Springende Gene als Evolutionsbeschleuniger

Schnabeltier.© Klaus. CC BY-SA 2.0.

Schnabeltiere sind sehr urtümliche Säugetiere, die einerseits Eier legen, ihre Jungen nach dem Schlüpfen jedoch mit Milch versorgen. © Klaus. CC BY-SA 2.0.

Schon lange rätseln Wissenschaftler, wie sich im Laufe der Evolution völlig neue Strukturen gebildet haben. Bisher konnten sie nur graduelle Veränderungen erklären, wie etwa die Umwandlung von Vorderextremitäten zu Delphinflossen oder Fledermausflügeln. Wie dagegen völlig neue Gebilde, wie etwa die ersten Gliedmaßen, entstanden sind, konnten ihre Theorien bislang nicht darlegen. Nun haben Wissenschaftler die evolutionäre Entstehung der Plazenta bei Säugetieren untersucht und herausgefunden, dass dabei springende Gene eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten.

Vincent Lynch von der Universität in Chicago träumte schon als Student davon, die Evolution der Säugetiere zu erforschen. Es reizte ihn herauszufinden, welche genetischen Veränderungen es den ursprünglich eierlegenden Tieren erlaubten lebende Junge auf die Welt zu bringen. Um dieses Rätsel zu lösen fehlte Vincent Lynch nur noch die Gewebeprobe eines trächtigen Schnabeltiers. Jahrelang hatte er vergeblich versucht eine solche Probe zu bekommen. Erst als ein Kollege ihm diese vor kurzem zur Verfügung stellten konnte, hatte er alle nötigen Gewebeproben zur vergleichenden Erforschung der Säugetierevolution beisammen.

Schnabeltiere sind sehr urtümliche Säugetiere, die einerseits Eier legen, ihre Jungen nach dem Schlüpfen jedoch mit Milch versorgen. Ihre Tragzeit dauert nur kurze zwei bis drei Wochen. In dieser Zeit ist der Embryo von einer dünnen Eihülle umgeben und wird über eine einfache Dottersack-Plazenta im Ei versorgt. 10 Tage nach der Eiablage schlüpfen die Jungen und werden von der Mutter mit Milch versorgt, die sie über mehrere Stellen in ihrer Bauchgegend ausschwitzt. Im Gegensatz zu den echten Säugetieren verfügt sie nämlich nicht über Zitzen.

Kängurubaby im Beutel seiner Mutter. Im Gegensatz zu höheren Säugetieren werden Beuteltiere in einem noch embryoartigen Stadium geboren. Die meisten ihrer Organe sind zu diesem Zeitpunkt noch wenig ausgereift. Nur ihre Vorderextremitäten sind schon gut entwickelt, weil die Winzlinge sie mit ihrer Hilfe in den schützenden Beutel der Mutter krabbeln müssen und sich dort an den Zitzen zu nähren.

Kängurubaby im Beutel seiner Mutter. Im Gegensatz zu höheren Säugetieren werden Beuteltiere in einem noch embryoartigen Stadium geboren. Die meisten ihrer Organe sind zu diesem Zeitpunkt noch wenig ausgereift. Nur ihre Vorderextremitäten sind schon gut entwickelt, weil die Winzlinge mit ihrer Hilfe in den schützenden Beutel der Mutter krabbeln müssen, um sich dort an den Zitzen zu nähren. © Geoff Shaw CC BY-SA 3.0

Auch Beuteltiere haben mit zwei bis sechs Wochen eine vergleichsweise kurz Tragzeit. Meist verfügen sie über keine echte Plazenta, sondern versorgen ihre Embyonen über einen Dottersack. Sie bilden keine richtige Barriere zwischen Embryo und Mutter. Deshalb muss ihre Tragzeit enden, bevor die Immunabwehr der Mutter richtig in Gang kommt. Ihre Jungen werden zwar lebend geboren, sind aber bei ihrer Geburt noch in einem embyoartigen Zustand. Sie wiegen meist nicht mehr als 1% des Gewichts ihrer Mutter. Die meisten ihrer Organe sind noch kaum entwickelt. Nur ihre Vordergliedmaßen sind schon voll funktionsfähig, denn mit ihrer Hilfe müssen die neugeborenen Winzlinge aus eigener Kraft in den schützenden Beutel und zu den nahrungsspendenden Zitzen der Mutter krabbeln.

