Mathematik trifft Gehirnwellen: Modell hilft Taktgeber für Hirnwellen zu identifizieren

Netzwerk aus Nervenzellen in der Hirnrinde (Federn: elektrische Synapsen, Linien: chemische Synapsen). Die elektrischen Synapsen sind wichtig für rhythmische Netzwerk-weite Aktivitätsschwankungen. © MPI f. Hirnforschung/ T. Tchumatchenko

Netzwerk aus Nervenzellen in der Hirnrinde (Federn: elektrische Synapsen, Linien: chemische Synapsen). Die elektrischen Synapsen sind wichtig für rhythmische Netzwerk-weite Aktivitätsschwankungen.
© MPI f. Hirnforschung/ T. Tchumatchenko

Die Schwingungen der Gehirnaktivität beeinflussen unsere Aufmerksamkeit und viele andere unserer geistigen Fähigkeiten. Wissenschaftler haben jetzt ein theoretisches Modell entwickelt, welches den Ursprung dieser Schwingungen in neuronalen Netzwerken erklärt. Dabei stellte sich heraus, dass hemmende Neuronen und elektrische Synapsen die wichtigsten Taktgeber sind.

Alpha- und Gamma-Gehirnwellen können durch EEG-Messungen sichtbar gemacht werden und Aufschluss über den geistigen Zustand der untersuchten Person geben. Gehirnwellen kommen durch synchrone Schwingungen vieler Nervenzellen zustande, die sich oft über große Teile des Gehirns ausbreiten. Dabei bezeichnen die griechischen Buchstaben die Oszillationsfrequenz. Diese reicht von einem Hertz, bei den Alpha-Wellen, bis zu mehreren hundert Hertz, im Theta-Bereich. Die Wellen dienen als Taktgeber für das Gehirn und kontrollieren Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Erinnerungsbildung.

Chemische Synapse: Nrets. CC BY-SA 3.0.

Chemische Synapse
© Nrets. CC BY-SA 3.0.

Wie zahlreiche Experimente zeigen haben bestimmte Klassen von Neuronen einen größeren Einfluss auf den Oszillationszustand des Netzwerks als andere. Dabei scheint den hemmenden Neuronen, die etwa 20 Prozent der Nervenzellen in der Hirnrinde ausmachen, eine Schlüsselrolle in der Entstehung von Gehirnwellen zuzukommen. Wie genau die hemmenden Neuronen die Oszillation steuern ist allerdings noch nicht bekannt. Da Gehirnwellen ein Netzwerkphänomen sind, ist außerdem nicht klar, wie sich die Eigenschaften der einzelnen Zellen in der Netzwerkdynamik widerspiegeln oder ob eventuell nur die synaptischen Verbindungen von Bedeutung sind.

Tatjana Tchumatchenko vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und Claudia Clopath vom Imperial College in London sind davon überzeugt, dass die Mathematik dabei helfen kann ein Phänomen wie die Gehirnwellen besser verstehen zu lernen. In ihrer gemeinsamen Arbeit entwickelten sie ein mathematisches Modell, welches die Aktivität der erregenden und hemmenden Nervenzellen eines Netzwerks, wie der menschlichen Hirnrinde berechnen kann. „Es ist uns nicht nur gelungen, Ergebnisse aus bisherigen Experimenten zuverlässig analytisch sowie numerisch zu reproduzieren. Das mathematische Modell enthüllte sogar die zwei notwendigen Bedingungen für die Entstehung von Gehirnwellen“, erklärt Tatjana Tchumatchenko. „Erstens müssen die einzelnen hemmenden Neuronen eine unterschwellige Resonanz des Membranpotenzials bei der gewünschten Netzwerkoszillationsfrequenz aufweisen: Das heißt sie müssten im Takt schwingen ohne, dass ihre elektrischen Impulse diese Schwingung notwendigerweise offenbaren.“ Aber auch die Art der synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen ist essenziell, denn Oszillationen treten nur dann auf, wenn die hemmenden Neuronen durch elektrische Synapsen ausreichender Verbindungstärke vernetzt sind.

Elektrische Synapse: Eine elektrische Synapse ist eine mechanische und den elektrischen Strom leitende Verbindung zwischen zwei aneinander angrenzenden Neuronen. Sie wird durch einen schmalen Spalt zwischen dem pre- und dem postsynaptischen Neuron gebildet, der sogenannten Gap Junction. Dieser Spalt ist an Gap Junctions nur 3,5 nm breit, wogegen er an chemischen Synapsen mit 20 bis 40 nm wesentlich breiter ist.  © gemeinfrei.

Elektrische Synapse:
Eine elektrische Synapse ist eine mechanische und den elektrischen Strom leitende Verbindung zwischen zwei aneinander angrenzenden Neuronen. Sie wird durch einen schmalen Spalt zwischen dem pre- und dem postsynaptischen Neuron gebildet, der sogenannten Gap Junction. Dieser Spalt ist an Gap Junctions nur 3,5 nm breit, wogegen er an chemischen Synapsen mit 20 bis 40 nm wesentlich breiter ist. © gemeinfrei.

Bis vor kurzem war nicht bekannt, dass in der Hirnrinde elektrischen Synapsen vorkommen. Erst in den letzten Jahren haben Forscher diese in immer mehr Gehirnarealen entdeckt. Allerdings fand man eine elektrisch Koppelung bisher nur bei hemmende Neuronen. Zwischen erregenden Nervenzellen wurde diese Art der Signalübertragung noch nicht beobachtet.

Die hemmenden Neuronen und deren synaptische Verbindungen besitzen den Wissenschaftlern zufolge also eine zentrale Rolle: „Erstaunlicherweise zeigt unser Modell, dass allein die Eigenschaften der hemmenden Neuronen und deren Verbindungen die Oszillationsfrequenz des gesamten Netzwerks bestimmen. Und das, obwohl die Mehrheit der Nervenzellen erregend sind“, sagt Claudia Clopath. Sie fügt hinzu: „Natürlich haben die Eigenschaften der erregenden Neuronen Einfluss auf die Dynamik des Netzwerks, allerdings bestimmen diese bei den Gehirnwellen nur die Amplitude, nicht aber die Frequenz der Schwingung“.

Die gewonnen Erkenntnisse werden das Verständnis komplexer Systeme vertiefen und dabei helfen, den Zusammenhang zwischen einzelnen Netzwerkeinheiten und der entstehenden Netzwerkdynamik zu erklären. Außerdem könnten die Forschungsergebnisse dazu beitragen, zielgenauere Wirkstoffe zu entwickeln, um die Erfolgschancen psychiatrischer Behandlungen zu verbessern.

Max-Planck-Gesellschaft, 18. November 2014

 

Originalpublikation:

Tatjana Tchumatchenko und Claudia Clopath. Oscillations emerging from noise-driven steady state in networks with electrical synapses and subthreshold resonance. Nature Communications, 18 November 2014. doi:10.1038/ncomms6512

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