollautomatisch mit einem ATP-Lumineszenz-Assay. Adenosintriphosphat (ATP) ist die Energiewährung der Zelle. Jede lebende Zelle produziert und verbraucht eine Menge davon. Zellen, die dabei sind zu sterben oder bereits tot sind enthalten kaum oder kein ATP. Die Menge an ATP in der Probe lässt also darauf schließen, ob das jeweilige Cytostatikum das Wachstum der Krebszellen hemmen konnte. Die in der Probe vorhandene ATP-Menge wird durch die Zugabe eines Lumineszenz-Farbstoff quantitativ messbar gemacht. Das dabei entstehende Lichtsignal kann automatisch erfasst und ausgewertet werden. Überall dort, wo es dunkel bleibt haben die Medikamente ihren Zweck erfüllt und die Tumorzellen abgetötet.

Genau diese Informationen benötigt der Arzt, um die richtigen Entscheidungen für eine erfolgversprechende Therapie treffen zu können. Dabei gibt DiagnoSYS selbst keine direkte Empfehlung für ein Medikament. Vielmehr versorgt es den Arzt mit den Informationen, die er braucht, um die effektivste Therapie zusammenzustellen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn zwei Chemotherapeutika gleich gut wirken. Dann ist die Erfahrung des Arztes gefragt. In diesem Fall könnte er für die Therapie eine Kombination von mehreren wirksamen Cytostatika einsetzen. Reis und sein Team planen auch noch die Wirkung der Cytostatika auf die normalen Zellen des Patienten zu testen. So könnte man unter den wirksamen Medikamenten dasjenige aussuchen, das bei den normalen Zellen die geringsten Nebenwirkungen verursacht. Der Arzt könnte dann beim Planen der Therapie nicht nur die Wirkung der Cytostatika auf die Tumorzellen, sondern zusätzlich auch noch deren Wirkung auf die normalen Zellen mit einbeziehen. Manchmal reagiert ein Tumor aber auch auf gar keines der Medikamente. In diesem Fall könnte der behandelnde Arzt gleich mit einer alternativen Therapie beginnen, wie zum Beispiel einer Strahlentherapie. Und der Patient würde keine unnötige Zeit mit einer unwirksamen Therapie verlieren. Christian Reis und sein Team wollen mit dem neuen Diagnosesystem auch dazu beitragen unwirksame Chemotherapien zu vermeiden. Dieser Aspekt ist auch für die Krankenkassen interessant, weil er dazu beitragen könnte unnötige Kosten im Gesundheitssystem einzusparen. Einige Krankenkassen haben schon ihr Interesse an dem neuen Testverfahren bekundet, das dank Automatisierung wesentlich zuverlässiger und preiswerter ist, als herkömmliche Verfahren.

Bisher existiert DiagnoSYS nur als Demonstrationsanlage. Um das Gerät auf den Markt zu bringen muss es ein Zulassungsverfahren nach dem Medzinproduktegesetz durchlaufen. Die meisten der von DiagnoSYS eingesetzten Methoden und Bauteile sind bereits auf dem Markt. Es müssen nur noch die beiden Verfahrensschritte zertifiziert werden die Caroline Siegert und Christian Reis selbst entwickelt haben: Die Isolierung der Einzelzellen aus der Gewebeprobe und die magnetische Trennung der Tumorzellen von den normalen Zellen. Eine Markteinführung könnte also relativ zügig erfolgen. So könnten in naher Zukunft wesentlich mehr Krebspatienten von einer individuell für sie maßgeschneiderten Chemotherapie profitieren.

Von Ute Keck

Reis et al. 2012. Diagnostic Platform for Personalized Chemosensitivity Assays – Robust Results via Process Automation.

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