Im Verlaufe der Bronzezeit kam es zu gewaltigen kulturellen Veränderungen. Bisher rätselten Wissenschaftler, ob diese sich durch den reinen Austausch von Techniken und Ideen vollzogen oder mit massiven Wanderungen ganzer Völker einher gingen. Nun haben Forscher in zwei groß angelegten Studien die Genome von Menschen aus der Bronzezeit analysiert und mit denen moderner Europäer und Asiaten verglichen. Demnach haben die Halbnomanden der Jamnaja den Genpool der Europäer wesentlich geprägt. Das kann nur durch massive Wanderbewegungen dieses Nomandenvolkes erklärt werden.
Vor etwa 5000 Jahren entwickelte sich die Technik der Bronzeherstellung. In der vorangegangenen Jungsteinzeit wurde bereits lokal Gold, Silber und Kupfer verarbeitet. Doch erst durch die Erfindung der Legierung von 90% Kupfer mit 10% Zinn gelang es hohe Stückzahlen von metallischen Gegenständen mit großer Härte herzustellen. Um das begehrte Metall in großen Mengen produzieren zu können entwickelte sich eine Arbeitsteilung, die weitreichende soziale Veränderungen der Gesellschaften mit sich brachte. Es bildeten sich Gesellschaftsgruppen heraus, die privilegierten Zugang zu den Ressourcen für die Metallherstellung hatten. Andere übernahmen die Gewinnung und Verarbeitung des Rohmaterials und Händler vertrieben die hoch geschätzten bronzenen Waren. Mit der Zeit bildete sich eine Oberschicht heraus, die besondere Privilegien genoss und vererbbare Führungspositionen einnahm. Die Bronze machte es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte möglich Reichtum in Form von Bronzebarren anzusammeln, denn sie dienten auch als Zahlungsmittel. Gleichzeitig erfanden die Menschen Schwerter mit denen sie kriegerische Auseinandersetzungen bestritten. So kam es zum Aufbau stark befestigter Siedlungen, um sich vor Angriffen mit der neuen Waffentechnologie zu schützen. In Vorderasien, Ägypten, Indien und China entwickelten sich um diese Zeit die ersten Hochkulturen.
Bisher war nicht klar, ob die kulturellen und technologischen Veränderungen der Bronzezeit durch eine langsame, aber kontinuierliche Verbreitung von Menschen, Gütern und Ideen oder durch massive Wanderungen ganzer Völker vorangetrieben wurden. Um diese Frage zu klären haben zwei konkurrierende Wissenschaftlerteams insgesamt 170 DNA-Proben von Menschen analysiert, die zur Bronzezeit in Europa und Asien lebten. Ihre Überreste waren in wichtigen archäologischen Ausgrabungsstätten geborgen worden. Beide Teams kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass vor 5000 bis 4800 Jahren das nomadische Volk der Jamnaja in Europa einzog.
Die ursprüngliche Heimat der Jamnaja liegt im Steppenland zwischen dem schwarzen und dem kaspischen Meer. Vermutlich lebten sie halbnomadisch und zogen im Sommer mit ihren Rindern- bzw. Schafsherden von einer Weide zur nächsten. Im Winter könnten sie in einfachen Grubenhäusern an Fluss- oder Seeufern gewohnt haben, wie Ausgrabungen in Michailovka am unteren Dnjepr nahe legen. Die Jamnaja könnten auch die Quelle der indogermanischen Ursprache sein, von der alle 400 heute noch existierenden indogermanischen Sprachen abstammen. So könnten die Jamnaja binnen weniger Jahrhunderte durch ihre Ausbreitung in Europa eine ähnlich massive kulturelle und sprachliche Wende bewirkt haben, wie die Kolonisierung Amerikas durch die Europäer.
Bei ihrer Wanderung, die in der frühen Bronzezeit, vor etwa 5000 Jahren begann verließen die Jamnaja vermutlich mit von Ochsen gezogenen Planwagen, sogenannten Kibitkas, die ihnen auch als Wohnzelt dienten, die kaukasischen Steppen. Ihre Wagen verfügten lediglich über Scheibenräder, der ältesten Form des Rades, die aus massivem Holz bestanden. Von dort aus wandten sich westwärts nach Nord- und Mitteleuropa. Grund für diesen Exodus könnte ein großräumiger Klimawandel gewesen sein, der damals die Sommer heißer und trockener und die Winter kälter werden ließ. Das Subboreal hatte das bis dahin vorherrschende feuchtwarme Atlantikum abgelöst. Diese klimatischen Veränderungen könnten dazu geführt haben, dass die Herden der Jamnaja in ihrer Heimat nicht mehr genügend Futter fanden und sie deshalb ihre Wanderrouten auf der Suche nach besseren Weidegründen änderten.