Höheren Säugetiere verfügen über eine komplexe Plazenta, die den Embryo einerseits mit Nährstoffen versorgt und andererseits die Entsorgung von Ausscheidungsprodukten und den Gasaustausch sicher stellt. Sie besteht sowohl aus mütterlichem als auch aus embryonalem Gewebe. Im Gegensatz zu den meisten anderen Organen muss sie bereits während ihrer Wachstumsphase voll funktionstüchtig sein und jederzeit die sich stetig ändernden Bedürfnisse des Embryos erfüllen. Darüber hinaus hat die Plazenta auch hormonelle Aufgaben, um die Abstimmung zwischen Mutter und Embryo zu gewährleisten. Durch die Unterdrückung des mütterlichen Immunsystems können höheren Säugetiere, trotz fehlender Eihülle, die Abstoßung ihrer Embryonen verhindern. Dies ermöglicht es ihnen ihre Jungen über einen langen Zeitraum im Schutz ihres Körpers heranreifen zu lassen. Ihre Tragzeiten können daher extrem lang sein, wie etwa beim Elefant, dessen Junge erst nach zwei Jahren das Licht der Welt erblicken.

Menschliche Plazenta mit Embryo. © Wei Hsu and Shang-Yi Chiu. CC BY 2.5

Menschliche Plazenta mit Embryo. Höheren Säugetiere versorgen ihre Jungen mit Hilfe einer komplexen Plazenta, die den Embryo mit Nährstoffen versorgt und die Entsorgung von Ausscheidungsprodukten und den Gasaustausch sicher stellt. Sie besteht sowohl aus mütterlichem als auch aus embryonalem Gewebe. © Wei Hsu and Shang-Yi Chiu. CC BY 2.5

Der Entwicklungsschritt vom Eierlegen zum Gebären lebender Jungen war gewaltig. Er erforderte massive genetische Veränderungen. Schließlich musste die Versorgung des Embryos durch einen von einer Eischale umhüllten Dottersack auf eine im Leib der Mutter verbleibende, komplexe Plazenta umgestellt werden. Um herauszufinden, wie sich diese Entwicklung abgespielt haben könnte verglichen die Forscher 13 verschiedene Säugetierarten miteinander: unter anderem das eierlegende Schnabeltier als einen Repräsentanten urtümlicher Säuger, das Beuteltier Opossum und Hund, Kuh und Gürteltier als Beispiele höherer Säugetiere. Dazu erfassten sie alle Gene, die bei diesen Tieren während der Tragzeit aktiv waren. Um herauszufinden, welche Gene im Laufe der Evolution an- oder abgeschaltet wurden verglichen sie die Aktivitätsmuster dieser Gene während der Tragzeit bei den verschiedenen Säugetiertypen.

Tatsächlich fanden die Wissenschaftler Tausende von Genen, die bei den verschiedenen Tierarten an- oder abgeschaltet waren. So aktiviert etwa das Schnabeltier Hunderte von Genen, die für die Bildung der Eischalen notwendig sind. Beuteltiere und höhere Säugetiere verfügen auch über diese Gene. Im Gegensatz zum Schnabeltier sind sie bei ihnen jedoch abgeschaltet. Dagegen aktivieren lebendgebärende Säugetiere während ihrer Tragzeit hunderte von Genen, die das mütterliche Immunsystem unterdrücken und die hormonelle Kommunikation zwischen Mutter und Fötus gewährleisten.

Aufbau der Plazenta. © public domain.

Aufbau der Plazenta. © public domain.

Während der Embryo beim Schnabeltier durch seine Eischale vor dem mütterlichen Immunsystem abgeschirmt ist müssen lebendgebärende Säugetiere ihre Föten vor dem eigenen Immunsystem schützen. Schließlich sind bei Mutter und Embryo nur die Hälfte aller Gene gleich. Das Immunsystem der Mutter müsste also den Embryo als fremd erkennen und ihn bekämpfen, was zu einer Abstoßung führen würde. Deshalb konnten die höheren Säuger ihre Eierschalen erst loswerden, nachdem sich ein Mechanismus entwickelt hatten, der die gegen den Embryo gerichtete Immunreaktionen, und zwar nur diese, unterdrückte. Denn die Mutter muss trotz dieser Immunsuppression weiterhin dazu in der Lage sein Krankheitskeime, die eine Gefahr für sie selbst und den Embryo darstellen, in Schach zu halten. Weiter mussten bei den Lebendgebärenden Prozesse entstehen, die es der Mutter erlaubten mit dem Embryo zu kommunizieren, damit sie sich an die wechselnden Bedürfnisse des Embryos anpassen kann. Wie die Forscher bei näherer Betrachtung herausfanden, erfüllten viele der, bei der Schwangerschaft, aktivierten Gene bereits zuvor Aufgaben in anderen Organen, wie etwa dem Gehirn, dem Darm oder dem Blutkreislauf.

