Wie das Immunsystem die Atherosklerose bremsen könnte

Gefäß (grün) innerhalb eines ATLOs, das Immunzellen erlaubt, die Arterienwand zu infiltrieren (High Endothelial Venule, abgekürzt HEV). Die Entzündungsreaktion wird durch die rote Farbe angedeutet. DNA unterschiedlicher Zellen erscheint blau gefärbt.  © S.Mohanta, IPEK

Gefäß (grün) innerhalb eines ATLOs, das Immunzellen erlaubt, die Arterienwand zu infiltrieren (High Endothelial Venule, abgekürzt HEV). Die Entzündungsreaktion wird durch die rote Farbe angedeutet. DNA unterschiedlicher Zellen erscheint blau gefärbt. © S.Mohanta, IPEK

Bisher glaubte man, das Immunsystem sei maßgeblich an der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Atherosklerose beteiligt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, wie Forscher nun herausgefunden haben. Wenn die Krankheit mit zunehmendem Alter immer weiter fortschreitet bilden sich an den Außenwänden der Blutgefäße sogenannte tertiäre Lymphorgane. Sie treten immer genau an den Stellen auf, wo sich atherosklerotische Plaques befinden. Diese Immunorgane können die außer Kontrolle geratene Immunreaktion abbremsen.

Eine Atherosklerose entsteht, wenn sich Fette an den Innenwänden der Blutgefäße ablagern. Patroullierende Immunzellen registrieren bereits die kleinsten Veränderungen an den Blutgefäßwänden und wandern in die betroffenen Bereiche ein. Dort versuchen Makrophagen, die Fresszellen des Immunsystems, die abgelagerten Fette zu entsorgen, indem sie sie aufnehmen. Sie wandeln sich schließlich zu den sogenannten Schaumzellen um und bilden das sogenannte Fatty Streak, das erste sichtbare Anzeichen einer beginnenden Atherosklerose. In diesem Stadium ist die Erkrankung jedoch immer noch reversibel: Selbst Babys, die mit fetter Milch ernährt werden bilden solche Ansammlungen von Lipiden und Makrophagen. Wenn sie dann später wieder eine normale Ernährung zu sich nehmen, verschwinden diese Merkmale einer beginnenden „Atherosklerose“ jedoch wieder. Sammelt sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr Cholesterin und dessen Kristalle, sowie Kalk an den Gefäßwänden an so locken diese massiven Veränderungen immer mehr Immunzellen an die kritischen Stellen. Irgendwann in diesem Prozess gerät dann die Immunreaktion außer Kontrolle und richtet mehr Schaden als Nutzen an. Durch die ständige Anwesenheit und Aktivität der Immunzellen findet ein allmählicher Gewebeumbau statt: Es kommt zu einer Vermehrung von glatten Muskelzellen, einer Verkalkung und es wird vermehrt Kollagen gebildet. Dabei entsteht in dem Blutgefäß über einem Lipidkern eine bindegewebsartige Kappe. Dünnt sich diese Kappe weiter aus, so kann sie aufreißen, so dass der Fettkern dem Blutstrom ausgesetzt wird. Dadurch werden Blutblättchen zur Aggregation angeregt und es bildet sich ein Blutgerinnsel, ein sogenannter Thrombus, der das Blutgefäß entweder direkt dort verstopft, wo er entstanden ist oder wohin der Blutstrom ihn mit schwemmt. Durch den Gefäßverschluss kann es dann zu einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall kommen.

Eine wesentliche Rolle beim Fortschreiten der Erkrankung spielen die chronischen Entzündungen bei denen eine außer Kontrolle geratene Immunreaktion stattfindet. Ein internationales Forscherteam um Andreas Habenicht an der Universität München hat nun herausgefunden, dass das Immunsystem die überschießende Immunreaktion an den betroffenen Arterien auch wieder herunterfahren kann. Sein Team konnte nachweisen, dass die sogenannten arteriellen tertiären Lymphorgane (ATLOs), die sich auf den Gefäßaußenwänden befinden die Entzündungen dämpfen.

Wie atherosklerotische Plaques entstehen, ist noch nicht abschließend geklärt. Man weiß jedoch, dass Rauchen, Übergewicht oder mangelnde Bewegung zu den Risikofaktoren für diese Krankheit zählen. Wahrscheinlich reicht der Beginn der Krankheitsentstehung bis in die Jugend zurück und ist Teil des natürlichen Alterungsprozesses.

Wie das Münchner Team im Mausmodell beobachten konnte wandern im Verlauf des Alterungsprozesses Immunzellen in die Arterienwand ein und bilden an der Außenwand der Gefäße tertiäre Lymphorgane. Diese fanden die Forscher immer genau dort, wo sich auf der Innenseite atherosklerotische Plaques befanden. Die ATLOs ähneln in ihrem Aufbau den Lymphknoten. Die meisten Komponenten des Lymphsystems bilden sich bereits während der Embryonalentwicklung, wie etwa die Milz oder die Mandeln. Anders die ATLOs: Sie entstehen erst als Reaktion auf die chronischen Entzündungen im Verlaufe des Alterungsprozesses. Solche Orgnisationszentralen des Immunsystems entstehen vermutlich je nach Bedarf immer dort, wo sie gebraucht werden.