Auf ihrem Weg durch Nordeuropa vermischten sich die Jamnaja mit den dort ansässigen Steinzeitmenschen und führten gleichzeitig ihre Kultur ein. Sie stellten die charakteristische Schnurkeramik her. Eine Technik der Keramikherstellung, bei der die Gefäße durch das Eindrücken von Seilen in den noch feuchten Ton verziert wurden. Ihre Verstorbenen setzten sie in Hügelgräbern bei, in denen die Tote in Rücken- oder Seitenlage mit angezogenen Knien bestattet und mit gemahlenem rotem Ocker bestäubt wurden. In manchen Fällen enthielten diese Gräber als Grabbeigabe auch Planwagen. Diese Hügelgräber sind auch für die Mittlere Bronzezeit in Nordeuropa charakteristisch. Der Einzug der Jamnaja veränderte nicht nur die europäische Kultur und vermutlich auch die Sprache. Besonders nachhaltig veränderte er den Genpool der Europäer: Nach der Ausbreitung der Jamnaja glich er in etwa der heutigen europäischen Bevölkerung nördlich der Alpen. Ihre Gene entsprechen zu 75% denen der Jamnaja. Vor der Einwanderung der Jamnaja unterschieden sich die nordeuropäischen Steinzeitmenschen dagegen noch deutlich von den heute dort ansässigen Europäern. Sie ähnelten noch mehr den aus dem mittleren Osten zugewanderten Bauern oder sogar den noch älteren europäischen Jägern und Sammlern.
Die Jamnaja-Nomaden vermittelten den Europäern vermutlich auch das Gen für die Laktosetoleranz, Doch zur Überraschung der Forscher konnten selbst die meisten Jamnaja als Erwachsene noch keine Milch trinken, obwohl sie Rinder und Schafe züchteten. Entgegen bisheriger Vorstellungen war die Laktosetoleranz am Ende der Bronzezeit noch nicht weit verbreitet. Sie muss sich erst später im Laufe der Zeit durchgesetzt haben.
Vor etwa 4000 Jahren entwickelte sich im Kaukasus aus der Jamnaja-Kultur die Sintashta-Kultur. Ihre Mitglieder betrieben Kupferbergbau im großen Stil und verfügten über eine bedeutende Bronzeherstellung. Sie bauten die ersten Streitwagen, die sich schnell in Europa und Asien verbreiteten.
Aber die Jamnaja wanderten nicht nur nach Europa, sondern sie zogen auch nach Osten über den Ural nach Zentralasien und bis ins Altaigebirge, das zwischen der Mongolei, China und Sibirien liegt. Dort ließen sie sich vor rund 3800 Jahren nieder und begründeten die Andronovo-Kultur. Denn wie die Forscher heraus fanden besitzen auch die Mitglieder dieser Kultur europäische Gene. Auch sie entwickelten Streitwagen mit Speichenrädern.
Die Ausbreitung dieser Kulturen bis nach Zentralasien könnte auch erklären, wie es dazu kam, dass eine indogermansiche Sprache wie das Tocharische bis in die zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr. im heutigen China als Schriftsprache belegt ist.
Erst als am Übergang von der Bronze- in die Eisenzeit ostasiatische Völker in Zentralasien ankamen verschwanden die europäischen Gene dort vollständig. Hier kam es nicht zu einer Vermischung der unterschiedlichen Volksgruppen.
Damit prägte die Kultur der Jamnaja und deren Nachfolger über einen langen Zeitraum weite Teile Eurasiens.
Zwar verraten Gene nicht, welche Sprache ihre Träger gesprochen haben. Aber laut den beiden Forscherteams wäre es durchaus denkbar, dass die Jamnaja auf ihren ausgedehnten Wanderungen in Eurasien ihre Sprache mitbrachten. Dabei könnte es sich um die von Linguisten lange gesuchte Indogermanische Ursprache handeln. Sie soll der Ursprung der Indogermnaischen Sprachen sein, die in Europa, Zentral- und Südasien gesprochen werden. Dazu gehören Albanisch, Armenisch, Griechisch, sowie baltische, germanische, indoiranische, italische, keltische und slavische Sprachen und das inzwischen ausgestorbene Anatolisch und Tocharisch.
von Ute Keck
Originalpublikationen:
Allentoft ME1 et al. Population genomics of Bronze Age Eurasia. Nature. 2015 Jun 11;522(7555):167-72. doi: 10.1038/nature14507.
Haak W et al.Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe. Nature. 2015 Jun 11;522(7555):207-11. doi: 10.1038/nature14317. Epub 2015 Mar 2.