Erhöhtes Krebsrisiko bei tolerantem Immunsystem

Lymphozyt. © public domain.

Lymphozyt. © public domain.

Bremsen so genannte regulatorische T-Zellen die Abwehr von tumorbekämpfenden Immunzellen, so spricht man von Immuntoleranz. Bei einer ausgeprägten Immuntoleranz verdoppelt sich das Risiko an Lungenkrebs zu erkranken und das für Dickdarmkrebs steigt um rund 60 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher in einer neuen Studie. Demnach könnten individuelle Unterschiede in der Immuntoleranz bereits lange vor Ausbruch der Krankheit die Weichen für die Entwicklung bestimmter Krebsarten stellen.

Bösartige Tumoren können sich im Körper nur entwickeln, wenn sie der Abwehr des Immunsystems entgehen. Wie zahlreiche Untersuchungen belegen, kann sich Krebs besonders aggressiv ausbreitet, wenn in der Umgebung des Tumors das Verhältnis von bremsenden zu aktivierenden Immunzellen besonders ungünstig ist. Bisher war jedoch nicht bekannt, ob der Tumor selbst die Reaktion des Immunsystems abgeschwächt oder ob eine bereits vor der Entstehung eines Tumors vorhandene Immuntoleranz die Ursache für die Entwicklung eines Tumors ist.

Rudolf Kaaks und seine Mitarbeiter von Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hatten eine einzigartige Möglichkeit, diese Frage zu klären: Denn das DKFZ in Heidelberg ist eines der Zentren an der die EPIC-Studie durchgeführt wird, mit der in ganz Europa an fast einer halben Million Menschen der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs untersucht wird. Bei den EPIC-Erstuntersuchungen von 1996 bis 1998 wurde allen Studienteilnehmern Blut abgenommen und eingefroren. Aus den 25.000 Heidelberger EPIC-Teilnehmern wählten die Forscher nun die Blutproben von rund 1000 Personen, die im Laufe des Beobachtungzeitraums an Krebs erkrankt waren (Lungenkrebs, Darmkrebs, Brust- und Prostatakrebs). Zur Kontrolle zogen sie eine Gruppe von 800 Teilnehmern heran, die keine bösartige Tumorerkrankung entwickelt hatten.

Die Forscher zählten die bremsenden regulatorischen T-Zellen in den Blutproben und setzten sie ins Verhältnis zur Gesamtzahl der T-Zellen, die auch die tumorabwehrenden Zellen umfasst. Dieses Verhältnis bezeichnet man als „ImmunoCRIT“. Im Allgemeinen gilt: Je höher sein Wert, desto stärker gedrosselt ist das Abwehrsystem.

Beim Vergleich des Krebsrisikos von EPIC-Teilnehmern mit besonders hohem oder besonders niedrigem ImmunoCRIT stellte sich heraus: Ist der Wert sehr hoch, so verdoppelt sich das Lungenkrebsrisiko, das Risiko für Dickdarmkrebs steigt um etwa 60 Prozent. Frauen mit sehr hohem ImmunoCRIT haben sogar ein verdreifachtes Risiko, an Östrogenrezeptor-negativem Brustkrebs* zu erkranken – allerdings halten die Forscher hier die Fallzahl für möglicherweise zu niedrig für eine sichere Aussage. Keine Zusammenhänge zwischen ImmunoCRIT und Erkrankungsrisiko fanden die DKFZ-Epidemiologen für Prostatakrebs und Östrogenrezeptor-positiven Brustkrebs.

Werden die tumorabwehrenden T-Zellen durch bremsende, regulatorische T-Zellen in Schach gehalten, so sprechen die Forscher von „peripherer Immuntoleranz“. „Wir konnten mit dieser Untersuchung erstmals belegen, dass das ungünstige Verhältnis der Immunzellen bereits lange vor Ausbruch der Erkrankung bestand. Es ist also eher die Ursache als die Folge einer Krebserkrankung“, sagt Rudolf Kaaks.

Die DKFZ-Forscher führten diese Studie in Kooperation mit Wissenschaftlern der Epiontis GmbH in Berlin durch. Das Unternehmen ist auf die epigenetischen Tests spezialisiert, mit denen das Verhältnis der verschiedenen T-Zell-Populationen ermittelt wurde.

Noch wissen die Wissenschaftler nicht, warum sich die Immuntoleranz auf bestimmte Krebsrisiken auswirkt, auf andere aber nicht. Eine mögliche Erklärung ist, dass Lungen- und Darmtumoren besonders stark von Immunzellen besiedelt werden, wie man aus früheren Forschungsarbeiten weiß. Die Heidelberger Epidemiologen wollen ihre Untersuchung nun auch auf andere Tumoren ausweiten.

* Brustkrebs, dessen Zellen keine Rezeptorproteine für das weibliche Geschlechtshormon Östrogen tragen.

Deutsches Krebsfoschungszentrum (DKFZ), 05.10.2015 

 

Originalpublikation:

Sebastian Dietmar Barth, Janika Josephine Schulze, Tilman Kuhn, Eva Raschke, Anika Husing, Theron Johnson, Rudolf Kaaks, Sven Olek: Treg-Mediated Immune Tolerance and the Risk of Solid Cancers: Findings From EPIC-Heidelberg JNCI J Natl Cancer Inst.2015, DOI: 10.1093/jnci/djv224

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