Ist Milch tatsächlich so ungesund, wie eine neue Studie uns glauben machen will?

Milchshake. © NickSS. CC BY 2.0

Milchshake. © NickSS. CC BY 2.0

Ein schwedisches Forscherteam kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, dass ein hoher Milchkonsum mit einer erhöhten Sterblichkeit bei Frauen und Männern einher geht und Frauen, die viel Milch trinken zudem mehr Knochenbrüche erleiden. Ausgangspunkt für die Annahme der Wissenschaftler, Milch könne sich auf die Gesundheit nachteilig auswirken waren Tiermodelle, bei denen ein Abbauprodukt der Laktose, die D-Galactose, Alterungsprozesse fördern soll. Die vorgelegte Studie stellt eine reine Korrelation zwischen Milchkonsum und Sterblichkeit bzw. Knochenbrüchen dar, sagt also nichts über mögliche ursächliche Zusammenhänge aus. Einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang soll also das Tiermodell liefern. Aber wie überzeugend ist dieses Tiermodell?

Die Vorteile von Milch und Milchprodukten

Milchprodukte sollen wesentlich dazu beitragen Knochenbrüche aufgrund von Osteoporose zu verhindern. Darüber hinaus enthält Milch 18 von 22 essentiellen Nährstoffen, wie etwa Kalzium, Phosphor und Vitamin D, die für den Knochenaufbau wichtig sind. Die Milchaufnahme im Darm wird bei Europäern durch eine Mutation ermöglicht, durch die wir in der Lage sind Laktose in D-Glukose und D-Galactose zu spalten. Ein täglicher Konsum von Milchprodukten, der drei bis vier Gläsern Milch entspricht soll laut einer älteren Studie zu einer Einsparung von 20% der Gesundheitskosten führen.

Ein Tiermodell zur Alterung gab Anlass für die Studie

Doch die schwedischen Forscher vermuteten bereits vor Beginn ihrer Studie, dass Milch als Hauptquelle für D-Galactose unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. Dabei bezogen sie sich auf Tiermodelle, bei denen eine langfristige Gabe von D-Galactose als Modell der natürlichen Alterung dient. Die Tiere sollen unter oxidativem Stress, chronischen Entzündungen, Neurodegeneration, einem geschwächten Immunsystem und Veränderungen der Genaktivität leiden. Eine Dosis von 100 mg/kg D-Galactose soll bei den Mäusen eine vorzeitige Vergreisung bewirken. Das entspricht einer Dosis von 6 – 10 g beim Menschen, die in 1-2 Gläsern Milch enthalten sind. Denn der Laktosegehalt in der Kuhmilch beträgt 5%, so dass ein Glas Milch etwa 5 g D-Galactose entspricht. Die Zunahme von oxidativem Stress im Alter und leichte chronische Entzündungen führen beim Menschen nicht nur zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, sondern stellen auch eine Ursache für altersbedingten Knochen- und Muskelabbau dar. Deshalb, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler, würde die hohe Konzentration an Laktose und damit verbunden D-Galactose in der Milch, die ihrer Meinung nach vermutlich oxidativen Stress und Entzündungsreaktionen fördert, gegen die Empfehlung sprechen den Milchkonsum zu steigern, um Knochenbrüche zu verhindern.

Welche Auswirkungen lassen ältere Studien vermuten?

Zu Beginn ihrer Studie stellten die Wissenschaftler folglich die Hypothese auf, wegen dem hohen Laktoseanteil in der Milch würde ein hoher Milchkonsum zu vermehrtem oxidativem Stress führen, was eine höhere Sterblichkeit und mehr Knochenbrüche zur Folge hätte. Eine Meta-Analyse von Cohortenstudien, die aufklären sollte ob es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milch- und Milchprodukten einerseits und der Sterblichkeit und auftretenden Knochenbrüchen andererseits gibt, ergab keinen eindeutigen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko. Und randomisierte Studien zu diesem Thema waren nicht vorhanden. Also beschlossen die Forscher selbst eine Studie durchzuführen, die diese Fragestellung klären sollte. Dabei wollten sie zwischen dem Konsum von Milch und Milchprodukten unterschieden, da sie davon ausgingen Milchprodukte würden wegen der geringeren Menge an Laktose und damit D-Galactose weniger oxidativen Stress auslösen, als unfermentierte Milch.

