Ohne Köpfchen würden Schimpansen nicht satt

Weiblicher Schimpanse beim Verzehr von Grewia-Früchten. © M. Colbeck

Weiblicher Schimpanse beim Verzehr von Grewia-Früchten.
© M. Colbeck

Im Urwald ist der Tisch für Schimpansen alles andere als reich gedeckt. Mit Ihrer vorwiegend pflanzlichen Ernährung und ihrem, für Pflanzenfresser, einfachen Magen satt zu werden stellt die Tiere täglich vor neue Herausforderungen. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, ihr relativ großes Gehirn mit genügend Energie zu versorgen. Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam, das abgeschätzt hat, wie viele junge Blätter und unreife sowie reife Früchte unseren nächsten Verwandten im Regenwald zur Verfügung stehen. So konnten die Forscher ermessen, wie schwierig es für Schimpansen ist, diese Nahrung zu finden, und vorauszusagen, wo, wann und in welcher Menge sie an einzelnen Bäumen zu finden ist. Schimpansen haben daher verschiedene Strategien entwickelt, um sich den Zugang zu den energiereichsten, jedoch nur kurzfristig verfügbaren Nahrungsquellen zu sichern.

Tropische Regenwälder und ihre Verbreitung haben auf die Evolution der Primaten einen großen Einfluss, denn die meisten von ihnen nähren sich von Früchten und Blättern dieser Wälder. Im Gegensatz zu vielen anderen Affen können Menschenaffen jedoch keine Pflanzenteile verdauen, die über eine „chemische Abwehr“ verfügen. Damit kommen für sie die meisten vollentwickelten Blätter und einige Samen als Nahrung nicht in Frage. Sie sind auf energiereiche Nahrungsquellen, wie junge Blätter oder reife Früchte angewiesen. Finden die Tier nicht genügend Obst, so hat dies weitreichende Konsequenzen: Dann bekommen etwa weibliche Schimpansen Probleme bei der Fortpflanzung, besonders der Empfängnis, und der Mangel wirkt sich auch negativ auf andere Lebensbereiche der Tiere aus.

Weiblicher Schimpanse beim Verzehr von Grewia-Früchten sowie eine Auswahl von Regenwaldfrüchten, die von Schimpansen in Uganda, der Elfenbeinküste und Gabun verspeist werden. © K. Janmaat, S. Metzgar, M. Colbeck, Z. G. Bi, J. Head

Weiblicher Schimpanse beim Verzehr von Grewia-Früchten sowie eine Auswahl von Regenwaldfrüchten, die von Schimpansen in Uganda, der Elfenbeinküste und Gabun verspeist werden.
© K. Janmaat, S. Metzgar, M. Colbeck, Z. G. Bi, J. Head

Karline Janmaat vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und ihre Kollegen haben nun die Daten von drei Langzeitstudien zusammengefasst, die sich über einen Zeitraum von fünf bis 20 Jahren erstreckten. Die Forscher wollten damit herausfinden, wann Schimpansen in drei Regenwäldern in Ost-, Zentral- und Westafrika Obst zur Verfügung steht und wie schwierig es für sie ist, die energiereichen jungen Blättern und Früchten zu finden. Ihr besonderes Augenmerk lag dabei auf Bäumen mit reifen Früchten. Wobei die Futterpflanzen selbst zwar im Regenwald sehr häufig vorkommen, ihre Früchte jedoch zu unterschiedlichen Zeiten reif werden.

Nahrungssuche im Regenwald entpuppt sich als schwierig

Den Forschern zufolge ist es für die Schimpansen 17-mal schwerer an reifes Obst zu gelangen, als an unreifes. Reifes Obst ist für die Tiere so wichtig, weil es das energiereichste Nahrungsmittel für sie darstellt. Darüber hinaus waren Bäume, die große Mengen an reifen Früchten trugen, neunmal seltener als andere Bäume: In unberührten Wäldern stießen die Tiere, wenn sie einfach geradeaus liefen, durchschnittlich nur alle zehn Kilometer auf einen großen Bestand reifer Früchte, in Monaten mit Obstknappheit sogar auf gar keinen.

