Streptococcus mutans gilt als wichtigster Verursacher von Karies. Doch scheint das Bakterium nicht alleine für die Entstehung von Löchern in den Zähnen verantwortlich zu sein. Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Pathogene zur Entstehung von Karies führen könnte.
Das Bakterium Streptococcus mutans kommt bei fast allen Menschen im Speichel vor und spielt eine wesentliche Rolle bei der Bildung von Karies. Lange ging man sogar davon aus, dass dieser Krankheitserreger alleine für die Kariesbildung verantwortlich ist. Neuere Studien zeigen jedoch, dass eine ganze Reihe von Pathogenen an der Entstehung von Karies beteiligt ist. Viele von ihnen leben in der klebrigen Substanz, die Streptococcus mutans bildet, um an den Zähnen haften zu können. Einer dieser Krankeitserreger ist der Hefepilz Candida albicans.
„Wir haben uns das Zusammenspiel von Streptococcus mutans und Candida albicans genauer angeschaut und festgestellt, dass das Bakterium im Beisein des Pilzes seine Virulenz verändert“, sagt Irene Wagner-Döbler vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung. Das Bakterium wird also in Anwesenheit des Pilzes schädlicher.
Mikroorganismen können Informationen über chemische Signale miteinander austauschen. Sie geben selbst Moleküle ab und erkennen die von anderen Mikroorganismen ausgeschiedenen Moleküle in ihrer Umgebung. Wenn das Bakterium Streptococcus mutans eine hohe Konzentration von bestimmten Signalstoffen wahrnimmt, die von dem Pilz Candida albicans ausgeschieden werden, so aktiviert er sein Quorum-Sensing-System. Ursprünglich dient dieses System dazu, dass Bakterien die Zelldichte ihrer eigenen Population messen können. Sie koordinieren darüber Prozesse, die ineffizient wären, wenn sie von einzelnen Bakterien alleine durchgeführt würden, wie etwa Biolumineszenz, die Bildung von Biofilmen oder die Sekretion von Antibiotika oder Pathogenitätsfaktoren.
Die Pilze produzieren also Signalmoleküle, die von ihnen ausgeschieden werden. Die Bakterien nehmen diese Substanzen auf und reagieren auf sie ab einer bestimmten Konzentration mit verschiedenen Stoffwechselveränderungen. „Eine dieser Reaktionen ist die Aktivierung von Genen bei Streptoccoccus mutans, die zur Produktion zelleigener Antibiotika führen“, sagt Dr. Helena Sztajer, Erstautorin der Studie. So kann Streptoccoccus mutans andere Bakterienarten erfolgreich bekämpfen und sich selbst einen Vorteil verschaffen.
Darüber hinaus ist das Bakterium in Anwesenheit des Pilzes eher in der Lage fremdes Erbgut aufzunehmen. „So kann es sich neue Eigenschaften aneignen, wie beispielsweise Antibiotikaresistenzen“, sagt Sztajer. Auch die Produktion klebriger Substanzen, eine wichtige Voraussetzung für die Haftung von Streptoccoccus mutans und anderer Bakterien auf dem Zahn, wird durch den Pilz unterdrückt. Ob dadurch die Kariesbildung verstärkt wird, müssen Untersuchungen am Menschen noch zeigen. Fest steht, dass ein Pathogen durch das Zusammenspiel mit einem anderen Mikroorganismus seine Gefährlichkeit (Virulenz) völlig ändern kann – es wird von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde.
Doch die Erkenntnisse der Forscher sind nicht nur im Hinblick auf Karies von Bedeutung. Denn sie bestätigen eine neue Theorie über die Faktoren, die Krankheiten auslösen. Suchte man früher meist nach einem einzigen Erreger als Krankheitsverursacher, so mehren sich in letzter Zeit die Hinweise, dass Krankheiten oft durch das Zusammenspiel mehrerer verschiedener Mikroorganismen ausgelöst werden. Dabei spielen sogenannte Biofilme, eine Schleimschicht aus einer oder mehreren Arten von Mikroorganismen eine zentrale Rolle. „Die Organismen spielen also als Verbund zusammen, wie bei einem Orchester“, sagt Wagner-Döbler.
Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, 23.09.2014.
Sztajer H, Szafranski SP, Tomasch J, Reck M, Nimtz M, Rohde M, Wagner-Döbler I. Cross-feeding and interkingdom communication in dual-species biofilms of Streptococcus mutans and Candida albicans. ISME J. 2014 May 13. doi: 10.1038/ismej.2014.73. [Epub ahead of print]