Alzheimerpatienten leiden meist unter Schlafstörungen, oft sogar noch bevor sie vergesslich werden. Doch erst im Schlaf können neu hinzugekommene Erlebnisse und Erlerntes in das Langzeitgedächtnis überführt werden. Forscher haben nun untersucht, wie sich die krankhaften Veränderungen im Gehirn auf die Vorgänge der Informationsspeicherung im Schlaf auswirken. Mit Hilfe eines Mausmodells konnten sie den verantwortlichen Mechanismus entschlüsseln und die Störung mit medikamentösen Wirkstoffen lindern.
Vor allem die langsamen Schlafwellen, sogenannte slow oscillations, die unser Gehirn nachts erzeugt, dienen dazu, Gelerntes zu ordnen, auszusortieren und zu verfestigen, um es dann in den Langzeitspeicher zu verschieben. Die Wellen werden über ein Netzwerk an Nervenzellen in der Hirnrinde gebildet und breiten sich dann in andere Hirnareale, wie den Hippocampus, aus.
„Diese Wellen sind eine Art Signal, mit dem sich die Hirnareale gegenseitig bestätigen `ich bin bereit, der Informationsaustausch kann losgehen`. Während des Schlafes herrscht daher ein hohes Maß an Kohärenz zwischen weit entfernten Nervenzellnetzwerken“, erklärt Marc Aurel Busche von der Technischen Universität München.
Ausbreitung der Schlafwellen bei Alzheimer gestört
Wie die Forscher herausfanden, ist bei Alzheimer dieser Kohärenz-Prozess gestört. Für ihre Untersuchungen setzten sie Mausmodelle ein, mit denen versucht wird die Defekte im Gehirn bei Alzheimerkranken nachzustellen. Die Tiere bilden Proteinablagerungen, so genannten β-Amyloid Plaques, die denen von Alzheimerpatienten stark ähneln. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, führen diese Plaques zu Störungen bei den langsamen Schlafwellen. „Die langsamen Oszillationen treten zwar noch auf, sie können sich aber nicht mehr richtig ausbreiten – das Signal für den Informationsabgleich fehlt deshalb in den entsprechenden Hirnbereichen“, fasst Marc Aurel Busche zusammen.
Die Wissenschaftlern konnten darüber hinaus auch die Ursache für diesen Effekt entschlüsseln: Damit sich die Wellen korrekt ausbreiten können, muss ein ausgeklügeltes Gleichgewicht zwischen Anregung und Hemmung der beteiligten Nervenzellen eingehalten werden. Bei den Alzheimer-Mäusen kam dieses Gleichgewicht durch die Proteinablagerungen durcheinander – die Hemmung war vermindert.
Niedrige dosiertes Schlafmittel als mögliche Therapie
Dieses Wissen nutzten Busche und sein Team, um den Defekt medikamentös zu behandeln. Von einer Sorte Schlafmitteln, den Benzodiazepinen, weiß man, dass sie die hemmenden Einflüsse im Gehirn verstärken. Verabreichten die Forscher den kranken Mäusen geringe Mengen des Schlafmittels (etwa ein Zehntel einer Standarddosis), so konnten sich auch die langsamen Schlafwellen wieder ungestört ausbreiten. Wie Verhaltensexperimente zeigten, verbesserte sich durch diese Therapie auch die Lernleistung der Tiere.
Für die Forscher sind die Ergebnisse natürlich erst ein Anfang auf dem Weg zu einer geeigneten Therapie gegen Alzheimer. Diese Erkenntnisse sind jedoch aus zwei Gründen hochinteressant: erstens weisen Mäuse und Menschen ähnliche Schlafoszillationen im Gehirn auf. Das lässt die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse vom Tiermodell auf den Menschen übertragbar sind. Zweitens lassen sich diese Wellen mit einem normalen EEG-Gerät erfassen und somit auch Störungen schon früh diagnostizieren.
Allerdings hat sich schon manches Tiermodell als Flop erwiesen, gerade wenn es Gehirnerkrankungen des Menschen modellieren sollte. Kollegen die sich mit Tiermodellen für Schwerhörigkeit und Taubheit beschäftigt haben, berichteten mir einmal, dass sie nach mehreren Versuchen mit einer angeblich schizophrenen Mausline herausfanden, dass die Maus ganz einfach nur taub war und sich deshalb so merkwürdig verhielt.
Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass nicht jeder Mensch, der Plaques mit β-Amyloid in seinem Gehirn aufweist tatsächlich die Symptome der Alzheimer Erkrankung entwickelt. Das beweist etwa die Nonnenstudie, bei der Nonnen eingewilligt hatten, sich nach ihrem Tod für die Wissenschaft obduzieren zu lassen. Vor ihrem Tod nahem die Schwestern an umfangreichen Tests teil, mit denen ihre geistige Fitness erfasst wurde. Wie sich zeigte, fanden sich auch bei geistig sehr regen, hochbetagten Schwestern große Mengen von β-Amyloid Plaques. Demnach sind diese wahrscheinlich kein guter Indikator für eine Altersdemenz und damit wäre auch das von den Forschern verwendete Mausmodell ungeeignet, um die Ursachen einer Altersdemenz zu erforschen. (Anmerkung der Redaktion von Scimondo)
Technische Universität München, 22.10.2015
Originalpublikation:
Marc Aurel Busche, Maja Kekuš, Helmuth Adelsberger, Takahiro Noda, Hans Förstl, Israel Nelken und Arthur Konnerth, Rescue of long-range circuit dysfunction in Alzheimer’s disease models, Nature Neuroscience, 12. Oktober, 2015. DOI: 10.1038/nn.4137