Drongos, eine afrikanische Vogelart, sind trickreiche Räuber. Um an die verlockende Beute anderer Vögel und Erdmännchen zu kommen stoßen sie Warnrufe aus, die ihre Opfer dazu veranlassen fluchtartig ihre Beute im Stich zu lassen.
Für Erdmännchen, Elsterdrosslinge und viele andere Vögel in der Kalahari sind Drongos (Dicrurus adsimilis), mit ihrem schwarz glänzenden Gefieder und den roten Augen, zuverlässige Wachtposten in einer gefährlichen Umwelt. Sowie sich ein Raubvogel, Schakal oder sonst ein Räuber nähert schlagen sie zuverlässig Alarm. Unter den wachsamen Augen der Drongos können Elsterdrosslinge und Erdmännchen, die in komplexen sozialen Verbänden lebenden und auch eigene Wachtposten aufstellen, unbesorgter auf Futtersuche gehen.
Bei schlechtem Nahrungsangebot werden die Wächter zu Dieben
Aber wenn die Temperaturen im Winter unter null Grad sinken und die Drongos ihre normale Beute, fliegende Insekten, nicht mehr finden, dann ändern sie ihre Strategie. Sieht nun ein Drongo, wie ein Erdmännchen einen leckeren Skorpion überwältigt hat, stößt er einen Alarmruf aus, der einer Lüge gleicht, da weit und breit kein Raubtier in Sicht ist. Das Erdmännchen lässt dann sofort von seinem Leckerbissen ab und bringt sich fluchtartig in Sicherheit. Das gibt dem geflügelten Lügner die Chance in Ruhe die Beute des Erdmännchens zu klauen und selbst den leckeren Skorpion zu verspeisen. Biologen nennen dieses Verhalten Kleptoparasitismus.
Drongos sind bei Ornithologen schon lange für ihr diebisches Verhalten bekannt. Und diese Tatsache entgeht wohl auch den Elsterdrosslingen und Erdmännchen auf Dauer nicht. Wenn sie zu oft vor einem Raubvogel gewarnt werden, ohne, dass dieser tatsächlich auftaucht, dann ergeht es den Drongos wie dem Jungen in Äsops Fabel, der zu oft „Wolf“ ruft. Dann reagieren sie nicht mehr auf die Warnrufe der Drongos.
Meister der Imitation
Wissenschaftler unter der Leitung des Ornithologen Tom Flower vom Percy FitzPatrick Institute of African Ornithology der Universität Kapstadt in Südafrika haben nun herausgefunden, dass die Drongos in diesem Fall ihre Taktik ändern: Sie gehen dann zu einer Imitation des Warnrufs ihrer Opfer über oder ahmen gar den Warnruf einer ganz andern Tierart nach. Drongos sind in der Lage Warnrufe von zahlreichen anderen Tierarten, wie Vögeln und Säugetieren zu imitieren. Tom Flower hat erlebt, wie Drongos die Warnrufe von 25 verschiedenen Tierarten nachmachen, um diese zu beklauen. Wahrscheinlich haben sie diese erlernt. Manche dieser Tiere benutzen, wie die Drongos selbst, eine Vielzahl von verschiedenen Warnrufen, um beispielsweise zwischen der Bedrohung durch einen Raubvogels und einem Schakal zu unterscheiden. Drongos imitieren all diese Laute, so dass einzelne Tiere aus einem Repertoire von 9 bis 32 verschiedenen Warnrufen schöpfen können.
