Neuroblastom: Telomerase macht Zellen unsterblich

Zellen eines Hochrisiko-Neuroblastoms: Zwei normale Kopien des TERT-Gens (grün) in ihrer normalen Umgebung (nahe dem CLPTM1L-Gen, rot). Die dritte Kopie des TERT-Gens ist auf Chromosom 20 umgelagert und hat ihren normalen „Nachbarn“ CLPTM1L verloren. | © Dr. Larissa Savelyeva, DKFZ

Zellen eines Hochrisiko-Neuroblastoms: Zwei normale Kopien des TERT-Gens (grün) in ihrer normalen Umgebung (nahe dem CLPTM1L-Gen, rot). Die dritte Kopie des TERT-Gens ist auf Chromosom 20 umgelagert und hat ihren normalen „Nachbarn“ CLPTM1L verloren. | © Dr. Larissa Savelyeva, DKFZ

Das Neuroblastom, ein Tumor des peripheren Nervensystems, gehört zu den häufigsten Krebsarten im Kindesalter. Manche dieser Tumoren bilden sich ohne Behandlung komplett zurück, andere jedoch schreiten trotz intensivster Therapie unaufhaltsam voran. Wissenschaftler haben nun die Ursache für die unterschiedlichen Krankheitsverläufe aufgeklärt. Wie sie entdeckten, ist in besonders bösartigen Tumoren eines der Gene für die Telomerase stark aktiviert. Dieses Enzym verlängert die Chromosomenenden und macht die Zellen dadurch unsterblich. 

Für ihre Studie untersuchte ein deutsches Forscherteam die Erbinformation von insgesamt 217 Neuroblastomen. Bei rund einem Drittel aller Hochrisiko-Neuroblastome entdeckten sie unterschiedliche Erbgut-Veränderungen auf Chromosom 5, die jedoch alle dieselbe Konsequenz hatten: eine starke Aktivierung des Gens TERT.

TERT liefert die genetische Information für eine der beiden Untereinheiten des Enzyms Telomerase, das maßgeblich zur Stabilisierung der Chromosomenenden – der sogenannten Telomere – beiträgt. Telomere werden auch als die molekulare Uhr der Zelle bezeichnet: In den meisten Körperzellen verkürzen sich die Chromosomenenden bei jeder Zellteilung. Wird eine kritische Länge unterschritten, führt der Telomer-Schwund zum Wachstumsstopp oder gar zum Zelltod. In Stammzellen und den meisten Krebszellen dagegen werden die Telomere durch die Telomerase erhalten, so dass die Zellen quasi „unsterblich“ werden.

Die Wissenschaftler fanden in ihrer Studie heraus, dass eine bislang bei diesem Gen noch nie beobachtete Erbgutveränderung zur Aktivierung der Telomerase führt und nur in aggressiv wachsenden Neuroblastomen auftritt. Patienten, bei denen diese Mutation vorliegt, haben geringere Heilungschancen.

Die Forscher beobachteten darüber hinaus, dass in einem weiteren Teil der Hochrisiko-Neuroblastome das Onkogen MYCN vervielfältigt ist und dadurch die Telomerase aktiviert. Darüber hinaus stabilisiert in etwa einem weiteren Drittel der aggressiven Tumoren ein anderer, alternativer Mechanismus die Chromosomenenden. Die große Mehrheit aller Hochrisiko-Neuroblastome verhindert also über verschiedene biologische Mechanismen, dass ihre Chromosomenenden die kritische Länge, die zu einem Wachstumstopp oder dem Zelltod führen würden, unterschreiten. In Neuroblastomen, die sich spontan zurückbilden, liegt keine der bei den aggressiven Tumoren gefundenen Aktivierung der Telomerase vor.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass das biologische Verhalten von Neuroblastomzellen ganz wesentlich davon abhängt, ob die Telomere verlängert werden: Dann kommt es zu aggressivem Tumorwachstum. Ohne Telomerverlängerung bildet sich der Tumor spontan zurück“, so Matthias Fischer, Leiter der Studie.

Neuartig ist vor allem der Mechanismus, über den TERT und damit die Telomerase aktiviert wird. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass eine Gen-Vervielfältigung oder Mutationen in regulierenden Bereichen zu einer moderaten Telomerase-Aktivierung in Krebszellen führen kann. Bei den Genom-Analysen fanden sie jedoch eine völlig andere Situation vor: „Im Erbgut der aggressiven Neuroblastome haben wir großräumige Umlagerungen gefunden. Dadurch gelangte das TERT-Gen in unmittelbare Nähe starker gewebespezifischer genetischer Verstärker und wird dadurch bis zu 90-fach stärker abgelesen als in normalen Zellen“, sagt Frank Westermann von Deutschen Krebsfoschungszentrum.

„Die Erkenntnisse der Studie verändern unser Verständnis des Neuroblastoms fundamental und könnten in Zukunft Diagnostik und Therapie von Neuroblastom-Patienten maßgeblich beeinflussen. So könnte der Nachweis aktiver Telomer-Verlängerung im Tumor genutzt werden, um den Krankheitsverlauf präzise vorherzusagen und die Behandlung der Patienten entsprechend anzupassen“, so Matthias Fischer.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 15.10.2015

 

Originalpublikation:

Peifer M, Hertwig F, Roels F, Dreidax D, Gartlgruber M, Menon R, Krämer A, Roncaioli JL, Sand F, Heuckmann J, Ikram F, Schmidt R, Ackermann S, Engesser A, Kahlert Y, Vogel W, Altmüller J, Nürnberg P, Thierry-Mieg J, Thierry-Mieg D, Mariappan A, Heynck S, Mariotti E, Henrich KO, Glöckner C, Bosco G, Leuschner I, Schweiger MR, Savelyeva L, Watkins SC, Shao C, Bell E, Höfer T, Achter V, Lang U, Theissen J, Volland R, Saadati M, Eggert A, de Wilde B, Berthold F, Peng Z, Zhao C, Shi L, Ortmann M, Büttner R, Perner S, Hero B, Schramm A, Schulte JH, Herrmann C, O’Sullivan RJ, Westermann F, Thomas RK, Fischer M. Telomerase activation by genomic rearrangements in high-risk neuroblastoma. Nature 2015; DOI: 10.1038/nature14980

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