Bakterielles Transposon.  Es besteht aus zwei Insertionssequenzen, die für Gene kodieren, die für die Transposition notwendig sind. Flankierende Gene können für andere Proteine kodieren, wie etwa für Antibiotikaresistenzen oder Resistenzen gegenüber anderen Viren. © Jacek FH. CC BY-SA 3.0

Bakterielles Transposon. Es besteht aus zwei Insertionssequenzen, die für Gene kodieren, die für die Transposition notwendig sind. Flankierende Gene können für andere Proteine kodieren, wie etwa für Antibiotikaresistenzen oder Resistenzen gegenüber anderen Viren. © Jacek FH. CC BY-SA 3.0

Wie aber gelang es diese Vielzahl von Genen alle gleichzeitig in einem völlig anderen Kontext zu aktivieren? Hier kommen die springenden Gene, auch Transposons genannt, ins Spiel. Transposons gelten als eine Art eigennütziger DNA-Parasiten, die in den Genomen aller Lebewesen vorkommen. Oft besitzen sie ein eigenes Enzym, Transposase genannt, das es ihnen erlaubt sich aus dem Genom herauszuschneiden und an einer anderen Stelle wieder einzufügen. Andere Transposons können eine Kopie von sich selbst erstellen, die sich dann an einer neuen Position im Wirtsgenom integrieren kann. Oft vermehren sie sich auf Kosten ihres Wirts: Wenn sie an eine heikle Position springen können sie Krebs auslösen. Deshalb haben viele Organismen Gegenmaßnahmen entwickelt, um das selbständige Springen der Transposons auf ein erträgliches Maß zu beschränken. In manchen Fällen kann das Springen von Transposons jedoch für den Wirt auch von Vorteil sein. Das ist etwa dann der Fall, wenn es regulatorische Elemente mitbringt, die es erlauben das betroffene Gen in einem völlig neuen Kontext zu aktivieren und zu nutzen.

Genau das könnte laut den Forschern bei vielen Genen, die für die Entwicklung der Säugetiere entscheidend waren, der Fall gewesen sein. Denn sie fanden heraus, dass Tausende regulatorischer Elemente der für die Säugerevolution relevanten Gene von alten Säugetier-Transposons stammen. Diese Transposons verteilten sich über das gesamte Genom und vermittelten den Genen dabei regulatorische Elemente, die sie auf das Schwangerschaftshormon Progesteron ansprechen ließen. So wurde es möglich bei einer Schwangerschaft all diese Gene gleichzeitig über ein einziges Hormon zu aktivieren. Dieser Entwicklungsprozess könnte sich innerhalb von „nur“ einer Million Jahren vollzogen haben, einer für evolutionsbiologische Verhältnisse relativ kurzen Zeitspanne.

Schon lange haben Wissenschaftler darüber spekuliert, welche Rolle springende Gene für die Evolution spielen könnten. Nun konnten Lynch und sein Team zeigen, dass sie tatsächlich die Rolle von Evolutionsbeschleunigern erfüllt haben könnten. Die Ergebnisse des Forscherteams legen nahe, dass die Evolution nicht nur in kleinen Schritten erfolgen kann, sondern auch zu größeren Entwicklungssprüngen fähig ist. Dabei könnten ihr die springenden Gene im wahrsten Sinne des Wortes auf die Sprünge helfen. Man darf gespannt sein, welche hochkomplexen, evolutionären Schritte als nächstes mit der von Lynch eingeführten Methode entschlüsselt werden.

von Ute Keck, 12.02.2015

 

Originalpublikationen:

Lynch VJ, Leclerc RD, May G, Wagner GP. Transposon-mediated rewiring of gene regulatory networks contributed to the evolution of pregnancy in mammals. Nat Genet. 2011 Sep 25;43(11):1154-9. doi: 10.1038/ng.917.

Lynch VJ, Nnamani MC, Kapusta A, Brayer K, Plaza SL, Mazur EC, Emera D, Sheikh SZ, Grützner F, Bauersachs S, Graf A, Young SL, Lieb JD, DeMayo FJ, Feschotte C, Wagner GP. Ancient Transposable Elements Transformed the Uterine Regulatory Landscape and Transcriptome during the Evolution of Mammalian Pregnancy. Cell Rep. 2015 Jan 27. pii: S2211-1247(14)01105-X. doi: 10.1016/j.celrep.2014.12.052. [Epub ahead of print]

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