Koordinierte Wahrnehmung dank Taktgeber

Geruchsnerv: Bulbus olfactorius und Tractus olfactorius (gelb) © Patrick J. Lynch. CC BY 2.5.

Geruchsnerv: Bulbus olfactorius und Tractus olfactorius (gelb) © Patrick J. Lynch. CC BY 2.5.

In unserem Gehirn müssen ganze Netzwerke von Nervenzellen koordiniert die selbe Aufgabe bearbeiten. Um sich aufeinander einzustellen synchronisieren sie ihre Aktivität. Alle beteiligten Nervenzellen feuern deshalb mit der gleichen Frequenz. Wissenschaftler konnten nun Nervenzellen identifizieren, die als Taktgeber verschiedener Rhythmen dienen: Dabei gibt jeder dieser Zelltypen ein für ihn charakteristisches Schwingungstempo vor.

Nervenzellen, die im Gehirn miteinander kommunizieren, geben ihre elektrischen Signale häufig mit der gleichen Frequenz weiter. Sie haben sich auf einen gemeinsamen Rhythmus eingependelt. Dabei entspricht jeder Hirnleistung eine für sie typische Frequenzen. Folglich bedient sich unser Gehirn bei der Steuerung von Bewegungen einer anderen Frequenz als bei der Wahrnehmung von Gegenständen. Doch wie wird dieser gemeinsame Rhythmus koordiniert? Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben nun im Riechkolben von Mäusen Zellgruppen entdeckt, die den anderen beteiligten Nervenzellen den Rhythmus vorgeben. Dabei ist für jede der zwei untersuchten Frequenzen jeweils ein anderer Zelltyp zuständig. Die Forschungsergebnisse klären, wie im Gehirn koordinierte Rhythmen entstehen und tragen darüber hinaus zum besseren Verständnis von Krankheiten bei, die durch Störungen dieser Rhythmen hervorgerufen werden, wie etwa Epilepsie oder Schizophrenie.

Als Wissenschaftler in den 1920er Jahren zum ersten Mal elektrische Aktivitäten des Gehirns maßen, entdeckten sie, dass die Nervenzellen im Gehirn rhythmisch arbeiten. Wie auf Absprache geben ganze Gruppen von ihnen ihre Signale mit der gleichen Frequenzen weiter, wobei sich diese auch überlagern oder abschwächen können: Mit Hilfe dieser Koordination gelingt es dem Gehirn angemessen auf verschiedene Reize zu reagieren. Nach einer unter Wissenschaftlern weit verbreiteten Hypothese ist der Gleichklang der Rhythmen deshalb notwendig, weil an der Verarbeitung eines Reizes in der Regel mehrere Hirnareale beteiligt sind. Um beispielsweise zu prüfen, ob man eine vorübergehende Person kennt, muss das Gehirn gleich mehrere Verarbeitungsprozesse miteinander koordinieren: Es muss auf die Bewegung der vorbeilaufenden Person reagieren, das auf der Netzhaut entstandene Bild verarbeiten, die Gesichtserkennung aktivieren und diese mit der Erinnerung an bekannte Menschen abgleichen. Um zu verhindern, dass bei der Verarbeitung all dieser Informationen ein heilloses Chaos aus lauter unzusammenhängenden Meldungen entsteht, müssen sich die in den Gesamtprozess eingebundenen Netzwerke von Nervenzellen gewissermaßen aufeinander einpendeln.

Zu häufig im Gleichtakt: Überreaktion der Nervenzellen verursacht epileptische Anfälle

„Diese Hypothese wird derzeit intensiv erforscht. Momentan weiß man weder wie oder wo diese Rhythmen entstehen, noch was sie genau bewirken“, sagt Andreas Schäfer, der inzwischen vom Institut für Anatomie und Zellbiologie des Universitätsklinikums Heidelberg an das National Institute for Medical Research in London gewechselt ist. Nach dieser Hypothese haben Fehler in diesem System gravierende Folgen. Bei Epilepsie etwa synchronisieren sich Hirnareale ohne ersichtlichen Grund. Das führt zu den typischen Krampfanfällen. Auch das Auftreten von Schizophrenie lässt sich mit gestörten Hirnrhythmen erklären: Wobei hier die Koordination der Rhythmen im Stirnlappen des Gehirns gestört ist. Dadurch kommt es bei den Betroffenen unter anderem zu Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Zum besseren Verständnis dieser beiden Krankheiten wäre es hilfreich, wenn man die an diesen Phänomenen beteiligten, fehlgesteuerten Taktgeber kennen würde. Dann könnte man möglicherweise auch bessere Therapien gegen diese Leiden entwickeln.

Modell des olfaktorischen Systems. © Helmut Hinghofer-Szalkay. Medizinische Universität Graz.

Modell des olfaktorischen Systems. © Helmut Hinghofer-Szalkay. Medizinische Universität Graz.

Das Team um Andreas Schäfer erforschte den Ursprung der Gehirnrhythmen an einem überschaubaren Modellsystem, dem Riechkolben von Mäusen. In diesem Hirnareal werden die eingehenden Signale der Geruchszellen verarbeitet, eingeordnet und unterschieden. Die Wissenschaftler schalteten für ihre Experimente einzelne Zellgruppen im Gehirn durch die Bestrahlung mit Licht aus. Dazu verwendeten sie genetisch veränderte Tieren, bei denen sich durch eine optogenetische Methode die Aktivität von bestimmten Zellen vorübergehen ausschalten lässt. Die beiden wichtigsten Signalfrequenzen des Riechhirns stellen die schnellen Gamma- und die deutlich langsameren Thetawellen dar. Wie die Untersuchungen zeigten, werden diese beiden Rhythmen von verschiedenen, bereits bekannten Zellgruppen dieses Gehirnbereichs erzeugt: den Körner-Zellen und den glomerulären Zellen. Ihr Zusammenwirken ermöglicht die Unterscheidung von Gerüchen. „Mit dieser Arbeit haben wir gezeigt, wie unterschiedliche Rhythmen zustande kommen und dass jeweils andere Zelltypen dafür verantwortlich sind“, so Andreas Schäfer. „Das ist ein wichtiger Schritt, um die Signalverarbeitung im Gehirn zu verstehen.“

Universitätsklinikum Heidelberg, 13.10.2014

 

Originalliteratur:

Fukunaga, I., Herb, J., Kollo, M., Boyden, E.S., Schaefer A.T. (2014): Independent control of gamma and theta activity by distinct interneuron networks in the olfactory bulb. Nature Neuroscience 2014 Sep;17(9):1208-16. doi: 10.1038/nn.3760

siehe auch:

Kollo, M., Schmaltz, A., Abdelhamid, M., Fukunaga, I., Schaefer A.T. (2014): „Silent“ mitral cells dominate odor responses in the olfactory bulb of awake mice. Nature Neuroscience 2014 Oct;17(10):1313-5. doi: 10.1038/nn.3768.

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