Visuelle Reize während des Rennens heilen blinde Mäuse

Mäuse, deren eines Auge wegen eines Reizmangels in früher Jugend erblindet ist können ihr Sehvermögen durch Rennen, bei dem sie visuellen Reizen ausgesetzt sind, zurück gewinnen. © George Shuklin. CC BY-SA 1.0.

Mäuse, deren eines Auge wegen eines Reizmangels in früher Jugend erblindet ist können ihr Sehvermögen durch Rennen, bei dem sie visuellen Reizen ausgesetzt sind, zurück gewinnen. © George Shuklin. CC BY-SA 1.0.

Mäuse, deren eines Auge wegen eines Reizmangels in früher Jugend erblindet ist können ihr Sehvermögen durch Rennen, bei dem sie visuellen Reizen ausgesetzt sind, zurück gewinnen. Demnach ist das erwachsene Gehirn wesentlich besser in der Lage neue Verknüpfungen herzustellen und sich zu regenerieren, als man bisher angenommen hat. Diese neuen Erkenntnisse könnten innovative Therapieansätze für Menschen eröffnen, die wegen eines angeborenen grauen Stars, erschlafften Augenliedes oder Schielen auf einem Auge erblindet sind.

Bereits 2010 hatten Christopher Niell und Michael P. Stryker von der University of California, San Francisco (UCSF) mit Überraschung beobachtet, dass Nervenzellen in der Sehrinde des Mäusegehirns immer dann besonders aktiv feuern, wenn die Mäuse sich bewegen oder rennen. Ihre Aktivität ist dann mehr als doppelt so hoch wie im Ruhezustand. Vermutlich ist die Aktivität dieser Nervenschaltkreise bei der Bewegung durch den Raum deswegen erhöht, damit sie so die vielen, bei diesem Vorgang auftretenden Reize verarbeiten können. Vor ein paar Monaten gelang es den Wissenschaftlern schließlich den neuronalen Schaltkreis zu identifizieren, der für den bewegungsinduzierten Hochleistungszustand der Sehrinde bei Mäusen verantwortlich ist.

Bereits in den 1960er Jahren untersuchten die Neurobiologen David Hubel und Torsten Wiesel die neuronale Verarbeitung visueller Informationen in der Sehrinde. Sie erkannten, dass sich visuelle Bereiche des Gehirns nur dann normal entwickeln können, wenn sie während einer kritischen Phase in jungen Jahren visuelle Reize erhalten. Wird in dieser kritischen Phase ein Auge abgedeckt, so entwickelt es eine Sehschwäche, die zur Erblindung des betroffenen Auges führen kann. Diese Forschungsergebnisse veranschaulichen die hohe Plastizität des Gehirns in jungen Jahren und die Bedeutung äußerer Reize für seine Entwicklung während dieser entscheidenden Phase. Bisher war man davon ausgegangen, dass das Gehirn seine jugendliche Plastizität mit zunehmendem Alter verliert. Denn wenn die Schwachsichitgkeit (Amblyopie) eines Auges oder ein anderes gravierendes Augenproblem nicht rechtzeitig in der Jugend durch eine Operation korrigiert wird, kann die Sehkraft auf dem betroffenen Auge später niemals wieder normal werden. Neue Forschungsergebnisse korrigieren nun diese Vorstellung.

Wiederherstellung der Sehfähigkeit

Es ist allgemein bekannt, dass Bewegung die Plastizität des Gehirns fördern kann. Stryker und sein Kollege Megumi Kaneko fragten sich, ob Rennen die Plastizität der Sehrinde beeinflusst. Um diese Frage zu beantworten schlossen sie jeweils ein Augenlied von circa 20 Tage jungen Mäusen und öffneten es erst wieder, als die Mäuse fünf Monate alte geworden waren. Wie erwartet war die Sehrindenaktivität der so behandelten Mäuse in dem für das geschlossenen Auge zuständigen Bereich stark erniedrigt. Für die weiteren Experimente wurden die Mäuse in mehrere Gruppen aufgeteilt: Eine Kontrollgruppe von Mäuse wurde normal in ihren Käfigen gehalten und erhielt keine besonderen visuellen Stimuli. Die Aktivität ihres zuvor geschlossenen Auges erholte sich nur sehr langsam und erreichte niemals den Wert eines normalen Auges.

Andere Gruppen von Mäusen durften in einem Laufrad laufen, während ihre Gehirnaktivität mit einem Verfahren aufgezeichnet wurde, das der Funktionellen Magnetresonanztomographie ähnelt.

Mäuse die nur rennen durften oder die für das zuvor geschlossene Auge ein visuelles Training erhielten, ohne gleichzeitig laufen oder rennen zu dürfen, zeigten kaum Verbesserungen der Sehkraft.

Ganz anders waren die Ergebnisse dagegen bei Mäusen die gleichzeitig ein visuelles Muster zu sehen bekamen, während sie liefen oder rannten. Bereits nach einer Woche, in der sie jeden Tag vier Stunden rennen durften, hatte sich bei diesen Mäusen die Aktivität in dem Sehrindenbereich für das betroffene Auge wesentlich erhöht. Und nach zwei Wochen entsprach sie der von normalen Mäusen, deren Auge nie verschlossen war. Dort hatten sich die neuronalen Schaltkreise in der Sehrinde, die das betroffene Auge repräsentieren, schnell reorganisiert. Dieser Vorgang wird in der Neurobiologie Platizität genannt. Bemerkenswerterweise war dieser Heilungsprozess von der Art des Stimulus abhängig. Wenn die Sehrindenaktivität der Mäuse mit einem anderen Reiz, als dem getestet wurde, den die Mäuse beim Rennen gesehen hatten, konnte nur eine geringe oder gar keine Wiederherstellung der Funktion gemessen werden.
Ob auch die Sehrinde beim Menschen durch Rennen in einen solchen Hochleistungszustand versetzt wird, der die Plastizität erhöht wollen die Wissenschaftler nun durch weitere Experimente herausfinden.

von Ute Keck

 

Kaneko M, Stryker MP. Sensory experience during locomotion promotes recovery of function in adult visual cortex. Elife. 2014 Jun 26;3:e02798. doi: 10.7554/eLife.02798

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