Jeden Herbst ziehen unzählige Singvögel in wärmere Gefilde. Da die Tiere nachts fliegen müssen sie dazu ihren Biorhythmus umstellen. Bislang glaubte man, dass sich die Vögel allmählich an den veränderten Rhythmus anpassen. Diese Annahme beruht jedoch auf dem Verhalten von in Gefangenschaft lebenden Tieren. Forscher, die das Abflugverhalten von Amseln in freier Natur beobachtet haben, konnten nun zeigen, dass die Vögel tatsächlich keinerlei Anpassung an den neuen Rhythmus brauchen. Sie schalten vielmehr bei ihrem Abflug auf Nachtaktivität um.
Mitten in der Nacht zu einer Reise aufzubrechen fällt den meisten von uns schwer. Wenn tagaktive Singvögel wie die Amseln in einer Herbstnacht ihre weite Reise in wärmere Gefilde antreten, müssen auch sie zu ungewohnter Zeit starten: In einer klaren Nacht zwischen Dämmerung und Mitternacht ziehen sie los. Dafür müssen sich die tagaktiven Tiere auf einen Nachtrhythmus umstellen. Forscher um Jesko Partecke vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell fragten sich, wie es den Zugvögeln gelingt ihren Rhythmus anzupassen. Sie wollten wissen, ob die Vögel über eine längere Zeit hinweg immer unruhiger werden oder ob sie sich erst dann umstellen, wenn sie losfliegen.
Bisher versuchten Ornithologen das Zugverhalten an Vögeln in Gefangenschaft zu untersuchten. Die in Käfigen gehaltenen Tiere zeigten sich während der Zugphasen im Herbst und Frühjahr nachts ungewöhnlich unruhig, hüpften ständig hin und her und flatterten aufgeregt herum. Das deuteten die Forscher als Zeichen, dass die Vögel bereit waren zu ziehen.
Unruhiges Verhalten ist schwer zu deuten
Doch da die in den Käfigen gehaltenen Vögel nicht wegfliegen konnten, war nie klar, an welchem Tag der genaue Abflugtag lag. Deshalb war auch nicht sicher, ob die steigende Zugunruhe der Tiere in Gefangenschaft tatsächlich der Einstimmung auf die große Reise diente.
Diese Frage konnte nur durch die Beobachtung frei lebender Vögeln geklärt werden. Doch bis vor kurzem ließ sich die Aktivität von Singvögeln in freier Wildbahn nicht über einen längeren Zeitraum messen. Denn dazu war die Technik noch nicht genügend miniaturisiert. Sie war für die fliegenden Leichgewichte schlicht zu groß und schwer und konnte auch nicht genügend Daten speichern.
Erst die Miniaturisierung von Radio-Telemetrie-Geräten konnten diese Lücke schließen. Die inzwischen nur noch 2 Gramm schweren Messgeräte werden dazu wie ein Rucksack auf dem Rücken der Vögel angebracht. Doch nicht alle Mitglieder einer Zugvogelpopulation zieht im Winter gen Süden. Manche Tier verbleiben auch an ihrem Standort. Zur Überraschung der Forscher unterscheidet sich die Tag- und Nachtaktivitäten der Tiere, die sich auf die Reise begeben und derer die am Standort bleiben in den Tagen vor der Abreise nicht. Sie zeigen keinerlei Zugunruhe. Erst mit dem Abflug schalten sie ihren Lebensrhythmus um. „Die Amseln starten von einem Tag auf den anderen durch, von null auf hundert: Plötzlich müssen sie nachts los und die folgenden Nächte durchmachen. Dabei sind es eigentlich tagaktive Vögel“, sagt Jesko Partecke.
Begleitung auf dem Weg in den Süden
Als nächstes wollen die Forscher herausfinden, welche Route die Amseln auf ihrem Weg in den Süden nehmen. Zur Zeit herrscht wieder Aufbruchstimmung: Ein Teil der mitteleuropäischen Amseln begibt sich wieder auf die Reise nach Südfrankreich. Diesmal wird Partecke sie begleiten. In ihrem „Rucksack“ tragen die Vögel diesmal Luftdrucksensoren, mit denen sich die Flughöhe ermitteln lässt. „Die Sensoren sollen uns verraten, wie hoch die Amseln fliegen. Fliegen sie über die Berge oder machen sie um sie einen Bogen?“
Eines weiß er allerdings schon jetzt: Es werden mehr Weibchen dabei sein, denn sie sind reiselustiger als ihre männlichen Artgenossen. Die Herren bleiben mehrheitlich lieber zuhause.
Max-Planck-Gesellschaft, 05. Oktober 2016
Originalpublikation:
Daniel Zúñiga, Jade Falconer, Adam M. Fudickar, Willi Jensen, Andreas Schmidt, Martin Wikelski, Jesko Partecke. Abrupt switch to migratory night flight in a wild migratory songbird. www.nature.com/scientificreports; Online-Veröffentlichung 26.September 2016; doi 10.1038/srep34207