Nach einem Schlaganfall leiden Betroffene oft unter Sprachproblemen. Diese treten auf, wenn wichtige Areale des Sprachnetzwerkes im Gehirn gestört sind. In manchen Fällen können die Patienten ihre Sprachfähigkeiten wiedererlangen, in anderen jedoch nicht. Forscher haben nun eine mögliche Ursache für dieses Phänomen entdeckt: Während die Verletzung einiger Hirnbereiche gut kompensierbar ist, gilt dies für andere Regionen nicht. Diese Erkenntnis könnte nicht nur dabei helfen die Therapie von Schlaganfällen zu verbessern, sondern sie bestätigt auch den hierarchischen Aufbau der Sprache.
Während wir uns unterhalten laufen in unserem Gehirn komplexe Prozesse ab. Aus einer vielfältigen Flut an Lauten müssen wir einzelne Wörter und Formulierungen herausfiltern und einer Bedeutung zuordnen. Gleichzeitig überlegen wir uns eine Antwort, wozu wir die entsprechenden Bewegung unserer Lippen und Zunge planen müssen, um diese zu äußern. Jeder einzelne Schritt, von der Analyse der gehörten Worte bis zur Bildung unserer eigenen Antwort, bedient sich verschiedener Hirnareale, die koordiniert zusammenarbeiten. Bisher war kaum bekannt, wie diese Zusammenarbeit aussieht – oder was passiert, wenn eines der zentralen Areale ausfällt.
Forscher am Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften haben nun herausgefunden, was passiert, wenn zwei entscheidende Hirnregionen für unser Sprachverständnis plötzlich nicht mehr funktionieren: Dabei haben sie beobachtet, dass der Ausfall mancher Hirnbereiche des Sprachnetzwerkes kompensiert werden kann, der anderer dagegen nicht. „Ist das Areal beeinträchtigt, in dem wir die Bedeutung der Sprache verarbeiten, der sogenannte Gyrus angularis, kann unser Gehirn das gut kompensieren. Dann springt das benachbarte Areal, der Gyrus supramarginalis ein und verstärkt seine Aktivität. Dies ist erstaunlich, da dieses Areal eigentlich dafür zuständig ist, die rhythmische Struktur der Wörter zu verarbeiten“, erklärt Studienleiterin Gesa Hartwigsen. Durch dieses Hirnregion könne die Bedeutung von Wörtern beinahe genauso schnell erkannt werden, wie wenn das eigentlich zuständige Areal diese Aufgabe erfüllt. „Ist jedoch das Areal zur Verarbeitung der rhythmischen Struktur der Wörter selbst gestört, kann sein Ausfall kaum kompensiert werden. Seine Aufgaben werden von keinem anderen Teil des Sprachnetzwerkes übernommen.“ Für uns wird es dann deutlich schwerer, die rhythmische Struktur eines Wortes zu verarbeiten, also seine Silben zu analysieren.
Nicht jeder Verarbeitungsschritt kann ersetzt werden
Die Forscher vermuten, dass die Fähigkeit, einen gestörten Prozess durch einen anderen Hirnbereich zu ersetzen, davon abhängt, auf welcher Hierarchiestufe die Sprache gestört wird: Handelt es sich um einen so grundlegenden Prozess wie die Verarbeitung der rhythmischen Struktur eines Wortes, kann er nicht einfach von anderen Bereichen übernommen werden. Komplexere Verarbeitungsschritte, wie die Bedeutungsanalyse können jedoch von einfacheren Prozessen kompensiert werden, da sie auf diesen aufbauen. Allgemeinere Prozesse können dann unterstützend herangezogen werden, um so die Verarbeitung zu gewährleisten.
Daraus schließen Hartwigsen und ihr Team zweierlei: „Wir können nun zum einen abschätzen, welche Schädigungen sich etwa nach einem Schlaganfall am ehesten kompensieren lassen und worauf es sich lohnen könnte, in Zukunft verstärkt die Therapie auszurichten, beispielsweise auf das einspringende Netzwerk“, so die Leiterin der Forschungsgruppe Modulation von Sprachnetzwerken. Zum anderen stützen die Ergebnisse die Annahme, dass Sprache hierarchisch aufgebaut ist. Demnach bauen bei der Sprachverarbeitung komplexe Schritte auf einfacheren auf. Bevor wir die Bedeutung eines Wortes analysieren, müssen wir zunächst dessen Laute verarbeiten.
Max-Planck-Gesellschaft, 7. Juli 2017
Originalpublikation:
Gesa Hartwigsen, Danilo Bzdok, Maren Klein, Max Wawrzyniak, Anika Stockert, Katrin Wrede, Joseph Classen, and Dorothee Saur. Rapid short-term reorganization in the language network. eLife. doi: 10.7554/eLife.25964