Mit RNA-Interferenz den Kartoffelkäfer bekämpfen

Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata): Jede seiner Larven frisst im Durchschnitt 40 bis 50 Quadratzentimeter Blattmaterial. Ein Befall mit Kartoffelkäfern kann zu Ernteverlusten von bis zu 50 Prozent führen, wenn er nicht rechtzeitig erkannt und bekämpft wird. © MPI f. chemische Ökologie /Sher Afzal Khan

Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata): Jede seiner Larven frisst im Durchschnitt 40 bis 50 Quadratzentimeter Blattmaterial. Ein Befall mit Kartoffelkäfern kann zu Ernteverlusten von bis zu 50 Prozent führen, wenn er nicht rechtzeitig erkannt und bekämpft wird.
© MPI f. chemische Ökologie /Sher Afzal Khan

Kartoffelkäfer sind weltweit gefürchtete Landwirtschaftsschädlinge. Da sie in den meisten Anbaugebieten keine natürlichen Feinde haben, werden sie in der Regel mit Pestiziden bekämpft. Inzwischen haben die Insekten jedoch Resistenzen gegen fast alle Wirkstoffe entwickelt. Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass Kartoffelpflanzen durch RNA-Interferenz vor den Käfern geschützt werden können. Dazu veränderten sie die Pflanzen so, dass diese doppelsträngige RNA-Moleküle in ihren Chloroplasten bilden, die gegen Gene des Kartoffelkäfers gerichtet sind.

RNA-Interferenz (RNAi) ist ein natürlicher Mechanismus der Genregulation, mit dem Gene gezielt abgeschaltet werden können. Pflanzen, Pilze und Insekten nutzen RNAi um sich etwa vor bestimmten Viren zu schützen. Bei einer Infektion schleusen die Erreger nämlich ihre Erbsubstanz in Form von doppelsträngiger RNA (dsRNA) in die Zellen ihres Wirts ein, um sich dort zu vermehren. Bei der Vervielfältigung der viralen RNA in der Zelle wird diese durch das RNAi-System erkannt und in kleinere Stücke zerlegt. Die Bruchstücke, sogenannte siRNAs (small interfering RNAs), nutzt die Zelle für die Erkennung und Zerstörung der fremden RNA.

Dieser Mechanismus lässt sich auch künstlich nutzen, indem man dsRNAs in eine Zelle einbringt, die genau zur Boten-RNA (mRNA) eines Zielgens passt. Wählt man als Ziel ein lebenswichtiges Gen eines Schädlings, so wird aus der dsRNA ein sehr präzises und wirkungsvolles Insektizid. Die dsRNAs gelangen über das Verdauungssystem in die Zellen des Insekts und können dort die Produktion des entsprechenden Proteins verringern oder sogar vollständig blockieren.

In der Vergangenheit haben Wissenschaftler bereits Pflanzen so verändert, dass sie dsRNAs gegen bestimmte Insekten produzierten. „Dies hat die Pflanzen aber nicht vollständig geschützt“, erklärt Ralph Bock vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie. „Schuld daran ist das pflanzeneigene RNAi-System, das die Ansammlung größerer Mengen fremder dsRNA verhindert. Als mögliche Lösung dieses Problems erschien uns die Produktion von dsRNA in den Chloroplasten.“ Diese Zellorganellen stammen von ursprünglich frei lebenden Cyanobakterien ab, einer Gruppe von Einzellern, die kein RNAi-System besitzen.

Die Forscher um Ralph Bock entschieden sich deshalb dafür, sogenannte transplastomische Pflanzen herzustellen. Das sind Pflanzen, bei denen nicht das Kerngenom, sondern das Genom der Chloroplasten gentechnisch verändert wird. Als Zielorganismus für die dsRNA wählten die Wissenschaftler den Kartoffelkäfer aus. Die gestreiften Käfer wurden Ende des 19. Jahrhundert von Amerika nach Europa eingeschleppt und können große Schäden in der Landwirtschaft verursachen. Heute sind sie weltweit verbreitet. Neben Kartoffelblättern fressen die Käfer und ihre Larven auch die Blätter anderer Nachtschattengewächse, wie zum Beispiel Tomate, Paprika oder Tabak. „Mit Hilfe der Chloroplastentransformation ist es uns gelungen Kartoffelpflanzen herzustellen, die große Mengen langer dsRNAs stabil in den Chloroplasten anreichern“, so Ralph Bock.

