Wie ein unsteter Schlaf-Wach-Rhythmus das Gedächtnis beeinflusst

© public domain.

© public domain.

Wer ausgeschlafen ist, ist geistig wacher und auch sein Gedächtnis funktioniert zuverlässiger. Denn während wir schlafen, bleibt unser Stirnhirn aktiv – der sogenannte präfrontale Kortex: Er sorgt dafür, dass Erinnerungen und Gelerntes in das Langzeitgedächtnis übergehen. Forscher haben bei Mäusen die Produktion des Wachstumsfaktors IGF2 vom Schlaf-Wach-Rhythmus entkoppelt und konnten dadurch deren Langzeitgedächtnis verbessern. Das hängt möglicherweise auch mit dem damit verbundenen unregelmäßigen Wach-Schlaf Rhythmus zusammen. Allerdings verhielten sich gealterte Tiere auffällig. Hohe Werte von IGF2 und ein dauerhaft unsteter Schlafrhythmus scheinen dem Gehirn also offenbar langfristig zu schaden. Diese Erkenntnis hat große medizinische Bedeutung, da IGF2 ein Kandidat für die Verbesserung der Gedächtnisstörungen in der Alzheimertherapie ist.

Vieles von dem, was wir tagsüber lernen, wird zunächst im Hippocampus zwischengespeichert. Später, während wir schlfane werden die Erinnerungen gefestigt: Die Gedächtnisinhalte werden dabei in andere Gehirnregionen „übertragen“ und dort dauerhaft gespeichert. Wenn Erinnerungen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übergehen, spielt Schlaf also eine entscheidende Rolle.

Wissenschaftler haben bereits mehrere Mechanismen identifiziert, die die Gedächtnisbildung steuern und den Schlaf-Wach-Zyklen kontrollieren. Wie jedoch diese beiden Prozesse auf molekularer Ebene zusammenspielen ist bislang noch weitestgehend unbekannt. „Wir wollten herausfinden, wie die Schlaf-Wach-Regulation die Gedächtniskonsolidierung beeinflusst“, erklärt Ali Shahmoradi vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. Die Forschergruppe kam dabei der Wirkung eines bestimmten Moleküls auf die Spur: dem Wachstumsfaktor Insulin-like Growth Factor 2 (IGF2). „Das Polypeptid beschleunigt offenbar die Konsolidierung des deklarativen Gedächtnisses – Mäuse mit erhöhtem IGF2-Spiegel in der Hirnrinde lernen schneller“, sagt Rossner, der die Studie am Göttinger Max-Planck-Institut geleitet hat.

Die Forscher untersuchten genetisch veränderte Mäuse, bei denen der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört ist und die strikt tageszeitliche Regulation von IGF2 in der Hirnrinde ausgeschaltet war. Der Wachstumsfaktor IGF2 und seine Wirkung war damit nicht mehr an den Schlaf-Wach Rhythmus gekoppelt. Außerdem war die Produktion des Polypeptids wesentlich erhöht. Die Mäuse hatten dadurch nicht nur ein besseres Gedächtnis als normale Mäuse, sondern waren auch geistig fitter: Sie besitzen ein besseres Langzeitgedächtnis und können veraltete Erinnerungen besser korrigieren. Die Tiere ohne tageszeitliche Regulation von IFG2 mussten allerdings öfters mal ein ‚Schläfchen‘ einlegen, um zu regenerieren.

IGF2 gilt unter Neurowissenschaftlern als Substanz, die die geistige Leistungsfähigkeit verbessert, und ist auch ein Kandidat für die Alzheimertherapie. Die Max-Planck-Forscher fanden allerdings in ihrer Studie auch heraus, dass IGF2 dem Gehirn langfristig schadet. Neben dem verbesserten Langzeitgedächtnis legten die Mäuse psychiatrisch auffällige Verhaltensmuster an den Tag: So waren sie nervöser und ängstlicher. Und auch die gesteigerte Gedächtnisleistung selbst war nur von kurzer Dauer. Bei gealterten Mäusen fiel sie wieder drastisch ab. Deshalb warnt Rossner: „Die Verwendung von IGF2 in der Alzheimertherapie muss kritisch beleuchtet werden. Unsere Studie lässt darauf schließen, dass eine dauerhaft zu hohe Konzentration des Stoffs dem Gehirn Schaden zufügen kann.“

Max-Planck-Gesellschaft, 31. Juli 2015

 

Originalpublikationen:

Ali Shahmoradi, Konstantin Radyushkin, and Moritz J. Rossner
Enhanced memory consolidation in mice lacking the circadian modulators Sharp1 and -2 caused by elevated Igf2 signaling in the cortex. PNAS, 22 June 2015. doi: 10.1073/pnas.1423989112

Paul C. Baier, Magdalena M. Brzózka, Ali Shahmoradi , Lisa Reinecke, Cristina Kroos, Sven P. Wichert, Henrik Oster, Michael C. Wehr, Reshma Taneja, Johannes Hirrlinger, Moritz J. Rossner
Mice lacking the circadian modulators SHARP1 and SHARP2 display altered sleep and mixed state endophenotypes of psychiatric disorders.
PLoS One, 23 October 2014. DOI: 10.1371/journal.pone.0110310

Kommentare sind geschlossen.