Von der Miesmuschel könnte die Chemieindustrie einiges lernen. Verfügt sie doch mit dem Perlmutt und den reißfesten Fäden, mit denen sie sich am Meeresboden festhält über außergewöhnliche Materialien. Und auch das Verfahren, nach dem sie diese herstellt, könnte dabei helfen komplexe Polymere umweltfreundlich zu produzieren. Forscher haben nun entschlüsselt, wie die Muscheln in seinem Fuß die Byssusfäden bilden. Sie werden weitestgehend selbstorganisiert gebildet, ohne dass die Muschel aktiv eingreift. Mit einer solchen Methode ließen sich auch technische Polymere auf einfache Weise zu komplexeren Strukturen anordnen.
Mit den Byssusfäden verankern sich Miesmuscheln in der Brandungszone. Unter schlechten Umweltbedingungen können sie diese auch wieder lösen. Dieses gelbliche, haarige Gespinst, sieht zwar unscheinbar aus, beeindruckt jedoch aufgrund seiner außergewöhnlichen Eigenschaften. Es besteht aus drei Teilen: Der kleinen Platte am Ende des Fadens, mit der sich die Muschel etwa an einen Stein auf dem Meeresboden anheften kann. Es klebt unter Wasser besser als jedes andere Material. Dem Biopolymer, das den Kern der Faser bildet. Es ist nicht nur sehr reißfest, sondern heilt auch von selbst, wenn es doch einmal beschädigt wird. Und der Hülle der Fäden, die so hart ist wie Epoxidharz, aus dem etwa Leiterplatinen bestehen, aber dennoch dehnbar. Diese Eigenschaften alleine sind schon Grund genug, um zu versuchen diese Materialien auf künstliche Weise nachzuahmen.
Doch nun haben Forscher entdeckt, dass auch der Herstellungsprozess der Fäden durchaus technisch interessant ist: „Viele Ausgangsstoffe der Biopolymere formieren sich ganz von selbst zu der komplexen Struktur, einfach weil die Muschel sie an bestimmten Stellen und zeitlich aufeinander abgestimmt freisetzt“, erklärt Matt Harrington, dessen Forscherteam am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung an der Erforschung der Polymerfabrik dieser Meerestiere arbeitet.
Jeden Teil des Fadens stammt aus einer anderen Drüse
Die Muschel spinnt die Byssusfäden in einer feinen Rinne in ihrem Fuß. Dazu sekretiert sie die hierfür benötigten Ausgangsstoffe aus drei verschiedenen Drüsen. Wie Matt Harrington und sein Team jetzt herausgefunden haben, ist jede von ihnen einem bestimmten Teil des Byssusfadens zugeordnet: Es gibt also solche für die Platte am Ende eines Fadens, seinen Kern und seine Haut. Diese Drüsen bilden die jeweils passenden Mischungen der Ausgangsstoffe, die sie in sogenannten Vesikeln, kleinen Bläschen, aufbewahren. Die drei verschiedenen Typen von Drüsen, ihre Position an der Rinne und der Zeitpunkt, zu dem sie ihre Vesikel freisetzen, sind entscheidend dafür, dass die drei Teile der Faser dort entstehen, wo sie hingehören. So ist die Sekretion der drei Vesikel für die Polymere des Kerns, der Haut und des Bodenplättchens an den verschiedenen Stellen der Rinne genau aufeinander abgestimmt. Dadurch ordnen sie sich quasi automatisch zu einer komplexen Struktur an.
Entdeckt haben die Forscher dies, indem sie die Drüsen im Muschelfuß künstlich zur Abgabe der Vesikel veranlassten, den Fuß jedoch gleichzeitig lähmten, um ihn untersuchen zu können. Dann froren sie mehrere Füße in verschiedenen Phasen der Bioproduktion der Fäden ein und analysierten sie scheibchenweise mit einer spektroskopischen Methode, die ihnen etwas über die chemische Zusammensetzung der Stoffe verriet. Die Ergebnisse dieser Analysen verglichen sie mit den Resultaten von Experimenten, in denen sie verschiedene chemische Bestandteile der Fasern unterschiedlich einfärbten.
„Da in dem gelähmten Fuß nur die Drüsen funktionierten, konnten wir genau unterscheiden, welche Schritte der Biopolymerisation selbstorganisiert stattfinden, und wo die Muschel noch regulierend eingreift“, erklärt Tobias Priemel, der an den Untersuchungen maßgeblich beteiligt war. Beim Kern des Byssusfadens ist die unterschiedliche Wirkung von selbstorganisierten und biologisch regulierten Schritten besonders ausgeprägt. Die künstlich gesponnene Faser kam nämlich ziemlich unförmig aus der Rinne des Fußes heraus. Denn unter diesen Bedingungen ordeneten sich die Polymere des Kerns nur in einem kleinen Bereich parallel zueinander an, statt dies über die gesamte Länge der Faser zu tun, wie das normalerweise der Fall ist. „Möglicherweise formt der Muschelfuß den Faden, damit sich die Polymere über dessen ganze Länge parallel ausrichten“, so Tobias Priemel.
Selbstorganisierte Polymere auch für Technik interessant
Doch auch die anderen Teile des künstlich erzeugten Byssusfadens waren bei Weitem noch nicht perfekt. Wie die Muschel in die Herstellung der Fäden eingreift, damit sie fehlerfrei sind, und warum sie bei anderen Schritten nicht intervenieren muss, wollen die Forscher als nächstes klären. „Wenn wir wissen, welche Faktoren wichtig sind, damit sich die Biopolymere selbstorganisiert ordnen, können wir komplexe Polymere in der Technik vielleicht auf ähnliche Weise erzeugen“, hofft Matt Harrington. So könnte etwa der pH-Wert in den Vesikeln und in der Umgebung die Selbstorganisation im Muschelfuß steuern.
„Genauso interessant ist es aber, mehr über die biologische Regulation zu erfahren“, sagt Harrington. Dabei können ganz einfache Mechanismen am Werke sein, wie etwa, dass der Fuß die Biopolymere in die gewünschte Form drückt oder dass die Muschel nachträglich Metallionen hinzu gibt, damit sich die Proteine vernetzen. Doch auch solche Tricks ließen sich bei der technischen Herstellung von Polymeren leicht nachahmen. „Mein Traum ist es, mithilfe der Erkenntnisse, die wir an den Byssusfäden gewinnen, einmal in einem umweltfreundlichen Verfahren selbstheilende Materialien herzustellen, die auch ähnliche mechanische Eigenschaften haben wie die Byssusfäden“, so Harrington.
Max-Planck-Gesellschaft, 28. Februar 2017
Originalpublikation:
Tobias Priemel, Elena Degtyar, Mason N. Dean und Matthew J. Harrington
Rapid self-assembly of complex biomolecular architectures during mussel byssus biofabrication. Nature Communications, 28. Februar 2017; DOI: 10.1038/ncomms14539