Die Ergebnisse der neuen, schwedischen Studie

Die Studie bestätigte den verdacht der Wissenschaftler: Je mehr Gläser Milch ein Studienteilnehmer trank, desto höher war sein Risiko Knochenbrüche zu erleiden oder gar früher zu sterben. Mit jedem täglich genossenen Glas Milch, das die Forscher mit 200 ml veranschlagten, erhöhte sich für Frauen das relative Risiko früher zu sterben um 15 Prozent und bei Männern um drei Prozent. Bei einem durchschnittlichen Milchkonsum von 250 ml Milch pro Tag, wie er in Deutschland üblich ist, würde demnach der Milchkonsum zu einem deutlich erhöhten Sterberisiko führen.

Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler die Ernährungsgewohnheiten und den Gesundheitszustand von 61.433 Frauen und 45.339 Männern aus.

Die Daten für die Frauen stammten von einer schwedischen Mammografie-Kohorte, deren Teilnehmerinnen zu Beginn der Studie zwischen 39 und 74 Jahren alt waren. Sie wurden einmal zu Beginn der Mammographiestudie Ende der 80er Jahre und ein zweites Mal 1997 zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. Im Verlaufe dieser Studie wurden die einzelnen Frauen circa 20 Jahre lang begleitet. In diesem Zeitraum starben 15.541 der Frauen, 17.252 von ihnen erlitten einen Knochenbruch, wovon 4259 der Fälle Hüftgelenke betrafen.

Die Daten für die Männer berechneten die Wissenschaftler aus einer schwedischen Männerkohorte, deren Teilnehmer 1997 zwischen 45 und 79 Jahre alt waren. Sie füllten einmalig einen Fragebogen zu ihren Ernährungsgewohnheiten aus und wurden 11 Jahre lang begleitet. Am Ende der Studie waren 10.112 der Teilnehmer gestorben, 5066 hatten einen Knochenbruch erlitten, wovon 1166 Brüche des Hüftgelenks waren.

Bei der Auswertung der Daten berücksichtigten die Wissenschaftler auch Faktoren, wie Body-Mass-Index, Alkoholkonsum, Gesundheitszustand und Bildungsgrad, die das Studienergebnis sonst hätten verfälschen können. Wie vor Beginn der Studie beschlossen unterschieden die Wissenschaftler zwischen dem Konsum von frischer Milch und dem fermentierter Milchprodukte, wie Joghurt, Quark oder Käse. Wie sich zeigte waren die Risiken für Frauen Knochenbrüche zu erleiden oder früher zu sterben, deutlich niedriger, wenn sie viele fermentierte Milchprodukte verzehrten. Bei Männern ergab sich dagegen kein deutlicher Effekt.

Wie sind die Ergebnisse der schwedischen Studie zu bewerten?

Wie die Forscher selbst zugeben, kann ihre Studie nicht beweisen, ob der Milchkonsum tatsächlich ursächlich für die erhöhte Zahl der Knochenbrüche und die höhere Todesrate verantwortlich ist. Denn die Studie weist nur eine Korrelation nach, die die verschiedensten Gründe haben kann. Eine Korrelation beschreibt keine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Aus einem starken Zusammenhang kann nicht geschlossen werden, dass auch eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung besteht. Beispielsweise kann man aus der Tatsache, dass in Sommern mit hohem Speiseeiskonsum viele Sonnenbrände auftreten, nicht schlussfolgern, dass Eisessen Sonnenbrand verursacht, selbst wenn die Zahl der Sonnenbrände proportional mit dem Speiseeiskonsum ansteigt.