Die Wissenschaftler überprüften die Wirksamkeit von dsRNA als Insektizid am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Sie ermittelten die Sterblichkeit von Larven des Kartoffelkäfers, die neun Tage mit den Blättern unterschiedlicher Kartoffelpflanzen gefüttert wurden. Getestet wurden dabei auch dsRNAs gegen zwei verschiedene Gene des Kartoffelkäfers.

Fütterungsexperiment mit abgetrennten Kartoffelblättern: Dargestellt sind Wildtyp-Blätter im Vergleich mit Blättern einer Pflanze, bei der die DNA der Chloroplasten verändert wurde. Auf diesen Blättern, die täglich durch neue ersetzt wurden, hatten Kartoffelkäferlarven im ersten Larvenstadium an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 24 Stunden lang gefressen. © MPI f. chemische Ökologie /Sher Afzal Khan

Fütterungsexperiment mit abgetrennten Kartoffelblättern: Dargestellt sind Wildtyp-Blätter im Vergleich mit Blättern einer Pflanze, bei der die DNA der Chloroplasten verändert wurde. Auf diesen Blättern, die täglich durch neue ersetzt wurden, hatten Kartoffelkäferlarven im ersten Larvenstadium an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 24 Stunden lang gefressen.
© MPI f. chemische Ökologie /Sher Afzal Khan

„Fressen Larven transplastomische Kartoffelblätter, deren dsRNA gegen das Aktin-Gen des Käfers gerichtet ist, sterben sie innerhalb von fünf Tagen zu 100 Prozent“, erklärt Sher Afzal Khan aus Jena. Das Aktin-Gen codiert die Information für ein Strukturprotein, das für die Stabilität der Zellen unverzichtbar ist. Im Gegensatz dazu sterben die Larven nur selten, wenn sie Kartoffelpflanzen fressen, deren Zellkern gentechnisch verändert wurde. Sie wachsen dann lediglich langsamer.

Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass der Wechsel von der Transformation des Kerngenoms zur Transformation des Chloroplastengenoms die bisher bestehenden Hürden beim Einsatz von RNAi im Pflanzenschutz überwindet. Da Insekten zunehmend Resistenzen gegenüber chemischen Pestiziden und auch biologischen Mitteln wie Bt-Toxinen entwickeln, stellt die RNAi-Technologie eine zukunftsweisende Strategie in der Schädlingsbekämpfung dar. Die Methode ermöglicht gezielten Schutz ohne Chemikalien und ohne die Produktion fremder Proteine in der Pflanze.

Die Krux der Spezifität

Allerdings sollte vor dem Einsatz so veränderter Pflanzen getestet werden, wie schädlich die so veränderten Blätter für andere Organismen oder gar Menschen sind. Denn Aktin beispielsweise ist ein in der Natur weit verbreitetes Strukturprotein, das keineswegs für den Kartoffelkäfer spezifisch ist, sondern bei allen Eukaryonten vorkommt, uns Menschen eingeschlossen. Tatsächlich ist es eines der fünf häufigsten Proteine in Eukaryonten. Die für den Pflanzenschutz gewählten dsRNAs müssen also so gewählt werden, dass sie für den Schädling hoch spezifisch sind und nicht an Aktin-mRNAs anderer Spezies binden können. Wenn diese hohe Spezifität nicht gewährleistet ist, wäre zu erwarten, dass Pflanzenteile, deren Chloroplasten hohe Konzentrationen von gegen Aktin gerichteten dsRNAs enthalten, nicht nur für Kartoffelkäfer, sondern auch für andere Insekten und sogar Säugetiere giftig sein könnten. Man müsste dann möglicherweise sogar damit rechnen, dass Kinder, die die Blätter beim Spielen essen davon geschädigt werden können. Es ist also keineswegs sicher, ob diese neue Technik so unbedenklich ist. (Anmerkung der Redaktion von Scimondo).

Max-Planck-Gesellschaft, 26. Februar 2015

 

Originalpublikation:

Jiang Zhang, Sher Afzal Khan, Claudia Hasse, Stephanie Ruf, David G. Heckel, Ralph Bock. Full crop protection from an insect pest by expression of long double-stranded RNAs in plastids. Science, 27 February 2015. DOI: 10.1126/science.1261680

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