Raben können sich in ihre diebischen Artgenossen hineinversetzen

Forscher der Universität Wien testeten die Fähigkeit von Raben, sich in andere hineinzuversetzen © Jana Müller, Universität Wien.

Forscher der Universität Wien testeten die Fähigkeit von Raben, sich in andere hineinzuversetzen © Jana Müller, Universität Wien.

Raben sind dazu in der Lage sich vorzustellen, was andere Raben sehen können. Das konnten Kognitionsbiologen nun belegen. Demnach sind auch Tiere zu einer so genannten „Theory of Mind“ fähig, wie die Universität Wien berichtet.

Seit Jahren versuchen Forscher herauszufinden, ob auch Tiere über eine sogenannte „Theory of Mind“ verfügen. Dabei hoffen sie vor allem bei Schimpansen, Affen und Rabenvögeln fündig zu werden. Doch die bisherigen Experimente hatten alle den gleichen Schwachpunkt: Sie waren so aufgebaut, dass sich die Tiere auch an den Kopf- oder Augenbewegungen ihrer Artgenossen orientieren konnten. Daher war nicht klar, ob die Tiere nur gute Beobachter waren und sich nicht wirklich in den Blickwinkel ihrer Artgenossen hineinversetzten.

Raben versteckten ihr Futter nur dann gut, wenn dominante Artgenossen im Nachbarraum sichtbar und gleichzeitig hörbar waren. © Jana Müller, Universität Wien.

Raben versteckten ihr Futter nur dann gut, wenn dominante Artgenossen im Nachbarraum sichtbar und gleichzeitig hörbar waren. © Jana Müller, Universität Wien.

Dieses Problem versuchten Thomas Bugnyar und sein Team von der Abteilung für Kognitionsbiologie an der Universität Wien zu vermeiden. Bei ihren Experimenten mit Raben nutzten sie deren Verhalten Futter vor diebischen Artgenossen zu verstecken. Denn sieht sich ein Rabe von einem dominanten Artgenossen beobachtet, so versucht er seine Futterverstecke vor ihm zu verbergen: Wenn er gerade dabei war ein Versteck anzulegen, als der andere Rabe aufkreuzte, beeilt er sich damit, möglichst schnell damit fertig zu werden und den Ort zu verlassen. Oder er vergräbt sein Futter hinter einem Sichtschutz, so dass das Versteck für den beobachtenden Raben nicht einsehbar ist. Ein anderes Mal wartet er einfach ab, bis der Beobachter sich wieder verzogen hat. Neue Verstecke legt ein Rabe erst dann wieder an, wenn er sich nicht mehr beobachtet fühlt.

Für ihre Experimente setzten die Forscher einen Raben in ein Zimmer das von einem anderen Zimmer durch eine Holzwand getrennt war, in der sich verschließbare Fenster befanden. In dem Nebenraum befand sich ein dominanter potentieller Futterdieb, den der Versuchsrabe durch die Fenster sehen konnte. Wie erwartet verhielt sich der Rabe in dem Versuchsraum beim Verstecken seines Futters entsprechend vorsichtig. Wurden die Fenster zwischen den beiden Räumen geschlossen, so legte das Versuchstier ein unbekümmertes Verhalten an den Tag.

Die Fensterklappen enthielten auch Gucklöcher, die verschließbar waren. Die Forscher brachten nun dem Versuchsraben bei durch die offenen Gucklöcher zu spähen, wenn ein Mensch in dem anderen Raum Futter versteckte. Anschließend durfte der Rabe das Futter im Nebenraum ausfindig machen. Als nächstes spielten die Forscher dem Versuchsraben Laute von anderen Artgenossen über ein Tonband aus dem Nebenraum vor und beobachtete, wie sich die Tiere gegenüber ihren Futterverstecken verhielten. Und nun bewiesen die Raben, dass sie sich in die Sichtweise ihrer Artgenossen versetzen können, ohne diese wirklich direkt zu sehen: Waren die Gucklöcher offen, verhielten sich die Versuchsraben jeweils genauso vorsichtig, wie wenn sie einen Artgenossen tatsächlich durch die offenen Fenster sehen konnten. Bei geschlossenen Gucklöchern dagegen versteckten die Tiere unbesorgt ihr Futter.

„Unsere Studie zeigt, dass Raben ihr Futter nur dann gut verstecken, wenn sie andere Raben im benachbarten Raum hören und wenn ein Guckloch zu diesem Raum offen ist. Da die Raben in diesem Fall keine Artgenossen sehen können, sie aber trotzdem reagieren, als ob sie gesehen werden, kann ihr Verhalten nur über ein Verständnis der Sichtweise der anderen erklärt werden“, erläutert Thomas Bugnyar.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Raben die akustische Information mit ihrer eigenen Erfahrung geistig verbinden können © Jana Müller, Universität Wien.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Raben die akustische Information mit ihrer eigenen Erfahrung geistig verbinden können © Jana Müller, Universität Wien.

„Die Ergebnisse legen nahe, dass Raben die akustische Information über die Anwesenheit anderer Raben mit ihrer eigenen Erfahrung, dass man durch das Guckloch schauen kann, geistig verbinden können, was mit einer der gängigen Hypothesen übereinstimmt, wie ‚Theory of Mind‘ funktionieren könnte“, so Bugnyar weiter. „Die Arbeit zeigt auch, wie fruchtbar Diskussionen mit Kollegen von anderen Disziplinen sein kann“, ergänzt der Kognitionsbiologe, „da die Idee zu dieser Studie erst durch regelmäßige Treffen mit Philosophen, vor allem unserem Koautor Cameron Buckner, zustande gekommen ist“.

von Ute Keck

Originalpublikation:

Thomas Bugnyar, Stephan A. Reber & Cameron Buckner: „Ravens attribute visual access to unseen competitors“. Nature Communications. February 2, 2016. Doi: 10.1038/ncomm10506

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