Bei AIDS-Patienten sterben nach und nach fast alle T-Helferzellen des Immunsystems ab. Da diese Zellen für eine funktionierende Immunabwehr essentiell sind bricht diese bei den Betroffenen in der Folge zusammen. Bisher glaubte man, die T-Helferzellen würden durch die Infektion mit dem HI-Virus zugrunde gehen. Doch wie Forscher nun herausgefunden haben sterben die meisten T-Helferzellen aufgrund einer Kettenreaktion ab, die durch das eigene Immunsystem hervorgerufen wird. Diese Kettenreaktion kann wahrscheinlich durch einen bereits erfolgreich am Menschen erprobteń Wirkstoff unterbrochen werden.
Um sich vermehren zu können braucht das HI-Virus aktive Zellen. Nur diese kann es dazu umprogrammieren Virenpartikel zu bilden. Doch bei den meisten T-Helferzellen, die das Virus infiziert handelt es sich um ruhende Zellen. Ihr heruntergefahrener Stoffwechsel erlaubt es dem Virus nicht sich zu vervielfältigen. In der Zelle angekommen wird der ursprünglich aus RNA bestehende genetische Code des Retrovirus in DNA umgeschrieben. Diese virale DNA verbleibt in der Helferzelle. In den ruhenden Zellen kommt die Infektion des Virus jedoch vorzeitig zum Stillstand. Zur Überraschung der Forscher an den Gladstone Institutes erkennen die ruhenden Zellen die fremde DNA und aktivieren zur Bekämpfung des Virus eine Immunantwort, die über einen Pyroptose genannten Mechanismus zur Selbstzerstörung der Zellen führt.
Dieser Mechanismus soll die Ausbreitung des Virus verhindern. Doch im Falle von AIDS bewirkt sie genau das Gegenteil: Durch das Absterben der infizierten Zellen werden weitere Helferzellen zu dem Entzündungsherd gelockt, wo sie sich mit dem Virus infizieren und daraufhin selbst zerstören. Ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt. Dieser Infektionsweg ist 100 bis 1000 mal effektiver, als wenn frei schwimmende Virenpartikel einzelne Zellen infizieren. 95% aller T-Helferzellen sterben auf diese Weise. AIDS entsteht damit nicht durch die direkte Wirkung von HIV auf die Immunzellen. Vielmehr wird die Krankheit massive durch die eigene Virenabwehr angefacht. Sie macht es dem Virus ungewollt leicht sich von einer Helferzelle zur nächsten auszubreiten.
Die neuen Erkenntnisse ermöglichen völlig neue Therapieansätze: Bisher gegen AIDS eingesetzte Medikamente unterbinden die Vermehrung des Virus. Nun könnte man versuchen die Krankheit einzudämmen, indem man den Teufelskreis zu durchbrechen versucht, der die T-Helferzellen zerstört.
Glücklicherweise gibt es bereits Wirkstoffe, die die Selbstzerstörung der Helferzellen unterbinden: Sogenannte Capsase-1-Inhibitoren. Einer dieser Wirkstoffe wurde bereits erfolgreich auf seine Verträglichkeit bei Menschen getestet.
Nun sind die Forscher dabei zu untersuchen ob Capsase-1-Inhibitoren im Tiermodell die T-Helferzellen vor der Selbstzerstörung schützen können. Die bisherigen Ergebnisse sehen vielversprechend aus. Als nächstes wollen sie testen ob diese Inhibitoren auch beim Menschen wirken. Es wäre ein gewaltiger Erfolg für die AIDS-Therapie, wenn es gelänge, das Absterben der T-Helferzellen zu verhindern. Denn dieser Mechanismus stellt das Schlüsselproblem von AIDS dar. Wenn sich dieser neue Therapieansatz als erfolgreich erweist könnte man die bisher bewährten AIDS-Medikamenten mit den Capsase-1-Inhibitoren zu einem wirksamen Medikamentencocktail ergänzen.
Gladstone Institutes, USA, 27 August 2015
Originalpublikation:
Nicole L. Galloway, Gilad Doitsh, Kathryn M. Monroe, Zhiyuan Yang, Isa Muñoz-Arias, David N. Levy, Warner C. Greene. Cell-to-Cell Transmission of HIV-1 Is Required to Trigger Pyroptotic Death of Lymphoid-Tissue-Derived CD4 T Cells. Cell Reports, 2015 DOI: 10.1016/j.celrep.2015.08.011