Ein höchst umstrittenes Tiermodell

Um ihren Ergebnissen mehr Gewicht zu verleihen berufen sich die Wissenschaftler auf das Tiermodell, nach dem D-Galactose den Alterungsprozess beschleunigen soll. Doch wenn man sich die Publikationen zu diesem Thema etwas genauer ansieht fällt auf, dass es sich meist um Veröffentlichungen aus China handelt, die meist in wenig renomierten Fachzeitschriften publiziert wurden. Dabei darf man nicht vergessen, dass chinesische Wissenschaftler in einem totalitären System arbeiten müssen, das der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft sicher nicht unbedingt besonders dienlich ist. Außerdem scheint dieses Tiermodell für Alterungsprozesse ziemlich umstritten zu sein, denn 2010 veröffentlichte ein Forscherteam von der Auburn University in Alabama, dass ihre mit D-Galactose behandelten Mäuse keine typischen Alterserscheinungen zeigten. Daraufhin publizierte eine chinesische Arbeitsgruppe von der Nanjing Medical University, aus der Provinz Jiangsu in China 2014 Forschungsergebnisse, die klären sollten, unter welchen Bedingungen das durch D-Galactose hervorgerufene Alterungsmodell tatsächlich funktionieren sollte. Das schwedische Forscherteam zitiert in seiner Studie die Veröffentlichung von 2014. Es muss den Schweden also klar gewesen sein, dass das durch D-Galactose induzierte Alterungsmodell nicht unumstritten ist. Da verwundert es schon, dass sie dies in der vorliegenden Studie mit keinem Wort erwähnen.

Falsche Annahme über die D-Galactose Menge in Milch wie in fermentierten Milchprodukten

Ein weiterer Kritikpunkt an der vorliegenden Studie liegt darin, dass die Autoren eine falsche Annahme über die Konzentration von D-Galactose und Lactose in Milch und Milchprodukten machen. Sie gehen davon aus, dass die Menge dieser Stoffe in unfermentierter Milch deutlich höher ist als in Milchprodukten, wie Joghurt, Quark und Käse. Tatsächlich ist aber der Unterschied im Lactose- bzw. Galactosegehalt zwischen diesen beiden Produktgruppen vergleichsweise gering. Wie Kasper Hettinga  von der Wageningen University in den Niederlanden in einer Kritik zu der schwedischen Studie schreibt, wurde ein Teil der Lactose im Joghurt lediglich in D-Galactose und Glucose gespalten. Effektiv bedeutet das, dass die Konzentration an D-Galactose in Joghurt und Milch gleich hoch sind. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Martijn B. Katan von der VU University in Amsterdem. Es ist daher mehr als fragwürdig, ob die schwedische Studie tatsächlich genug harte Fakten vorlegt, um die Empfehlungen für den Milchkonsum zu revidieren.

von Ute Keck

 

Originalpublikationen:

Michaëlsson K, Wolk A, Langenskiöld S, Basu S, Warensjö Lemming E, Melhus H, Byberg L. Milk intake and risk of mortality and fractures in women and men: cohort studies. BMJ. 2014 Oct 28;349:g6015. doi: 10.1136/bmj.g6015

 

Parameshwaran K, Irwin MH, Steliou K, Pinkert CA. D-galactose effectiveness in modeling aging and therapeutic antioxidant treatment in mice. Rejuvenation Res. 2010 Dec;13(6):729-35. doi: 10.1089/rej.2010.1020. Epub 2011 Jan 4.

 

Hao L, Huang H, Gao J, Marshall C, Chen Y, Xiao M. The influence of gender, age and treatment time on brain oxidative stress and memory impairment induced by D-galactose in mice. Neurosci Lett. 2014 Jun 13;571:45-9. doi: 10.1016/j.neulet.2014.04.038. Epub 2014 May 2.

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