Synchronisation zweier Hirnareale ermöglicht „absolutes Gehör“

Laute. Hans Holbein der Jüngere (1498–1543). Porträt der französischen Gesandten Jean de Dinteville und Georges de Selve am Hof von England, Detail. © public domain.

Laute. Hans Holbein der Jüngere (1498–1543). Porträt der französischen Gesandten Jean de Dinteville und Georges de Selve am Hof von England, Detail. © public domain.

Menschen mit einem „absoluten Gehör“ können Töne ohne Bezug zu Vergleichstönen genau einordnen. Die neuronalen Grundlagen dieser außergewöhnlichen Fähigkeit werden schon seit längerem untersucht. Nun konnte ein Forscherteam bei Menschen, die über ein „absolutes Gehör“ verfügen eine enge funktionelle Kopplung zwischen dem Hörkortex und dem Stirnhirn festgestellt. Diese neuen Erkenntnisse haben nicht nur theoretische, sondern auch praktische Bedeutung.

Bach und Beethoven sollen darüber verfügt haben, Mozart ebenso: das „absolute Gehör“. Darunter versteht man die Fähigkeit, einen Ton in seiner Höhe zu benennen und einzuordnen, ohne dazu Vergleichstöne heranziehen zu müssen. Absoluthörende können einen Ton präzise als beispielsweise Cis, A oder Fis identifizieren, wogegen die meisten Menschen Töne nur relativ unterscheiden können. Diese bemerkenswerte Fähigkeit kommt nur bei einem Prozent der Normalbevölkerung vor, während immerhin 20 Prozent der professionellen Musikern sie besitzen. Sie könnte einen wesentlichen Aspekt einer außergewöhnlichen Musikbegabung darstellen.

Im Musik-Labor am Lehrstuhl für Neuropsychologie der Universität Zürich erforscht das Team um Lutz Jäncke dieses Phänomen bereits seit vielen Jahren. In der aktuellen Studie mit absolut hörenden Musikern konnten die Wissenschaftler nun wesentliche neue Erkenntnis über die zugrunde liegenden psychologischen und neurophysiologischen Prozesse beim „absoluten Gehör“ gewinnen: «Mit unserer Studie zeigen wir, wie beim ‹absoluten Hören› zwei Hirngebiete, nämlich der Hörkortex und der dorsale Frontalkortex, zusammenarbeiten. Damit vereinen wir zwei eigentlich entgegengesetzte Erklärungsansätze für das Phänomen miteinander.» so Erstautor Stefan Elmer.

Bisher gab es zwei entgegengesetzte Theorien zum „absoluten Gehör“

Ein Erklärungsansatz ging davon aus, dass Absoluthörer die Töne bereits auf einer sehr frühen Stufe der Tonverarbeitung zuordnen. Dann würden sie Töne in gleicher Weise wie Sprachlaute verarbeiten und diese bestimmten Kategorien zuordnen, was als kategorielle Wahrnehmung von Tönen bezeichnet wird. Diese These geht damit davon aus, dass die Töne bei Absoluthörern bereits im primären und sekundären Hörkortex verarbeitet werden.

Die zweite Theorie geht davon aus, dass Absoluthörer die Töne erst später verarbeiten und diese mit Gedächtnisinformationen assoziieren. Die Menschen mit dieser Begabung sollen demnach die unbewussten Zuordnungen der Töne zu Gedächtnisinhalten besonders gut beherrschen. Diese Art von Zuordnungen werden vornehmlich im oberen Stirnhirn, dem dorsalen Frontalkortex, vorgenommen. «Beide Theorien machen also hinsichtlich des Zeitpunkts und des anatomischen Ortes der speziellen Verarbeitung völlig unterschiedliche Aussagen und bislang existieren für beide Theorien unterstützende Befunde», so Lutz Jäncke.

Eine Synchronisation zwischen beiden Hirnarealen erklärt das Phänomen

In ihrer neuen Studie konnten die Forscher nun zeigen, dass bei Absoluthörenden bereits im Ruhezustand der linksseitige Hörkortex und der linksseitige dorsale Frontalkortex stark gekoppelt sind. Diese funktionelle Kopplung konnten sie mit einem mathematischen Verfahren ermitteln, das es ermöglicht vom Oberflächen-Elektroenzephalogramm (EEG) auf die Hirnaktivitäten im Inneren des Gehirns zurückzuschließen. Bei Absoluthörern sind die neurophysiologischen Aktivitäten im Frontal- und Hörkortex synchronisiert, was auf eine enge funktionale Kopplung dieser beiden Gehirnbereiche schließen lässt.

Folglich sind der Hörkortex, welcher die frühen Wahrnehmungsfunktionen erfüllt und der dorsale Frontalkortex, der die, im Verlauf des Verarbeitungsprozesses später notwendigen Gedächtnisinhalte liefert, bereits im Ruhezustand eng miteinander verwoben. «Diese Koppelung begünstigt einen besonders effizienten Informationsaustausch zwischen dem Hörkortex und dem dorsalen Frontalkortex bei Absoluthörern, so dass Wahrnehmungs- und Gedächtnisinformationen schnell und effizient ausgetauscht werden können», erläutert Elmer.

Neue Erkenntnisse könnten gezielteres Training der Hörfähigkeit ermöglichen

Die Forschungsergebnisse sind nicht nur für das Verständnis des „absoluten Gehörs“ von Bedeutung, sondern auch für das Verständnis einer effizienten Hörverarbeitung: «Die auditorische Wahrnehmung hängt nicht nur von der Integrität des Hörkortex’ ab, sondern insbesondere auch von der Verknüpfung des Hörkortex’ mit übergeordneten Hirnstrukturen, die Gedächtnisinformationen verarbeiten», fasst Lutz Jäncke zusammen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse könnte es möglich werden, Trainingsmaßnahmen zu erarbeiten, mit denen die Hörleistungen im Alter aber auch im Kontext verschiedener Hörbeeinträchtigungen verbessert werden könnte.

Universität Zürich, 07.01.2015

 

Originalpublikation:

Stefan Elmer, Lars Rogenmoser, Jürg Kühnis und Lutz Jäncke. Bridging the gap between perceptual and cognitive perspectives on absolute pitch. The Journal of Neuroscience, 6. Januar, 2015. doi: 10.1523/JNEUROSCI.3009-14.2015

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