Hundeartige und einige Affen könnten sich am Erdmagnetfeld orientieren

Hunde und manche Affen besitzen in ihren Augen Moleküle, mit denen sie möglicherweise das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können. © L. Peichl

Hunde und manche Affen besitzen in ihren Augen Moleküle, mit denen sie möglicherweise das Magnetfeld der Erde wahrnehmen können.
© L. Peichl

Cryptochrome sind lichtempfindliche Proteine, die in Bakterien, Pflanzen und Tieren vorkommen. Bei Tieren sind sie an der Steuerung des Tagesrhythmus beteiligt. Außerdem dienen sie Vögeln zur lichtabhängigen Orientierung am Erdmagnetfeld: Dieses aktiviert Cryptochrom 1a in den Lichtsinneszellen ihrer Augen. Forscher haben nun Cryptochrom 1 auch in Lichtsinneszellen mehrerer Säugetierarten nachgewiesen. Demnach besitzen diese Tiere möglicherweise ebenfalls einen an das Sehsystem gekoppelten Magnetsinn.

Die Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes hilft vielen Tierarten bei der Orientierung und Navigation. Über einen solchen Magnetsinn verfügen etwa manche Insekten, Fische, Reptilien, Vögel und Säugetiere.

Magnetfeld der Erde. © gemeinfrei

Magnetfeld der Erde. © gemeinfrei

Bei Zugvögeln ist der Magnetsinn besonders gut untersucht: Im Gegensatz zu einem Pfadfinderkompass, der die Himmelsrichtung anzeigt, erkennt der Vogelkompass die Neigung der Magnetfeldlinien zur Erdoberfläche. Dieser sogenannte Inklinationskompass der Vögel ist an das Sehsystem gekoppelt, indem das Magnetfeld das lichtempfindliche Molekül Cryptochrom 1a in ihrer Netzhaut aktiviert. Cryptochrom 1a befindet sich dort in den blau- bis UV-empfindlichen Zapfenzellen und reagiert nur dann auf das Magnetfeld, wenn es gleichzeitig durch Licht angeregt wird.

Spärliche Verbreitung unter Säugetieren

Ein Forscherteam um Christine Nießner und Leo Peichl vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung hat nun das Vorkommen von Cryptochrom 1 in der Netzhaut von 90 Säugetierarten untersucht. Cryptochrom 1 der Säugetiere ist das Gegenstück zum Cryptochrom 1a der Vögel. Mit Hilfe von Antikörpern gegen die Licht-aktivierte Form konnten sie Cryptochrom 1 nur bei einigen Raubtieren und Affen nachweisen. Bei diesen Tieren befindet es sich, genau wie bei den Vögeln, in den blau-empfindlichen Zapfen. Bei den Raubtieren verfügen hundeartige Säugetiere, wie Hund, Wolf, Bär, Fuchs und Dachs über ein solches Protein, katzenartige Raubtiere wie Katzen, Löwen und Tiger dagegen nicht. Bei Affen kommt Cryptochrom 1 zum Beispiel im Orang-Utan vor. Bei allen anderen der 16 untersuchten Säugetier-Ordnungen wurden die Forscher dagegen nicht fündig..

Das aktive Cryptochrom 1 sitzt in den lichtempfindlichen Außensegmenten der Zapfenzellen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es von dort die Tagesrhythmik der Tiere steuert, da diese im Zellkern geregelt wird. Auch dient das zusätzliche Sehpigment vermutlich nicht der Farbwahrnehmung. Deshalb könnten die Säugetiere, die über ein aktives Cryptochrom 1 verfügen, es tatsächlich zur Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes nutzen. Evolutiongeschichtlich gesehen entsprechen die Blauen Zapfen der Säugetiere den blau- bis UV-empfindlichen Zapfen der Vögel. Es ist also durchaus möglich, dass das Cryptochrom 1 der Säuger eine vergleichbare Funktion erfüllt.

Tatsächlich deuten Beobachtungen an Füchsen, Hunden und sogar beim Menschen daraufhin, dass sie das Erdmagnetfeld wahrnehmen können. Füchse zum Beispiel fangen Mäuse erfolgreicher, wenn sie ihre Beute in Nordost-Richtung anspringen. „Allerdings waren wir sehr überrascht, aktives Cryptochrom 1 nur in den Zapfenzellen von zwei Säugetiergruppen zu finden, denn auf das Magnetfeld reagieren auch Arten, deren Zapfen kein aktives Cryptochrom 1 besitzen, etwa einige Nagetiere und Fledermäuse“, sagt Christine Nießner.

Alternativer Magnetfeldkompass

Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Tiere das Magnetfeld auch auf andere Weise wahrnehmen können: etwa mit Hilfe von Magnetit, mikroskopisch kleinen eisenhaltigen Partikeln in ihren Zellen. Ein Magnetit-basierter Magnetsinn funktioniert nach dem Prinzip eines Taschenkompasses und benötigt kein Licht. Die in unterirdischen Tunnelsystemen lebenden Graumulle beispielsweise orientieren sich mit Hilfe eines solchen Kompasses. Auch Vögel besitzen einen zusätzlichen, auf Magnetit beruhenden Orientierungsmechanismus, mit dem sie ihre Position bestimmen können.

Bei der Erforschung des Magnetsinnes sind also noch viele grundsätzliche Fragen offen. Künftige Untersuchungen müssen zeigen, ob das Cryptochrom 1 in den Blauzapfen auch bei den Säugetieren zu einem Magnetsinn gehört oder ob es andere Aufgaben in der Netzhaut übernimmt.

Max-Planck-Gesellschaft, 23. Februar 2016

 

Originalpublikation:

Christine Nießner, Susanne Denzau, Erich Pascal Malkemper, Julia Christina Gross, Hynek Burda, Michael Winklhofer, Leo Peichl. Cryptochrome 1 in Retinal Cone Photoreceptors Suggests a Novel Functional Role in Mammals. Scientific Reports 6 (2016), 21848; doi: 10.1038/srep21848.

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