„Als ich sah, wie Schimpansen ihre Nester vor Sonnenaufgang verließen und andere Tiere überholten, um sich energiereiche Nahrung zu sichern, wurde mir klar: Das Bild von Fülle, den riesige Obstbäume und üppiges Blätterwerk vermitteln, ist eine Illusion“, sagt Janmaat. „Dank der Ergebnisse aus dieser einzigartigen Kooperation von Wissenschaftlern können wir jetzt erklären, warum Schimpansen bei der Suche nach Futterquellen strategisch vorgehen müssen. Außerdem können wir dank der Resultate testen, wie schlau Schimpansen im Vergleich zu anderen Primaten mit weniger komplexen oder kleineren Gehirnen sind.“

Darüber hinaus stellten Janmaat und ihre Kollegen fest, dass sich einzelne Bäume gravierend in ihrem Ertrag unterschieden. Manche trugen mehr als sieben Mal so viel reifes Obst wie andere Bäume derselben Art. Doch die Bäume unterschieden sich auch in dem Zeitraum, während dem sie über mehr als 50 Prozent reife Früchte verfügten: Bildete im Taï-Wald einer der Sarcocephalus pobeguinii Bäume mehr als die Hälfte seines Hauptertrags in nur vier der 53 Monate des Beobachtungszeitraumes, so produzierte ein anderer Vertreter seiner Art im selben Zeitraum nur geringe Mengen an Obst (weniger als 50 Prozent). Da die Erträge mancher Baumarten stärker schwanken. als andere, müssen Schimpansen vermutlich wissen, wieviel Obst einzelne Bäume bestimmter Arten in vergangenen Saisons produziert haben. Das hilft ihnen dabei, die Bäume auf ihren Patrouillen auszulassen, die höchstwahrscheinlich leer sind.

Als die Forscher ermittelten, wie viel Nahrung für Schimpansen im Regenwald vorhanden war, stellten sie überrascht fest, wie selten diese ist.  Immer wieder kamen sie zum selben Ergebnis:  ‚Junge Blätter: null, unreifes Obst: null, reifes Obst: null‘“, sagt Ko-Autor Leo Polansky. „So viele Nullen stellen statistische Ökologen vor eine Herausforderung. Doch für diejenigen, die große Mengen Obst sammeln müssen, um zu überleben, ist die Herausforderung ungleich größer.“

Intelligente Strategien zur Nahrungssuche

Um Perioden von Obstknappheit besser zu überstehen, nutzen Schimpansen Werkzeuge, mit denen sie energiereiche Nüsse knacken oder Bienenstöcken Honig entnehmen. Darüber hinaus setzen sie ihr hoch entwickeltes Gehirn auch ein, um andere Tiere bei der Ausbeute der leicht zugänglichen und kurzlebigen Früchte “ausstechen“. So gelingt es den Tieren etwa Futterbäume zu generalisieren oder zu klassifizieren, sich an die ungefähre Menge und Häufigkeit der Obsterträge vergangener Jahre zu erinnern und die Rückkehr zu bestimmten Futterbäumen flexibel zu planen. Auf diese Weise können sie die Ausbeute einzelner Bäume optimieren und ihre Wanderrouten von einem Baum zum nächsten effektiv gestalten.

„Bisher dachten wir, dass unsere Vorfahren an Intelligenz zulegen mussten, als sie die Wälder verließen, weil das Leben in der Savanne so hart war. Diese Ansicht berücksichtigt aber nicht die Intelligenz unserer nächsten lebenden Verwandten, der Schimpansen. Die neue Studie zeigt, dass es schwieriger ist, als bisher angenommen, im Regenwald reifes Obst zu finden“, sagt Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Max-Planck-Gesellschaft, 21. Januar 2016

Originalpublikation:

Karline R. L. Janmaat, Christophe Boesch, Richard W. Byrne, Colin A. Chapman, Zoro B. Goné Bi, Josephine S. Head, Martha M. Robbins, Richard W. Wrangham, and Leo Polansky. Spatio-temporal complexity of chimpanzee food: How cognitive adaptations can counteract the ephemeral nature of ripe fruit. American Journal of Primatology; 21 January, 2016. DOI: 10.1002/ajp.22527

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