In den ATLOs konnten die Wissenschaftler alle Typen von Immunzellen nachweisen, die für die Koordination einer Immunreaktion benötigt werden. Dort finden sich also sowohl Zellen, die eine Immunreaktionen einleiten, als auch solche, die sie verhindern können. Bisher ging man davon aus, dass die ATLOs Autoimmunerkrankungen und chronische Entzündungen fördern, statt sie abzuschwächen. Doch wie das Forscherteam um Habenicht herausgefunden hat unterdrücken die ATLOs die Autoimmunreaktion an den Plaques. Mäuse, bei denen sie die ATLOs ausschalteten entwickelten mehr Atherosklerose und nicht weniger. Daraus schlossen sie, dass in den ATLOs mehr Zellen vorkommen, die die Immunreaktion dämpfen, als solche, die sie aktivieren.

Als Modellsystem für das Ausschalten der ATLOs verwendeten die Forscher Mäuse, bei denen der Lymphotoxin β receptor (LTbR) ausgeschaltete war. Er ist notwendig für die Bildung von Lymphgewebe. In einem Mausmodell bei dem dieser Rezeptor in allen Zellen ausschaltet ist beobachteten die Forscher jedoch das Gegenteil: Die Abwesenheit der ATLOs schützte die Tiere vor Atherosklerose. Deshalb glaubte man bisher, die von den ATLOs ausgehenden Immunreaktionen würden das Voranschreiten einer Atherosklerose fördern. Doch dieses Modellsystem hat gravierende Schwächen. Denn schaltet man diesen Rezeptor in allen Zellen der Mäuse aus, so kommt es zu einer massiven Veränderung ihres Immunsystems: Die Mäuse bilden keine Lymphknoten und keine Payer Plaques, die Lymphfolikel des Darms. Und auch ihre Immunzellen, wie etwa die Makrophagen, die normalerweise diesen Rezeptor auf ihrer Oberfläche tragen, haben in diesem System veränderte Eigenschaften. Gerade diese Zellen sind jedoch Kandidaten für eine hemmende Wirkung auf Atherosklerose. Alles in allem also kein geeignetes System, um die Auswirkungen des Immunsystems auf die Atherosklerose zu untersuchen. Daher wählten die Forscher ein ausgeklügelteres Modellsystem, bei dem der Rezeptor nur in den Zellen ausgeschaltet war, die die Bildung der ATLOs einleiten. Die so veränderten Mäuse verfügen über ein normales Immunsystem. Und schon sahen die Forscher völlig andere Effekte: Unter diesen Bedingungen erwiesen sich die ATLOs als vor Atherosklerose schützendes Gewebe.

ATLOs sind damit die ersten tertiären Lymphorgane für die ein entzündungshemmender Effekt nachgewiesen werden konnte. Möglicherweise trifft dies auch für andere tertiäre Lymphorgane zu, die an anderen Stellen mit chronischen Entzündungen im alternden Körper vorkommen. Sie könnten daher ein interessantes Ziel für neue Therapieansätze darstellen.

Dazu muss aber beispielsweise noch geklärt werden, wie sich die ATLOs im Falle einer Infektion verhalten. Denn die Forscher hielten die Mäuse unter sterilen Bedingungen. Möglicherweise könnten diese Immunorgane dann ihre Tendenz zur Abschwächung einer Immunreaktion umkehren und plötzlich eine Entzündungsreaktion fördern.

“Unserer Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, die Atherosklerose-spezifischen Immunzellen zu isolieren und molekular zu charakterisieren. Anschließend können wir die Zellen dann hinsichtlich ihrer Funktion untersuchen und mittelfristig verwenden, um neue Therapieoptionen zu entwickeln. Langfristig könnte so möglicherweise eine Impfung gegen Atherosklerose entwickelt werden – aber bis dahin ist es noch ein langer Weg“, betont Habenicht in einem Interview mit der Universität München.

von Ute Keck

 

Originalpublikation:

Hu D, Mohanta SK, Yin C, Peng L, Ma Z, Srikakulapu P, Grassia G, MacRitchie N, Dever G, Gordon P, Burton FL, Ialenti A, Sabir SR, McInnes IB, Brewer JM, Garside P, Weber C, Lehmann T, Teupser D, Habenicht L, Beer M, Grabner R, Maffia P, Weih F, Habenicht AJ. Artery Tertiary Lymphoid Organs Control Aorta Immunity and Protect against Atherosclerosis via Vascular Smooth Muscle Cell Lymphotoxin β Receptors. Immunity. 2015 Jun 16;42(6):1100-15. doi: 10.1016/j.immuni.2015.05.015

 

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