Richtungshören durch Tunnel im Kopf

Geckos besitzen intern gekoppelte Ohren: Leuchtet man einem Gecko in das eine Ohr, tritt der Lichtstrahl aus dem anderen Ohr wieder heraus. © Robert Michniewicz. CC BY-SA 3.0

Geckos besitzen intern gekoppelte Ohren: Leuchtet man einem Gecko in das eine Ohr, tritt der Lichtstrahl aus dem anderen Ohr wieder aus. © Robert Michniewicz. CC BY-SA 3.0

Um die Richtung zu bestimmen, aus der ein Geräusch kommt nutzen wir Menschen den Zeitunterschied, mit dem der Schall unsere beiden Ohren erreicht. Bei Fröschen, Echsen oder Vögeln funktioniert das nicht, denn dafür ist ihr Ohrenabstand zu gering. Statt dessen besitzen sie einen Verbindungsgang zwischen beiden Trommelfellen, in dem sich die inneren und äußeren Schallwellen überlagern. Forscher erklären nun mit Hilfe eines universellen mathematischen Modells, wie in diesem „inneren Ohr“ neue Signale entstehen und Tiere diese zur Ortung nutzen.

Sei es ein Raubtier, das sich anschleicht oder eine Beute, die im Dunkeln aufzuspüren ist – für alle Tiere ist es existentiell eine Geräuschquelle genau zu orten. Fast alle Säugetiere, uns Menschen eingeschlossen, lokalisieren eine Geräuschquelle horizontal, aufgrund der zeitlichen Verzögerung, mit der das Schallsignal zuerst an dem einen und dann am anderen Ohren eintrifft. Aus dieser Zeitdifferenz berechnet das Gehirn die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Frösche, viele Reptilien, aber auch Vögel können sich diese Technik nicht zunutze machen, da ihre Ohren oft nur wenige Zentimeter auseinander liegen. Damit ist der Zeitunterschied so gering, dass das Gehirn ihn nicht mehr auflösen kann. Deshalb haben diese Tiere ein einfaches und zugleich sehr effizientes System entwickelt, um Schallquellen dennoch lokalisieren zu können: Einen luftgefüllten Hohlraum, der die Trommelfelle beider Ohren verbindet.

Dieser quer durch den Schädel hindurch verlaufende Hohlraum koppelt die beiden Trommelfelle aneinander. Die Wissenschaftler sprechen von „intern gekoppelte Ohren“ (englisch „internally coupled ears“, ICE). Dieser „Tunnel im Kopf“ wird gut sichtbar, wenn man beispielsweise einem Gecko in eines seiner Ohren hineinleuchtet: Der Lichtstrahl tritt dann aus dem anderen Ohr wieder aus.

Anders als bei uns Menschen nehmen die Tiere damit nicht nur die von außen auftreffenden Signale wahr. Sondern sie registrieren darüber hinaus auch eine Überlagerung der äußeren Schallwellen mit denen, die im Inneren des Verbindungsganges durch die Kopplung mit der anderen Seite entstehen. Zwar konnten Forscher bereits durch Experimente zeigen, dass die Tiere dieses Signal zur Richtungsbestimmung nutzen. Doch was in den gekoppelten Ohren genau vor sich geht, war bislang ein Rätsel.

Modell für die Hälfte aller Landwirbeltiere

Nun ist es Forschern um Leo van Hemmen an der Technischen Universität München (TUM) gelungen, ein mathematisches Modell zu entwickeln, das beschreibt, wie sich die Schallwellen in intern gekoppelten Ohren ausbreiten und wie sich daraus auf die Richtung des Signals schließen lässt.

„Unser Modell lässt sich auf alle Tiere mit diesem Hörsystem anwenden, auch wenn die Hohlräume zwischen den Trommelfellen bei den unterschiedlichen Spezies sehr verschieden aussehen“, erklärt van Hemmen. „Hierdurch verstehen wir nun, was genau im Inneren der Ohren dieser Tiere vor sich geht, und können Experimente bei ganz unterschiedlichen Tierarten erklären und vorhersagen.“ Insgesamt besitzen mehr als 15.000 Arten intern gekoppelte Ohren – das ist mehr als die Hälfte aller landlebenden Wirbeltiere.

Zusammenspiel von externen und internen Signalen

Mit Hilfe ihres Modells fanden van Hemmen und sein Team heraus, dass die Tiere zwei verschiedene Methoden zum Hören mit intern gekoppelten Ohren entwickelt haben. Sie werden für unterschiedliche Frequenzbereiche genutzt und ergänzen sich gegenseitig.

Die erste Methode wird bei tiefen Tönen, deren Frequenz unterhalb der Grundfrequenz des Trommelfells liegt eingesetzt: Durch die Überlagerung der äußeren und der inneren Signale entsteht ein Zeitunterschied, der bis zu fünffach verstärkt wird. Das reicht aus, um das Geräusch orten zu können.

Bei höheren Tönen kann die Zeitdifferenz nicht mehr genutzt werden. Deshalb müssen die Tiere hier eine andere Eigenschaft des Signals ausnutzen: Den Unterschied der Lautstärke, also der Amplitude, mit der das Signal an beiden Ohren wahrgenommen wird. Sie entsteht alleine durch die Kopplung der beiden Ohren, wie die Forscher überrascht feststellten.

Die neuen Erkenntnisse über den Mechanismus und vor allem die Vorteile des Hörens mit intern gekoppelten Ohren könnten sich auch für die Industrie als interessant erweisen. So könnten etwa Roboter mit solch einem Hörsystem ausgestattet werden. „Ich kann mir eine Anwendung in der Robotik gut vorstellen, da diese Art der Verstärkung keine Energie kostet“, meint van Hemmen. In Zukunft wollen die Wissenschaftler ihr Modell zusammen mit experimentell arbeitenden Kollegen weiter verfeinern.

Technische Universität München, 18.02.2016

 

Originalpublikation:

A.P. Vedurmudi, J. Goulet, J. Christensen-Dalsgaard, B.A. Young, R. Williams, and J.L. van Hemmen, How Internally Coupled Ears Generate Temporal and Amplitude Cues for Sound Localization, Physical Review Letters, 116, 028101 DOI: 10.1103/PhysRevLett.116.028101

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