Wir müssen nur kurz unaufmerksam sein und schon ist der Finger eingeklemmt, der Kopf angestoßen oder der Fuß verstaucht – und schmerzt. Schmerz ist ein Schutzmechanismus des Körpers und gleichzeitig ein komplexes neurologisches Phänomen, das von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Langanhaltender Schmerz im Sinne von chronischem Schmerz ist zudem eine eigene und häufig schwer zu behandelnde Krankheit. Ein Forscherteam konnte nun zeigen, dass langanhaltende Schmerzen im Gehirn anders verarbeitet werden als kürzer andauernde Schmerzen.
Markus Ploner und sein Team von der Technischen Universität München untersuchten mit ihren Experimenten die Schmerzwahrnehmung. Sie wollten klären. wie die Dauer eines Schmerzes oder die Wirkung eines Placebos sich auf die Aktivitäten unseres Gehirn auswirken. Für ihre Messungen setzten sie die Elektroenzephalografie, mit EEG abgekürzt, ein. Dabei trägt der Proband eine Kappe mit 64 Elektroden, die während des gesamten Versuchs die Nervenzellaktivität des Gehirns messen. Mit dieser Methode lässt sich zeitlich sehr genau darstellen, mit welchen Signalen Nervenzellen auf einen Schmerzreiz antworten.
Langanhaltender Schmerz ist von Emotionen begleitet
Die Wissenschaftler wählten folgenden Versuchsaufbau: 41 Studienteilnehmer erhielten über zehn Minuten schmerzhafte Hitzereize auf die Hand, die während des gesamten Zeitraums in ihrer Stärke variierten. Mit der anderen Hand sollten die Probanden mit Hilfe eines Schiebereglers die gerade empfundene Schmerzstärke auf einer Skala von eins bis hundert bewerten.
„Das Ergebnis hat uns selbst sehr verblüfft: Schon über wenige Minuten veränderte sich die subjektive Schmerzwahrnehmung der Teilnehmer – sie spürten zum Beispiel Änderungen des Schmerzes, wenn der objektive Reiz unverändert blieb. Die Empfindung von Schmerz löste sich somit bereits über wenige Minuten vom objektiven Reiz“, beschreibt Markus Ploner die Ergebnisse.
Bisherige Studien hatten ergeben, dass kurze Schmerzreize eher von sensorischen Hirnbereichen wahrgenommen werden. Diese verarbeiten die Signale, die von den Sinnesorganen an sie weitergeleitet werden, wie etwa die Wahrnehmungen der Kälte- und Wärmerezeptoren in der Haut. Bei den Experimenten mit langandauernden Schmerzen ergaben die Messergebnisse des EEGs jedoch ein anderes Bild: in diesem Fall beobachteten die Wissenschaftler auch Gamma-Wellen des medialen präfrontalen Cortex, einer Hirnregionen, die auch für Emotionen zuständig ist.
„Dauert ein Schmerz über einen längeren Zeitraum an, so wandelt er sich offensichtlich von einem reinen Wahrnehmungsprozess zu einem mehr emotionalen Prozess. Diese Erkenntnis ist hochinteressant für die Diagnose und Therapie von chronischen Schmerzen, bei denen der Schmerz über Monate und Jahre andauert“, so Ploner, der auch Oberarzt an der Neurologischen Klinik am TUM Klinikum rechts der Isar ist.
Ein Placebo kann die Schmerzwahrnehmung verändern
Aber nicht nur die Dauer, sondern auch die Erwartung an einen Schmerzreiz kann unsere Wahrnehmung beeinflussen, wie die Wissenschaftler in einem zweites Experiment zeigen konnten: Zwanzig Probanden erhielten zuerst unterschiedlich starke schmerzhafte Laserpulse auf zwei verschiedene Bereiche ihres Handrückens. Die Wahrnehmung jedes einzelnen Schmerzreizes wurde anschließend von den Probanden mündlich bewertet. Im weiteren Verlauf des Experiments erhielten sie die gleichen Reize noch einmal. Dieses Mal wurden die beide Bereiche jedoch vor dem Experiment eingecremt. Beide Cremes enthielten keinen Wirkstoff. Den Probanden wurde jedoch mitgeteilt, eine der Cremes habe eine schmerzlindernde Wirkung.
Das Ergebnis: „Die Probanden bewerteten die Schmerzen auf dem Hautbereich mit der angeblich schmerzlindernden Creme signifikant schwächer als auf der anderen Hautstelle“, so Ploner. Dieser Placebo-Effekt machte sich auch im EGG bemerkbar: Obwohl die Probanden beim zweiten Durchlauf des Experiments die gleichen Schmerzreize erhielten, reagierten ihre Nervenzellen nun anders.
„Unsere Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich unser Gehirn sogar objektiv gleiche Schmerzreize verarbeitet. Dieses komplexe neurologische Phänomen ‚Schmerz‘ im Gehirn systematisch zu kartieren und besser zu verstehen, ist eine große Herausforderung – für eine bessere Therapie von Schmerzpatienten aber dringend notwendig.“, meint Ploner.
Technische Universität München, 11.03.2015.
Originalpublikationen:
E. Schulz, E. S. May, M. Postorino, L. Tiemann, M. M. Nickel, V. Witkovsky, P. Schmidt, J. Gross, M. Ploner, Prefrontal gamma oscillations encode tonic pain in humans, Cerebral Cortex, Februar 2015.
DOI: 10.1093/cercor/bhv043
L. Tiemann, E. S. May, M. Postorino, E. Schulz, M. M. Nickel, U. Bingel, M. Ploner, Differential neurophysiological correlates of bottom-up and top-down modulations of pain, Pain, 2015, Feb;156(2):289-96.
DOI: 10.1097/01.j.pain.0000460309.94442.44