Auch Mäuse beharren auf einer einmal getroffenen Entscheidung

Waldmaus. © Hans Hillewaert. CC BY-SA 3.0

Wer kennt ihn nicht, den Trugschluss der versenkten Kosten, der uns weiterhin an einer Entscheidung festhalten lässt, die sich inzwischen längst als falsch erwiesen hat? Dabei verfolgen wir unsere Ziele umso beharrlicher, je mehr wir bereits investiert haben. Bisher glaubte man, diesem Irrtum erlägen nur wir Menschen. Doch das ist weit gefehlt. Denn auch Mäuse beharren auf einer einmal getroffenen Entscheidung. Diesem Verhalten muss also ein evolutionär konserviertes Prinzip zu Grunde zu liegen, das dem betreffenden Lebewesen Vorteile verschafft.

Vor vielen Jahren war ich mit einem befreundeten Pärchen in dem Theaterstück „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett. Wir waren damals noch Studenten und ich konnte mit dem Theaterstück einfach gar nichts anfangen. So wollte ich denn auch schon in der Pause das kleine Theater verlassen, weil ich dachte schlimmer kann das Stück ja nicht mehr werden. Aber meine Freunde lachten und meinten, der zweite Teil käme erst noch. Ich hielt also durch und zu meinem großen Entsetzen kam es tatsächlich noch schlimmer: Der Sinn des menschlichen Lebens wurde völlig demontiert.

Solche Situationen kennt bestimmt jeder. Wir haben in etwas investiert, sei es nun Zeit, Geld oder gar beides, doch unsere Erwartungen werden nicht erfüllt. Jeder Außenstehende würde nun davon ausgehen, dass wir unsere Entscheidung kurzfristig revidieren und uns ein sinnvolleres Ziel suchen. Doch als Betroffene schaffen wir diesen Schritt oft nicht oder nur unter Mühen. Dabei fällt uns die Entscheidung zum Loslassen meist umso schwerer, je mehr wir bereits investiert haben. So kommt es etwa bei Firmen zu so absurden Situationen, wie ich sie ebenfalls bereits erlebt habe:

Eine Startup-Firma hat mit ihrem gesamten Entwicklerteam ein großes Softwarepaket entwickelt und ihre Marketingabteilung parallel dazu beauftragt, den Markt für das zu entwickelnde Produkt zu analysieren. In der Mitte des Projektes kommt das Marketingteam mit dem Resultat zurück, dass es für das Produkt keinen Markt gibt. Aus ökonomischer Sicht wäre es zu diesem Zeitpunkt sinnvoll gewesen, das Projekt zu stoppen, um nicht noch mehr Geld zu versenken. Doch statt dessen beschließt Marketing sich den Markt selbst zu „schaffen“. Erst Monate später, als klar wird, dass dieses Konzept nicht aufgeht wird das Projekt aufgegeben.

Ein großer Konzern hat eine kleine Firma für 800.000 Dollar erworben, weil sich von deren innovativer Technologie hohe Umsätze verspricht. Das ganze entpuppt sich als Flopp. Doch stoppt der Konzern das Projekt keineswegs, denn man hat ja bereits sooo viel Geld investiert. Da kann man es doch nicht plötzlich aufgeben. Es wird weiter daran gearbeitet und so werden noch mehr Ressourcen vergeudet. Dabei können doch die bereits investierten Kosten kein Argument dafür liefern, ein sich als sinnlos entpupptes Ziel weiter zu verfolgen.

Bisher dachte man, diese Art des irrationalen Verhaltens sei ausschließlich uns Menschen vorbehalten. Doch Forscher haben nun eine vereinfachte Form des Trugschlusses der versenken Kosten, im Englischen auch sunk cost fallacy genannt, bei Mäusen und Ratten beobachtet.

