Wie Proteinaggregate Nervenzellen zum Absterben bringen

Damit Proteinaggregate (rot) in den Zellen unter dem Mikroskop sichtbar sind, müssen sie vorher angefärbt werden. Der Zellkern wurde blau, und die mRNA, die Bauanleitung für Proteine, grün angefärbt.

Damit Proteinaggregate (rot) in den Zellen unter dem Mikroskop sichtbar sind, müssen sie vorher angefärbt werden. Der Zellkern wurde blau, und die mRNA, die Bauanleitung für Proteine, grün angefärbt. © MPI für Biochemie

In Hirnzellen von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen können Mediziner und Forscher unter dem Mikroskop Proteinverklumpungen sehen, die auch Aggregate genannt werden. Sie sind möglicherweise die Ursache für das Absterben der Nervenzellen und könnten so massiv zu Krankheiten wie der Parkinson-, der Alzheimer-, der Huntington-Krankheit oder der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) beitragen. Wie Forscher nun zeigen konnten entscheidet der Ort, wo sich die Proteinaggregate innerhalb der Zelle ablagern über deren Überlebenschancen. Während Aggregate im Zellkern die Zellfunktion kaum beeinträchtigen, stören die Verklumpungen im Zellplasma wichtige Transportwege zwischen Zellplasma und Zellkern. Dann können Proteine und RNA nicht mehr aus oder in den Zellkern transportiert werden.

Proteine bestehen aus langen Aminosäureketten und funktionieren wie kleine Maschinen. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, müssen sie eine bestimmte räumliche Struktur annehmen. Deshalb verfügen gesunde Zellen über eine Vielzahl von Faltungshelfern und eine umfangreiche Qualitätskontrolle, um die korrekte Faltung ihrer Proteine zu gewährleisten. So werden falsch gefaltete Proteine entweder rasch repariert oder schnell aus dem Verkehr gezogen und abgebaut. Geschieht dies nicht oder nicht effektiv genug, so können Proteine mit sich selbst oder anderen Proteinen zu Aggregaten verklumpen und die Zellen schädigen.

Bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, ALS und Huntington vermutet man, dass solche Proteinaggregate für das Absterben von Nervenzellen mit verantwortlich sind. Wie diese Verklumpungen die Zellen schädigen ist bisher jedoch noch unklar. Deshalb wurde 2013 das ToPAG-Konsortium ins Leben gerufen. Es umfasst verschiedene Expertengruppen, die sich das Ziel gesetzt haben dieses Rätsel zu lösen. Nun liegen die ersten Ergebnisse vor: Wissenschaftler um Ulrich Hartl vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried haben nun entdeckt, dass für das Überleben der Zelle entscheidend ist, wo sich die Aggregate innerhalb der Zelle befinden.

Für ihre Untersuchungen haben die Forscher ein künstlich hergestelltes Protein und das für die Huntington Krankheit verantwortliche Protein Huntingtin in Zellkulturen getestet. Beide Proteine lagern sich spontan zu großen Proteinklumpen zusammen. „Interessanterweise bildet dasselbe Protein im Zellplasma besser lösliche, aber für die Zelle giftigere Aggregate als im Zellkern“, erklärt Mark Hipp, Leiter der Studie.

Proteinverklumpungen im Zellplasma verhindern den Transport von RNA und richtig gefalteten Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma.  Das geschieht indem die Aggregate lebensnotwendige Proteine in der Zelle weggefangen. „Wir haben in den Aggregaten im Zellplasma wichtige Bestandteile der zellulären Transportmaschinerie gefunden. Das hat zur Folge, dass die Bestandteile für einen funktionierenden Kerntransport dann fehlen, ungefähr so, als wenn Teile einer Maschine fehlen. Dann kann diese auch nicht im Ganzen funktionieren. Vermutlich ist das die Ursache für den geschädigten Transportweg“, erklärt Andreas Wörner, der Erstautoren der Studie. Wenn die Bauanleitung der Proteine, die RNA, nicht aus dem Zellkern in das Zellplasma gelangen kann, können dort auch keine Proteine hergestellt werden und die Zelle stirbt ab. Warum Aggregate, die sich direkt im Zellkern befinden Nervenzellen weniger schädigen kann nur vermutet werden. Laut Studie scheint das Kernprotein NPM1 dabei eine zentrale Schutzfunktion auszuüben.

„Die Ergebnisse der Studie bringen uns Forscher und Mediziner ein großes Stück weiter“, fasst Mark Hipp zusammen. „Denn wenn wir wissen, welche Schäden die Aggregate verursachen, können wir in Zukunft passendere Gegenmaßnahmen entwickeln.“

Max-Planck-Gesellschaft, 11 Januar 2016

Originalpublikation:

A. C. Woerner, F. Frottin, D. Hornburg, L. R. Feng, F. Meissner, M. Patra, J. Tatzelt, M. Mann, K. F. Winklhofer, U. Hartl, M. S. Hipp. Cytoplasmic protein aggregates interfere with nucleo-cytoplasmic transport of protein and RNA. Science, 9 January 2016. DOI: 10.1126/science.aad2033

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