Was die Drongos von ihrem Imitationstalent haben
Tom Flower und seine Kollegen wollten wissen, warum die Drongos so eine große Vielzahl an Alarmrufen verschiedener Tierarten für ihre Tricksereien einsetzen. Um diese Frage zu klären spielten sie den Opfern akustische Aufzeichnungen der verschiedenen Alarmrufe der Drongos vor. Dann beobachteten sie, wie lange ein Elsterdrossling, der gerade etwas leckeres erbeutet hatte, in Deckung blieb, nachdem er einen dieser Warnruf vernommen hatte. Dabei verglichen die Forscher die Reaktionen der Elsterdrosslinge auf die normalen Warnrufe der Drongos mit denen auf die Warnrufe, bei denen Drongos Elsterdrosslinge oder Rotschulter-Glanzstare imitierten. Bezeichnenderweise blieben die Elsterdrosslinge am längsten in Deckung, wenn der imitierte Laut ihrem eigenen Warnruf oder dem eines Staren glich. Sobald die Elsterdrosslinge drei mal hintereinander den gleichen Warnruf gehört hatten, ohne, dass eine wirkliche Bedrohung vorlag, ignorierten sie diesen. Wenn der dritte Warnruf aber von einer anderen Tierart stammte, deren imitierten Alarmruf sie nicht kurz zuvor bereits vernommen hatten, brachten sie sich wieder eiligst in Sicherheit.
Als nächstes beobachteten Tom Flower und sein Team 42 markierte, wilde Drongos dabei, wie sie versuchten das selbe Opfer wiederholt zu bestehlen. Im Verlaufe dieser Studien zeichneten sie 151 der dabei eingesetzten Alarmrufe auf. In 74 dieser Fälle wechselten die Vögel den verwendeten Alarmruf. Ein Drongo ließ beispielsweise erst zweimal seinen eigenen Alarmruf ertönen. Wenn das Opfer sich dann beim dritten Alarmruf davon unbeeindruckt zeigte, versuchte er es mit dem imitierten Alarmruf einer anderen Art, meist dem Alarmruf des Opfers. Dieser Wechsel war fast immer von Erfolg gekrönt und das Opfer brachte sich erneut fluchtartig in Sicherheit. So gelingt es den Vögeln das selbe Opfer über einen längeren Zeitraum hinweg zu täuschen, ohne, dass das Opfer den Schwindel durchschaut. Außerdem kamen Drongos, die Warnrufe verschiedener Tierarten einsetzten wesentlich schneller an Futter, als solche, die sich bei ihren Täuschungsmanövern nur eines einzigen Warnrufs bedienten. Drongos erbeuteten etwa 20% ihrer Nahrung durch diese Art von Täuschungsmanövern.
Wie erklärt man sich das komplexe Verhalten der Drongos?
Es gibt verschiedene Erklärungen dafür, wie dieses komplexe Verhalten der Drongos zu Stande kommt. Tom Flower geht davon aus, dass die Drongos ihre Warnrufe nicht geplant einsetzen. Vielmehr beobachten sie vermutlich ihre Opfer sehr genau und passen ihr Verhalten dann an deren jeweilige Reaktion an. So könnte dieses komplexes Verhalten durch so einfache Mechanismen, wie assoziatives Lernen oder die Einsicht in Ursache und Wirkung hervorgerufen werden.
Man könnte das Verhalten der Drongos aber auch mit dem Theory of Mind Konzept erklären. Dazu müssten die Drongos in der Lage sein, sich in die Gefühlswelt ihrer Opfer hinein zu versetzen. Tom Flower bezweifelt, dass Drongos tatsächlich zu dieser Einsicht fähig sind. Bisher konnte ein Bewusstsein, wie es das Theory of Mind Konzept darstellt bei Tieren noch nicht nachgewiesen werden. Aber es mehren sich die Hinweise, dass Tiere wesentlich mehr sprachliche und kognitive Fähigkeiten besitzen, als ihnen gemeinhin zugestanden wird.
Das Kuruman River Reservat, ein einzigartiger Ort zur Beobachtung des Sozialverhaltens von Tiergemeinschaften
Die Studie wurde in dem Kuruman River Reservat in der südafrikanischen Wüste Kalahari, nahe der botswanischen Grenze, durchgeführt. Von 2008 bis 2014 legte Tom Flower sechs Monate im Jahr, an sechs Tagen in der Woche zwischen 5 und 15 Kilometer zurück, um die Tricks der Drogos zu beobachten. Und das ganze bei Temperaturen zwischen -11°C an kalten Wintertagen und 42°C im Sommer.
