Alle höhere Lebewesen, die über ein Nervensystem verfügen sind von einem elektrischen Feld umgeben. Haie, Rochen und Seekatzen haben sich diese Tatsache für den Beutefang zu Nutze gemacht. Sie verfügen über Sinnesorgane, mit denen sie diese Felder wahrnehmen. So können sie selbst Beute, die sich im Sand versteckt noch problemlos aufspüren. Bisher wusste man zwar, wie diese Sinnesorgane aufgebaut sind, nicht jedoch, wie die darin enthaltenen Zellen die schwachen elektrischen Signale detektieren.
Forscher um David Julius an der University of California in San Francisco haben dieses Rätsel jetzt gelöst. Als Beispiel wählten sie die elektrosensorischen Organe des Rochens Leucoraja erinacea.
Haie, Rochen und Seekatzen besitzen mit die empfindlichsten Elektrorezeptoren im ganzen Tierreich. Mit Entschlüsselung ihrer Funktionsweise bekommen wir Einblick in eine bisher unverstandene Sinneswelt.
Zunächst isolierten die Forscher elektrosensorische Zellen aus den Lorenzinischen Ampullen der Rochen. Mit diesen Organen detektieren die Tiere elektrische Signale. An diesen Zellen führten sie Messungen durch, bei denen sie zwei verschiedene Inonenströme entdeckten: Einen spannungsabhängigen Calciumstrom, der Calciuminonen in die Zellen einströmen lässt. Und einen Calcium-sensitiven Kaliumstrom, der die normalen elektrischen Eigenschaften der Zelle verändert. Diese beiden Ströme interagieren so miteinander, dass eine elektrische Oszillation an der Zellmembran entsteht, die besonders empfindlich gegenüber elektrischen Störungen von Außen ist. Sie wirkt fast wie ein Verstärker, der es dem Rochen erlaubt die geringfügigen Störungen wahrzunehmen, die von dem elektrischen Feld seiner Beute hervorgerufen werden.
Weiter entdeckten die Forscher anhand von Experimenten, mit deren Hilfe sie die Genaktivität der Rochen untersuchten, die Gene für einen Calcium– und einen Kaliumkanal. Da solche Kanäle im Tierreich weit verbreitet sind führten sie bei einem entsprechenden Rattengen gezielt Mutationen ein, die den Ionenkanal dem Kanal des Rochens ähnlicher machten. In Zellen eingebracht verhielten sich die so veränderten Inonenkanäle der Ratte genauso, wie die elektrosensorischen Zellen des Rochens.
Schließlich testeten die Forscher, in wieweit Rochen bei dem Aufspüren von Beute auf diese Ionenkanäle angewiesen sind: Dazu setzten sie Rochen in Wasserbecken, in denen unter einer Sandschicht eine Quelle für ein elektrisches Feld verborgen war. Normale Rochen verbrachten viel Zeit damit diese Region zu untersuchen. Während Fische, deren Ionenkanäle medikamentös blockiert waren die vorgetäuschte Beute offenbar nicht wahrnahmen.
Laut den Forschern sind ihre Ergebnisse jedoch auch für unsere eigene Biologie von Bedeutung. Denn das elektrosensorische System der Rochen ist evolutionär mit dem Gehörsinn der Säugetiere verwandt. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen den Sinneszellen in den Lorenzinischen Ampullen und den Haarsinneszellen unseres Innenohres, ohne die wir nicht hören können. Demnach sind die gleichen Ionenkänale mit nur geringfügigen Änderungen in unseren Ohren aktiv. Wenn wir verstehen, wie sich kleine Veränderungen auf die Funktion der Ionenkanäle auswirken verstehen wir wahrscheinlich auch eher, wie die Kanäle in unseren Ohren arbeiten.
Die Wahrnehmung elektrischer Felder war offenbar im Tierreich so nützlich, dass sie sich gleich mehrfach unabhängig voneinander entwickelt hat. Die Forscher sind gespannt darauf herauszufinden, wie andere Lebewesen das Problem der Elektrowahrnehmung gelöst haben.
University of California, San Francisco, 6. März, 2017
Originalpublikation:
Nicholas W. Bellono, Duncan B. Leitch, David Julius. Molecular basis of ancestral vertebrate electroreception. Nature, 2017; DOI: 10.1038/nature21401