Das Dilemma mit der Weisheit

In emotionsgeladenen Situationen in der dritten Person mit sich selbst zu reden kann helfen, die Episode entspannter zu sehen. © Photo Dharma. CC BY 2.0. Wikimedia Commons.

Weisheit ist eine „Eigenschaft“ die sich viele von uns wünschen. Verspricht sie uns doch unsere Probleme souverän zu meistern und zwischenmenschliche Konflikte adäquat zu lösen. Doch wer könnte schon von sich behaupten, weise zu sein. Forscher, die sich seit Jahren damit beschäftigen, wie es um unsere Weisheit bestellt ist, kamen zu einigen erhellenden Erkenntnissen.

Wer kennt das Phänomen nicht: Sollen wir einen Freund bei einem persönlichen Problem helfen ziehen wir alle möglichen, relevanten Aspekte in unsere Überlegungen mit ein. Sind wir dagegen selbst betroffen sind wir mit unserer Weisheit schnell am Ende. Wir reagieren emotional und keineswegs mehr überlegt.

Forscher um Igor Grossmann von der University of Waterloo in Kanada haben genau dieses Phänomen in ihren Tests zu weisem Verhalten immer wieder beobachtet. Wurden die Teilnehmer eines Tests etwa danach gefragt, wie sie reagieren würden, wenn sie ihr Partner betrügt, reagierten sie sehr emotional. „Da wäre bei mir sofort Schluss.“ „Alles Vertrauen wäre zerstört.“ „Ich könnte Ihr niemals verzeihen.“

Sollten sich die Probanden dagegen überlegen, wie sie einen Freund oder eine Freundin beraten würden, die von ihrem Partner betrogen wurde nahmen sie eine differenziertere Sicht auf das Problem ein. So meinten sie etwa: „Er sollte sie fragen, wie und warum es dazu gekommen ist und welche Rolle er selbst dabei spielte.“  „Hat er sie schon länger betrogen? Wenn ja, dann könnte es schwer werden.“ „Wenn er echte Reue zeigt und sie zum ihn stehen will, könnten sie gestärkt aus der Krise hervorgehen.“

Daraus schlossen die Psychologen, dass unsere Gedanken zu dem Problem wesentlich vielschichtiger sind, wenn wir nicht selbst betroffen sind. Dann berücksichtigen wir eher auch die Perspektive des anderen Beteiligten und versuchen sie mit unserer eigenen in Einklang zu bringen. Auch behalten wir die langfristigen Folgen bei der Konfliktlösung eher im Auge. Es kann also durchaus hilfreich sein, bei einem Konflikt mit dem Partner oder natürlich auch bei anderen Konflikten, die Position eines unbeteiligten Beobachters einzunehmen. Oder man sucht den Rat eines guten Freundes oder einer Freundin. Wobei diese jedoch nicht nur die eigene Meinung bestätigen sollten. Sonst wird man nicht weiser aus dem Gespräch herausgehen.

Und wenn wir mit dieser objektiveren Sichtweise auf zwischenmenschliche Konflikte immer wieder Probleme haben, kann uns auch dort die Forschung trösten. Wir sind mit unseren Problemen nicht allen. Grossmann und seine Kollegen fanden bei ihren Untersuchungen immer wieder, dass ein und dieselbe Person mal weiser und mal weniger weise handelte. Wobei diese Schwankungen bei mehreren aufeinander folgenden Tests genauso groß waren, wie die zwischen verschiedenen Personen. Damit scheint Weisheit keine fixe Persönlichkeitseigenschaft zu sein, sondern etwas, was man sich jedes mal wieder neu aneignen muss.

Besonders gut darin, die Sichtweise anderer zu berücksichtigen, sind den Psychologen zufolge Asiaten, wie etwa Japaner. Sie werden schon von Kindesbeinen an dazu angehalten, sich in andere hinein zu versetzen und ihre Perspektive einzunehmen. So sind denn auch bereist junge Japaner in dieser Denkweise trainiert, während Amerikaner erst mit zunehmendem Alter immer weiser werden.

Gleiches gilt für Menschen aus ärmeren Gesellschaftsschichten. Da sie über weniger Mittel verfügen, als Menschen, die in einem reicheren Elternhaus aufgewachsen sind, haben sie früher gelernt die kappen Ressourcen zu teilen. Bei einem Test wurden Fragen gestellt, wie: “Hast Du mal die Perspektive eines Beobachters eingenommen?” “Hast Du versucht den Standpunkt des anderen einzunehmen?” und “Hast Du überlegt, ob Du Dich irren könntest?” Dabei erwiesen sich die weniger gebildeten, die ein geringeres Einkommen und mehr Geldsorgen hatten als doppelt so weise, wie ihre reicheren Mitmenschen.

Mit dem Intelligenzquotienten korrelierte das weise Verhalten dagegen überhaupt nicht. Es scheint demnach nicht nur um logisches Denken zu gehen, sondern vielmehr um die Berücksichtigung aller verschiedenen Aspekte eines Problems.

von Ute Keck, 24. Oktober 2018

Quellen:

Quarks: Mehr Weisheit für alle!

Igor Grossmann « evidence-based wisdom

Does Wisdom Really Come with Age?

The lower your social class, the ‘wiser’ you are, suggests new study

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