Im Kuruman River Reservat wird in einer Langzeitstudie das Sozialverhalten von Erdmännchen untersucht. Die Studie begann 1993 und wurde durch die populäre Fernsehserie „Und täglich grüßt das Erdmännchen“ dokumentiert.
In dem Erdmännchenprojekt wird das Verhalten von etwa 14 Gruppen von Erdmännchen beobachtet. Alle Tiere sind daran gewöhnt ständig Menschen um sich haben. In diesem Gebiet sind so viele Forscher unterwegs, dass jedes Erdmännchen bereits kurz nach seiner Geburt einen Wissenschaftler erblickt, der sein Verhalten beobachten möchte. So sind die Forscher teil der natürlichen Umgebung der Erdmännchen geworden und die Tiere messen ihrer Anwesenheit keine besondere Bedeutung mehr zu. Das Kalahari Erdmännchen Projekt ist eines der wichtigsten Feldstudien zur Evolution von kooperativen Lebensweisen.
Auch andere Tierarten der Region, wie die dort lebenden Drongos und Elsterdrosslinge, sind ebenfalls an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt, die sie aus einem Abstand von weniger als fünf Metern beobachten. So können Tom Flower und andere Forscher das Geschehen aus nächster Nähe beobachten. Jedes einzelne Tier kann anhand von Markierungen identifiziert werden. Die Vögel tragen farbige Ringe und das Fell der Erdmännchen ist mit Haarspray markiert.
Im Laufe seines Forschungsprojektes hat Tom Flower etwa 200 Vögel beringt und an sich gewöhnt. Sie leben in 40 verschiedenen Revieren, die mit denen der Erdmännchen und Elsterdrosslinge überlappen. Tom Flower hat einzelnen Drongos beigebracht zu ihm zu kommen, wenn er sie ruft. Zur Belohnung erhalten sie dann einen leckeren Mehlwurm. Danach verlässt ihn der Vogel wieder, um seinen natürlichen Tätigkeiten nachzugehen. Dann geht er auf Insekten- oder Reptilienfang, folgt Herden größerer afrikanischer Säugetiere, um die von ihnen aus dem Gras aufgescheuchten Insekten zu erbeuten oder folgt anderen Vögeln oder Erdmännchen, um ihnen ihre Beute abzuluchsen. Dann kann Tom Flower ihn begleitet, weil er nun weiß, wo sich der Vogel aufhält.
Elsterdrosslinge sind Vögel, die ein ähnliches Sozialverhalten aufweisen, wie die Erdmännchen. Während sich das Elternpaar nur um das Brüten kümmert, bleiben die Jungen der letzten Generation beim Nest, um ihre jüngeren Geschwister zu versorgen. Eine Koautorin der Drongo Veröffentlichung, Amanda Ridley, beobachtet seit 2003 im Rahmen eines weiteren Projektes in dem Reservat Elsterdrosslinge. Sie studierte das Verhalten von 14 verschiedenen Gruppen von Elsterdrosslingen, die daran gewöhnt sind, von Menschen begleitet und beobachtet zu werden.
Tom Flower arbeitete ab 2003 an dem Erdmännchenprojekt und war von 2004 bis 2007 Leiter dieses Projekts. Er ist davon überzeugt, dass dieser gute Zugang zu so vielen verschiedene Tierarten einzigartig auf der Welt ist und eine entschiedene Rolle für das Gelingen seiner Beobachtungen und Untersuchungen gespielt hat. Tom Flower begleitet nun junge Drongos bei ihrer Entwicklung, um herauszufinden, wie sie ihre Täuschungsmanöver erlernen.
Von Ute Keck
Video: Wie der Drongo Erdmännchen austrickst.
Flower T. P. et al. Science. 2014. Deception by flexible alarm mimicry in an African bird.