Nur wenn unser Gehirn vergessen kann bleibt es flexibel

Chemische Synapse:
Nrets. CC BY-SA 3.0.

Beim Lernen bilden sich in unserem Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen. Je mehr diese neuen Verbindungen genutzt werden, umso mehr verstärkt sich der damit verbundene Wissensinhalt. Wird eine Verbindung dann nach einiger Zeit kaum noch, oder gar nicht mehr genutzt, so verblasst das damit verbundene Wissen. Dabei ist das Vergessen für das Gehirn ein aktiver Prozess, ohne den wir unsere Fähigkeit verlieren, flexibel auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren. Forscher haben nun einen Mechanismus entdeckt, der beim Vergessen eine wichtige Rolle spielt.

Ein zentraler Faktor für die Stärke einer Verbindung zwischen zwei Nervenzellen ist die Zahl der Rezeptoren für Neurotransmitter auf der postsynaptischen Seite der Nervenverbindung. Die Zahl dieser Rezeptoren wird je nach Bedarf erhöht oder gesenkt, wenn die Verbindung verstärkt oder abgeschwächt werden muss. Wenn eine Information, die nicht mehr gültig ist gelöscht werden soll, werden diese Rezeptoren wieder aktiv aus der Membran des postsynaptische Spaltes entfernt. Ein Forscherteam konnte nun zeigen, dass das Calcium-Sensor-Protein Synaptotagmin-3 (Syt3) an die Rezeptoren bindet und sie von der Membran entfernt. Auf diese Weise sorgt das Protein dafür, dass wir einmal gelerntes wieder vergessen können.

Knock-out-Mäuse, denen das Protein Syt3 fehlt können zwar genauso gut lernen, wie Wildtyp-Mäuse. Das untersuchten die Forscher mit Hilfe eines Tests, bei dem die Tiere die Lage einer im Wasser verborgenen Plattform erlernen mussten. Sobald jedoch diese Plattform verschoben wurde, zeigte sich die Schwäche der Knock-out-Mäuse. Während die Wildtyp-Mäuse bald nur noch die neue Plattform anschwammen suchten die Knock-out-Mäuse die rettende Plattform sowohl an der alten, als auch an der neuen Position und vergeudeten damit ihre Energie.

Die Ergebnisse sind für verschiedene neuropsychiatrische und neurodegenerative Erkrankungen relevant. So werden etwa auch bei Alzheimer zu viele Rezeptoren für Neurotransmitter aus der Membran entfernt. Vermutlich geht auch die fehlende Flexibilität von Autisten auf ein Problem beim Vergessen zurück. So ergaben etwa Lerntests mit Fruchtfliegen, dass Gene, die mit Autismus in Verbindung gebracht werden, den Mechanismus des Vergessens betreffen. Und in einem Test, bei dem Probanden gebeten wurden, den Ort eines Reizes anzugeben verhielten sich Autisten beim ersten Durchgang des Experiments genau so, wie die Kontrollpersonen. Sobald der Reizort jedoch geändert wurde, gaben die Autisten weiterhin den anfangs erlernten Ort an.

Lernen und Vergessen bilden daher in unserem Gehirn ein lebenswichtiges Gleichgewicht, das es uns erlaubt, flexibel auf die Veränderungen in unserer Umgebung zu reagieren und mit der Dynamik des Lebens Schritt zu halten.

von Ute Keck, 2. April 2019

Originalpublikation:

Awasthi A, Ramachandran B, Ahmed S, Benito E, Shinoda Y, Nitzan N, Heukamp A, Rannio S, Martens H, Barth J, Burk K, Wang YT, Fischer A, Dean C. Synapto-tagmin-3 drives AMPA receptor endocytosis, depression of synapse strength, and forgetting. SCIENCE, 2019 Jan 4; 363(6422). DOI: 10.1126/science.aav1483

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