Der Eisbär Knut aus dem Zoologischen Garten Berlin starb 2011 an einem epileptischen Anfall, bei dem er in seinem Wasserbecken ertrank. Wie eine Autopsie des Bären ergab litt er an einer Enzephalitis, einer Gehirnentzündung. Diese Erkrankung kann verschieden Ursachen haben: Sie kann durch eine Infektion mit Viren, Bakterien, Protozoen oder Pilzen hervorgerufen werden. Aber auch eine Immunreaktion gegen körpereigene Proteine, eine sogenannte Autoimmunreaktion, kann für sie verantwortlich sein. Was der Grund für Knuts Enzephalitis war blieb bisher unklar, denn eine intensive Suche nach möglichen Krankheitserregern blieb ergebnislos. Nun haben Forscher herausgefunden, dass der Bär an einer Autoimmunkrankheit namens Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis litt, die bisher nur beim Menschen diagnostiziert wurde.
Als der Neurologe Harald Prüß, Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Berlin und Facharzt an der Klinik für Neurologie der Charité, sich den Befund des Bären genauer ansah erkannte er erstaunliche Parallelen zu seinen eigenen Patienten. Denn seit 2010 hat man herausgefunden, dass die meisten Menschen, bei denen eine Enzephalistis ungeklärter Ursache diagnostiziert wurde an einer Autoimmunkrankheit namens Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis leiden. Die Betroffenen besitzen Antikörper, die gegen eine Untereinheit eines Glutamat-Rezeptors (den NMDA-Rezeptor) gerichtet sind. Diese fehlgeleitete Immunreaktion führt zu einer Entzündungsreaktion und Schwellungen im Gehirn. Die Erkrankung macht sich zunächst durch Kopfschmerzen, Übelkeit und schwaches Fieber bemerkbar, gefolgt von psychischen Begleiterscheinungen wie Angst, Erregung, bizarrem Verhalten, Wahn und Halluzinationen. Schließlich kommt es zu Epileptischen Anfällen und Bewusstseinstörungen, Störungen des Bewegungsablaufs, Fehlfunktionen des vegetativen Nervensystems und Hyperventilation.
Gemeinsam mit dem Team, das bisher die Todesursache von Knut untersucht hatte analysierte Prüß die Gewebeproben des Eisbären noch einmal genauer auf seinen Verdacht hin. Und tatsächlich: Knuts Gehirnflüssigkeit enthielt die für die Autoimmunkrankheit typischen Antikörper, die gegen eine Untereinheit des Glutamat-Rezeptors gerichtet sind. An Gewebsschnitten des Gehirns konnten die Forscher zudem eingewanderte Plasmazellen, Immunzellen, die Antikörper bilden und ausschütten und einen geringfügigen Verlust an Nervenzellen nachweisen.
Bisher hatte man die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis nur beim Menschen nachgewiesen. Wie der Befund von Knut nun beweist könnte die Krankheit bei Säugetieren jedoch wesentlich weiter verbreitet sein, als bisher angenommen. Beim Menschen lässt sich die Erkrankung relativ gut diagnostizieren und behandeln. Die Forscher hoffen nun diese Therapie auch bei betroffenen Zootieren erfolgreich anwenden zu können.
Doch die Diagnose von Knut könnte noch weitreichendere Konsequenzen haben: Laut Prüß ist es durchaus möglich, dass bei der Diagnose von Patienten mit Psychosen oder Gedächtnisstörungen autoimmunvermittelte Entzündungen übersehen werden. Denn solche Patienten werden bisher nicht auf die entsprechenden Antikörper getestet. Und das obwohl man diese Patienten erfolgreich therapieren könnte.
von Ute Keck
Originalpublikation:
H. Prüss, J. Leubner, N. K. Wenke, G. Á. Czirják, C. A. Szentiks & A. D. Greenwood. Anti-NMDA Receptor Encephalitis in the Polar Bear (Ursus maritimus) Knut. Scientific Reports 5, Article number: 12805 (2015). doi:10.1038/srep12805