Das Immunsystem jedes Menschen kann bis zu mehrere hunderttausend verschiedene T-Zellen umfassen, wobei jede von ihnen andere Rezeptoren trägt. Diese enorme Vielfalt ist die Voraussetzung für eine schlagkräftige Immunabwehr. Wissenschaftler haben nun eine Sequenzierungsmethode entwickelt, mit der sie das Repertoire an T-Zell-Rezeptoren eines Menschen genau analysieren können. So lässt sich mitverfolgen, wie das Abwehrsystem auf Krankheiten reagiert.
Jeder Mensch ist einzigartig – erst recht auf molekularer Ebene: Jeder 100. bis 300. Baustein im Genom unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Ganz besonders ausgeprägt ist die molekulare Individualität, wenn man die Erbanlagen für die Rezeptoren des Immunsystems betrachtet.
Zu diesen hochvariablen Rezeptoren zählen neben den Antikörpern auch die T-Zell-Rezeptoren. „Diese Diversität der Immun-Rezeptoren ist enorm wichtig, um eine möglichst große Zahl verschiedener körperfremder Substanzen passgenau erkennen zu können“, sagt Manfred Schmidt vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.
Die extreme Vielfalt der T-Zellrezeptoren hat eine genetische Grundlage. Jede T-Zelle trägt jedoch ausschließlich Rezeptoren einer einzigen Spezifität. „Die Spezifität und die Häufigkeit der Rezeptor-Gene ergeben zusammengenommen ein genaues Bild des T-Zell-Repertoires des einzelnen Menschen. Aus der Häufigkeit, mit der einzelne T-Zell-Klone vorkommen, können wir Rückschlüsse über Krankheiten und Therapieerfolge ziehen“, so Schmidt.
Die Analyse der hochvariablen Abschnitte der T-Zell-Rezeptor-Gene und die genaue Bestimmung ihrer jeweiligen Häufigkeit stellt eine große Herausforderung dar. Den Wissenschaftlern aus den Arbeitsgruppen von Manfred Schmidt und Christoph von Kalle, Direktor am NCT, gelang es nun, ein neues Verfahren zu entwickeln, mit dem präzise Sequenzanalysen des T-Zell-Repertoires gelingen.
Die Forscher erprobten die Methode zunächst an Immunzellen aus dem Blut von sechs gesunden Spendern. Dort fand sich die erwartete „Polyklonalität“, die Forscher konnten bei jeder Person tausende verschiedener T-Zell-Klone nachweisen.
Wie eine Infektion das T-Zell-Repertoire beeinflusst, konnten die Forscher am Blut von Personen beobachten, die mit dem verbreiteten Cytomegalie-Virus infiziert waren. Diese Blutzellen behandelten die Forscher mit einer Mischung von Peptiden, die verschiedene Antigene des Virus repräsentierten – und simulierten damit den Effekt einer Impfung. Kurz nach Zugabe der Viruspeptide stieg in Zellkultur der Anteil derjenigen T-Zellen an, die gegen das Virus gerichtet waren, und erreichte nach etwa zwei Wochen fast hundert Prozent.
Bei zehn Patienten, die an einem aggressiven T-Zell-Lymphom litten, konnten die Forscher durch die Analyse der T-Zell-Rezeptoren im Blut erkennen, wie sehr die Erkrankung das normale T-Zell-Repertoire reduziert.
„Mit dem neuen Vervielfältigungs- und Sequenzierungsverfahren können wir nun beispielsweise bei Kranken mit schweren Infektionen mitverfolgen, wie das Immunsystem mit den Erregern fertig wird“, sagt Christof von Kalle. Auch bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen lässt sich so feststellen, welche T-Zell-Klone das körpereigene Gewebe attackieren, bei Lymphompatienten können Ärzte den Stand der bösartigen Erkrankung mitverfolgen.“
Besonders vielversprechend ist der Einsatz des Verfahrens für die Tumor-Immuntherapie: Hier können die Forscher die Rezeptorsequenzen der T-Zellen ermitteln, die am besten gegen den Tumor wirken und diese möglicherweise künstlich nachbauen. Der immense Fortschritt bei der Sequenzierung von DNA und RNA – da sind sich die Autoren einig – wird zukünftig noch viele interessante Einblicke in das menschliche Immunsystem erlauben.
Deutsches Krebsforschungszentrum, 01.09.2015
Originalpublikation:
Eliana Ruggiero, Jan P. Nicolay, Raffaele Fronza, Anne Arens, Anna Paruzynski, Ali Nowrouzi, Gökçe Ürenden, Christina Lulay, Sven Schneider, Sergij Goerdt, Hanno Glimm, Peter H. Krammer, Manfred Schmidt, Christof von Kalle: High-resolution analysis of the human T-cell receptor repertoire. Nature Communications 2015, DOI: 10.1038/ncomms9081