Vermutlich sind Kraken die ältesten intelligenten Lebewesen unserer Erde. Bereits seit 400 Millionen Jahren durchstreifen die geschickten Jäger unsere Ozeane. Darüber hinaus verfügen sie noch über eine Vielzahl weiterer erstaunlicher Fähigkeiten. Um diese besser verstehen zu können hat ein internationales Forscherteam nun das Genom des Kalifornischen Zweipunktkraken entschlüsselt. Und entdeckte dabei erstaunliche Parallelen zu Wirbeltiergenomen.
Kraken wirken wie aus einer anderen Welt: Geschmeidig bewegen sie sich mit ihren von Saugnäpfen besetzten acht Greifarmen und ihrem weichen, skelettlosen Körper durch das Wasser. Mit ihren sehr guten, eversen Linsenaugen, bei denen die Sinneszellen, im anders als beim Menschen, direkt zum Licht ausgerichtet sind, beobachten sie aufmerksam ihre Umgebung. Als Meister der Tarnung können sie ihre Körperfarbe beliebig an die jeweilige Umgebung anpassen. Dazu können sie Licht mit ihrer gesamten Körperoberfläche wahrnehmen. Ihr Herz ist mehrteilig und besteht aus einem Hauptherzen und zwei Kiemenherzen. Darüber hinaus sind Kopffüßer die intelligentesten Wirbellosen der Erde. Mit ihren 500.000 Neuronen ist ihr Gehirn mehr als sechsmal so groß, wie das einer Maus. Ihr komplexes Nervensystem ist über mehrere Bereiche ihres Körpers verteil: Ein Drittel davon ist in ihrem großen, zentralen Gehirn lokalisiert, während sich zwei Drittel ihrer Nerven in den Armen befinden, wo sie relativ autonom arbeiten. In zahlreichen Experimenten bewiesen die Tiere, dass sie komplexe Probleme lösen, einmal erlernte Problemlösungen situationsgerecht anwenden und durch Beobachtung von ihren Artgenossen lernen können.
Nun hat ein internationales Forscherteam das Genom des Kalifornischen Zweipunktkraken Octopus bimaculoides entschlüsselt. Die Ergebnisse verraten, wie sich ein einfacher Mollusk in ein Wesen mit solch ungewöhnlichen Fähigkeiten entwickeln konnte. Anhand der Gene wollen Forscher verstehen, wie Kopffüßer es schaffen ihren Weg durch komplexe Labyrinthe zu finden und Gläser mit leckeren Krabben zu öffnen.
Das Genom des Kraken ist mit 2,7 Gigabasen ähnlich groß wie das des Menschen (3 Gigabasen) und verfügt mit seinen rund 33.000 Genen sogar über mehr Gene als der Mensch, dessen Genom etwa 25.000 Gene umfasst. Das Genom der Kraken ähnelt in weiten Bereichen dem anderer Mollusken, wie etwa Schnecken oder Muscheln. Doch es enthält auch gravierende Umgruppierungen von Genen. Darüber hinaus kam es zu einer drastischen Zunahme von Genen, die für die Entwicklung von Nervenzellen wichtig sind, deren Ausmaß dem von Wirbeltieren vergleichbar ist. In den betroffenen Genombereichen kommen auch viele Transposons vor. Das sind ursprünglich von Viren abstammende genetische Elemente, die springen können. Sie stehen im Verdacht die Evolution anzukurbeln, wie dies etwa auch für die Entwicklung des Gehirns und der Plazenta des Menschen vermutet wird.
Das könnte erklären, warum die Kraken über ein so außergewöhnlich komplexes Nervensystem verfügen. Eine der betroffenen Genfamilien sind die Protocadherine. Sie regulieren die Entwicklung von Nervenzellen und die Zusammenarbeit von Neuronen im Nahbereich. Von diesen Genen besitzt der Krake gleich 168, das ist doppelt so viel, wie bei Säugetieren. Das geht vermutlich auf die Verteilung seines Gehirns in mehrere Bereichen des Körpers zurück. Eine weitere Genfamilie umfasst Transkriptionsfaktoren, die für die Regulation der Aktivität von Genen verantwortlich sind: Die Zinkfinger-Proteine. Sie sind hauptsächlich in embryonalem und in Nervengewebe aktiv und sollen für die Gehirnentwicklung wichtig sein. Mit 1.800 Genen ist diese bei den Kraken entdeckte Genfamilie die zweit Größte, die je bei einem Tier entdeckt wurde, nach der 2.000 Gene umfassenden Genfamilie der Geruchsrezeptoren bei Elefanten.
Dabei ist das Nervensystem der Kranken völlig anders aufgebaut, als das von Wirbeltieren: Wie bei anderen Weichtieren ist das zentrale Gehirn der Kraken um die Speiseröhre herum angelegt. Doch sie verfügen außerdem über ziemlich autonom arbeitende Neuronen in ihren acht Armen und über zwei große optische Gehirnbereiche, die der Verarbeitung optischer Sinneseindrücke dienen. In Zukunft wollen die Forscher herauszufinden, wie die einzelnen Bereiche des verteilten Gehirns der Kraken zusammenarbeiten. Etwa wie sie die Bewegungen ihrer einzelnen Tentakeln koordinieren. Das könnte auch für die Entwicklung von Robotern nützlich sein.
Kopffüßer sind vermutlich die ältesten intelligenten Lebewesen der Erde. Denn die Klasse, zu der neben den Tintenfischen auch das als Nautilus bekannte Perlboot gehört entwickelte sich bereits vor 400 Millionen Jahren. Seit dieser Zeit durchstreifen sie als erfolgreiche Jäger unser Ozeane. Wobei damals die heute ausgestorbenen Ammoniten besonders verbreitet waren. Sie beherrschten unsere Ozeane im Zeitalter des Devon und dienen heute als Leitfossilien. Sie starben zur gleichen Zeit aus, wie die Dinosaurier: vor rund 66 Millionen Jahren.
Die Forscher fanden im Krakengenom hunderte von Genen, die sie bisher von keinem anderen Organismus kannten und die dem Kraken dabei helfen, seine Körperfarbe zu verändern und sich für seine Feinde unsichtbar zu machen.
Doch auf die Forscher warten noch viele weitere Geheimnisse der Kraken, die sie mit Hilfe des entschlüsselten Genoms lüften wollen. So wollen sie etwa herausfinden, wie die Tier mit den Saugnäpfen an ihren Fangarmen chemische Substanzen wahrnehmen, sowie fühlen und greifen können. Wie es ihnen gelingt einmal verlorene Arme zu regenerieren. Oder wie sie die Schubkraft erzeugen, die sie durch das Wasser schießen lässt. Wie ihre Linsenaugen funktionieren oder wie ihre dreigeteilten Herzen arbeiten.
von Ute Keck
Video zu den Forschungsergebnissen:
Originalpublikation:
Caroline B. Albertin, Oleg Simakov, Therese Mitros, Z. Yan Wang, Judit R. Pungor, Eric Edsinger-Gonzales, Sydney Brenner, Clifton W. Ragsdale & Daniel S. Rokhsar. The octopus genome and the evolution of cephalopod neural and morphological novelties. Nature 524, 220–224 (13 August 2015) doi: 10.1038/nature14668