Chemotherapie kann Krebszellen aggressiver machen

Brustkrebszellen wandern gemeinschaftlich in umliegendes 3D-Gewebe ein. © Diana Dragoi / Helmholtz Zentrum München

Brustkrebszellen wandern gemeinschaftlich in umliegendes 3D-Gewebe ein. © Diana Dragoi / Helmholtz Zentrum München

Forscher wollten einen bei invasivem Brustkrebs häufig veränderten Signalweg mit einem Wirkstoff unterbrechen. Doch die Krebszellen reagierten anders als erwartet: Anstatt in ihrem Wachstum gehemmt zu werden, vermehrten sich die Zellen stärker und änderten ihr Invasionsverhalten.

Wenn sich Brustkrebs fortentwickelt, beginnen Tumorzellen, das ursprüngliche Drüsengewebe zu verlassen, indem sie aktiv in das umliegende Gewebe einwandern und sich so im Körper verbreiten. Krebsforscher sprechen hier vom Invasionsverhalten. Ein Forscherteam um Christina Scheel am Helmholtz Zentrum München versuchte diesen Prozess mit einem Hemmstoff aufzuhalten. Der Wirkstoff blockiert das Protein TGFBR1 (TGF-beta Receptor Type I), das Brustkrebszellen die Fähigkeit zur Invasion vermittelt.

Auf diese Weise wollten die Forscher verhindern, dass der Transkriptionsfaktor Twist1 aktiviert wird, der das invasive Verhalten der Zellen auf der Ebene der Gene einleitet. Da Twist1 selbst therapeutisch schwer angreifbar ist, versuchten die Forscher ihn über Umwege wie TGFBR1 zu treffen, um das Invasionsverhalten von Brustkrebszellen zu stoppen.

Beweis für Anpassungsfähigkeit von Krebszellen

“Anfangs zeigten unsere Ergebnisse mit herkömmlichen Zellkulturmethoden, dass wir durch die Blockade von TGFBR1 tatsächlich viele der vorher gezeigten Effekte von Twist1 verhindern konnten“, sagt Diana Dragoi, Doktorandin am ISF und Erstautorin der Studie. Als die Forscher allerdings die Brustkrebszellen aus der zweidimensionalen Petrischale in eine körperähnliche 3D-Umgebung umsetzten, erlebten sie eine Überraschung: Die Zellen passten sich an den Wirkstoff an, sodass Twist1 den Zellen trotzdem erlaubte invasiv zu werden, obwohl die Signalkette über TGFBR1 unterbrochen war.

Die Zellen gingen zu einer alternativen Form invasiven Verhaltens über: Anstatt sich als Einzelzellen in der 3D-Umgebung fortzubewegen, bildeten sie größere strangförmige Verbände. Darüber hinaus teilten sich die Zellen deutlich häufiger – ein Zeichen dafür, dass sie eher Sekundärtumoren (Metastasen) an entfernten Orten bilden könnten. Metastasen sind eine der wichtigsten Todesursache von Brustkrebspatienten.

“Zusammengenommen deutet unsere Studie darauf hin, dass die Hemmung von TGFBR1 den Transkriptionsfaktor Twist1 nicht davon abhält, die Invasion von Brustkrebszellen einzuleiten. Es stimuliert Twist1 vielmehr dazu, Krebszellen zu schaffen, die eher noch aggressiver sind“, fügt Co-Autorin Anja Krattenmacher hinzu.

„Diese Daten zeigen, wie wichtig sorgfältige präklinische Tests sind, um die in vivo Situation so gut wie möglich abzubilden und so viele Parameter wie möglich zu testen“, fasst Studienleiterin Scheel zusammen. „Dies ist vor allem entscheidend, wenn man es mit einem so komplexen und mehrstufigen Prozess wie der Metastasierung zu tun hat.“

Helmholtz Zentrum München, 27. April 2016

Ähnliche Effekte auf die Aggressivität von Brustkrebszellen hat laut Experimenten von Prof. Max Wicha von der University of Michigan etwa auch das Medikament Avastin (siehe Video unten).Max Wicha ist einer der renomiertesten Forscher auf dem Gebeit der Krebsstammzellen. Ende 2011 entzog die US-Arzneibehörde FDA dem Medikament die Zulassung zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs.(Anmerkung der Redaktion von Scimondo)

Originalpublikation:

Dragoi D. et al. (2016). Twist1 induces distinct cell states depending on TGFBR1-activation, Oncotarget, DOI: 10.18632/oncotarget.8878

Kommentare sind geschlossen.