Für die Versuche wurden die Tiere in ein Labyrinth gesetzt, an dessen Ecken sich jeweils vier verschiedene  „Restaurants“ befanden, in denen unterschiedliche Leckereien angeboten wurden. Diese wurden in einem Vorraum präsentiert, in dem die Nager über einen Signalton erfuhren, wie lange die Wartezeit für das angestrebte Mahl dauern sollte. Wenn das Tier sich für ein Restaurant entschieden hatte konnte es den Warteraum betreten, den es während seines Aufenthaltes jederzeit verlassen konnte, falls ihm das Warten zu lange wurde. Entschied sich die Maus dazu, das Restaurant unverrichteter Dinge wieder zu verlassen, so wurde das Angebot zurückgezogen und sie musste den ganzen Weg bis zu einem anderen Restaurant zurücklegen.

Ähnlich wie wir Menschen waren die Nager dazu bereit umso länger zu warten, je mehr Zeit sie in den von den Forschern eingerichteten Warteräumen verbracht hatten. Dabei spielte die Zeit, die das Tier für seine Entscheidungsfindung gebraucht hatte keine Rolle.

Um ein vergleichbares Szenario beim Menschen zu untersuchen wiesen die Forscher Versuchspersonen dazu an auf einem Computer nach Videos mit Katzen, Tanzwettbewerben, Landschaften oder Fahrradunfällen zu suchen. Die Videoangebote waren mit einem Button versehen auf dem stay oder skip stand. Ein Downloadbalken informierte sie darüber, wie lange das Herunterladen des Videos dauern würde. Hatten sich die Probanden für ein Video entschieden zeigte ihnen ein Fortschrittsbalken an, wie der Download voran ging.

Und auch hier zeigte sich der selbe Effekt wie bereits bei den Nagern: Je länger die Versuchsteilnehmer schon auf das Herunterladen eines Videos gewartet hatten, umso eher waren sie dazu bereit noch mehr Zeit in weiteres Warten zu investieren. Wie lange sie dazu gebraucht hatten, sich für das Video zu entscheiden spielte auch hier keine Rolle.

Interessanterweise verbrachten alle drei Arten geraume Zeit damit, sich zu überlegen, ob sie das Angebot annehmen sollten. Als wäre ihnen bewusst, dass es nach einer gefallenen Entscheidung kein Zurück mehr gibt. Ähnlich Süchtigen, die unglaublich viel Zeit damit verbringen ihrer Sucht nachzugehen und dabei alles andere vergessen warteten sie nachdem sie sich entschieden hatten geduldig auf ihre Belohnung.

Doch was könnte der evolutionäre Vorteil eines solchen Verhaltens sein? Stellen wir uns eine Maus vor, die nach Futter sucht und etwa an reifen Kornähren vorbei kommt. Wenn sie sich dafür entscheidet die Kornähren zu ernten ist es sinnvoll, wenn sie sich auf dieses Vorhaben konzentriert und sich nicht etwa noch bevor sie die reifen Körner gefressen hat von dem Duft eines in der Nähe liegenden Himbeerstrauches von ihrem Vorhaben abbringen lässt. Sonst läuft die Maus schließlich hungrigen Magens wieder nach Hause, weil sie sich vor lauter Möglichkeiten nie für eine Futterquelle entscheiden konnte.

Oder stellen wir uns ein Raubtier vor, dass sich aus einer Herde von Beutetieren ein mögliches Opfer herausgepickt hat. In seinem Fall ist es ebenfalls besser, wenn es sich bei dem Spurt durch die Herde auf sein potentielles Opfer konzentriert, statt sich immer wieder von anderen Beutetieren ablenken zu lassen.

Auch bei uns Menschen erfüllt dieses Beharren auf einem Ziel sicher meist seinen Zweck. Nur bei komplexeren Fragestellungen, bei denen nicht ohne weiteres klar ist, ob ein weiteres Festhalten an der ursprünglichen Entscheidung zielführend ist kann es sich gegen uns wenden.

von Ute Keck, 17. Juli 2018

Originalpublikation:

Sweis BM, Abram SV, Schmidt BJ, Seeland KD, MacDonald AW, Thomas MJ, Redish AD. Sensitivity to „sunk costs“ in mice, rats, and humans. Science. 2018 Jul 13;361(6398):178-181. doi: 10.1126/science.aar8644.

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