Mit Unterschieden in der Darmflora zu neuen Arten?

Die beiden Unterarten der Hausmaus in Europa: Mus musculus musculus aus Österreich (links) und Mus musculus domesticus aus Deutschland (rechts). © MPI f. Evolutionsbiologie / Ch. Pfeifle

Die beiden Unterarten der Hausmaus in Europa: Mus musculus musculus aus Österreich (links) und Mus musculus domesticus aus Deutschland (rechts).
© MPI f. Evolutionsbiologie / Ch. Pfeifle

Wir sind nicht allein. Das waren wir noch nie: Denn Bakterien besiedeln die Erde schon weitaus länger als wir vielzelligen Organismen und beeinflussen somit auch seit Anbeginn unsere Evolution. Sie könnten sogar die Entwicklung neuer Arten vorantreiben, wie Wissenschaftler nun herausgefunden haben. Die Forscher untersuchten Bakteriengemeinschaften im Darm zweier Mäuse-Unterarten und ihrer Mischlinge. Wie sie beobachteten, unterscheiden sich nicht nur die beiden Unterarten hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Darmflora. Sondern auch die Hybriden der beiden Unterarten besitzen eine für sie charakteristische Bakteriengemeinschaft. Diese verschiedenen Darmfloren gehen mit Unterschieden der Immunsysteme einher. Das könnte erklären, warum Mischlinge der beiden Unterarten weniger überlebensfähig sind als ihre reinerbigen Eltern. Die Darmflora könnte so dazu beitragen, dass sich die beiden Unterarten zu vollständig getrennten Arten entwickeln.

Bakterien haben vielfach einen schlechten Ruf. Sie können als Sekundärinfektion bei einer Erkältung zu Komplikationen führen und Durchfall und andere unerfreuliche Begleiterscheinungen auslösen. Die meisten Bakterien sind aber entweder harmlos oder sogar durchaus nützlich. Für die Verdauung im Darm sind sie beispielsweise unerlässlich: Manche von ihnen produzieren Vitamine und Fettsäuren, wieder andere sorgen dafür, dass wir Ballaststoffe verdauen oder Stärke verwerten können. Gleichzeitig sorgen sie alle zusammen dafür, dass pathogene Bakterien in unserem Darm keine Chance haben. Aufgebaut wird die Darmflora etwa mit der Geburt oder durch den täglichen Kontakt zwischen Eltern und Nachkommen.

Das sogenannte Mikrobiom, also die mit einem Organismus zusammen lebenden Mikroorganismen, beeinflusst darüber hinaus aber auch maßgeblich seine Evolution. Wissenschaftler rund um John Baines vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, haben die Darmflora und das Erbgut zweier europäischer Mäuse-Unterarten miteinander verglichen: Mus musculus domesticus kommt westlich einer Linie vor, die durch die neuen Bundesländer, Bayern, das westliche Österreich und den Balkan zum Schwarzen Meer verläuft. Mus musculus musculus lebt östlich dieser Grenze. Die beiden Unterarten der Mäuse können sich zwar noch untereinander fortpflanzen, doch ihre Nachkommen sind weniger fruchtbar als reinerbige Tiere.

Die Forscher haben das Erbgut und Darmgewebe von Hybriden aus der rund 40 Kilometer breiten Überlappungszone untersucht, in der beide Unterarten gemeinsam vorkommen und sich miteinander kreuzen. Ihre Ergebnisse haben sie darüber hinaus mit Analysen von im Labor gezüchteten Tieren der beiden Unterarten und ihren Hybriden verglichen.

Die Wissenschaftler untersuchten die Artenvielfalt der Darmbakterien mit genetischen Analysen. Dabei zeigte sich, dass nicht nur Labor- und Wildmäuse jeweils eine deutlich andere Darmflora besitzen, sondern auch die beiden Unterarten und die Hybriden. Die Mischlinge unterscheiden sich sogar deutlicher von ihren reinerbigen Eltern, als diese voneinander. „Die Unterschiede zwischen Labor- und Wildtieren lassen sich durch die verschiedenen Lebens- und Ernährungsbedingungen leicht erklären. Auf die Differenzen zwischen den wilden Mäusen trifft das nicht zu, denn die Tiere kommen in der Natur im selben Lebensraum vor“, sagt John Baines, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.

Laut den Forscher liegt der Grund in den verschiedenen Genen – insbesondere den Genen des Immunsystems. Mäuse mit unterschiedlichen Varianten von Immungenen besitzen demnach eine andere Bakterienzusammensetzung im Darm. Ein Beispiel dafür, wie das Immunsystem die Darmflora beeinflusst, sind die T-Zellen. Diese Immunzellen kommen auch im Darmgewebe vor und unterscheiden sich bei den Hybridmäusen. Die Unterschiede im Immunsystem der Mischlinge beeinträchtigen offenbar deren Darmflora.

Die Darmbakterien der Hybriden weisen einerseits eine geringere Artenvielfalt auf und die einzelnen Arten kommen gleichzeitig unterschiedlich häufig vor. Bei den Hybriden treten etwa deutlich mehr Helicobacter-Bakterien auf, als bei den beiden reinrassigen Tieren der Elterngeneration. Die zu dieser Gruppe gehörenden Arten gelten als Verursacher von Darmgeschwüren beim Menschen. Blautia-Bakterien dagegen kommen in den Mischlingen relativ selten vor.

Das ist anscheinend nicht zum Wohl der Mäuse, denn die Forscher haben festgestellt, dass das Darmgewebe der Hybriden häufiger entzündet ist als das der Elterntiere. „Dies ergänzt frühere Ergebnisse, wonach die Hybriden der beiden Maus-Unterarten eine geringere Fitness aufweisen, also schwächer und kränker sind und weniger Junge bekommen“, so Baines.

Das Erbgut der beiden Mäuse-Unterarten hat sich also schon so weit auseinander entwickelt, dass Hybride ihren Darmbakterien keine optimalen Bedingungen mehr bieten können und die Tiere dadurch eine geringere Fitness besitzen.

Max-Planck-Gesellschaft, 16. März 2015

 

Originalpublikation:

Jun Wang, Shirin Kalyan, Natalie Steck, Leslie M. Turner, Bettina Harr, Sven Künzel, Marie Vallier, Robert Häsler, Andre Franke, Hans-Heinrich Oberg, Saleh M. Ibrahim, Guntram A. Grassl, Dieter Kabelitz & John F. Baines. Analysis of intestinal microbiota in hybrid house mice reveals evolutionary divergence in a vertebrate hologenome. Nature Communications, 4. März 2015. DOI: 10.1038/ncomms7440

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