Computerrekonstruktion des Homo habilis lässt die menschliche Evolution in neuem Licht erscheinen

Das Fossil Olduvai Hominid 7 (OH 7) besteht aus einem Teil des Unterkiefers, Schädel- und Handknochen. © John Reader

Das Fossil Olduvai Hominid 7 (OH 7) besteht aus einem Teil des Unterkiefers, Schädel- und Handknochen.
© John Reader

Einem internationales Forscherteam gelang es nun das Originalfossil von Homo habilis mithilfe modernster bildgebender Verfahren zu rekonstruierten. Die Ergebnisse lassen diesen, bisher stets kontrovers diskutierten, menschlichen Vorfahren jetzt in einem neuen und unerwarteten Licht erscheinen. Die Computerrekonstruktion offenbart, wie Homo habilis sich von anderen frühen menschlichen Arten unterscheidet und dass seine evolutionären Wurzeln vermutlich noch weiter zurück reichen als bisher angenommen.

Im Jahre 1964 entdeckte der Anthropologe Louis Leakey und sein Team die neue Menschenart Homo habilis („geschickter Mensch”). Man betrachtete ihn damals als den frühesten bekannten Vertreter der evolutionären Gattung Homo, zu der auch wir selbst zählen. Im Mittelpunkt stand damals wie heute das Fossil Olduvai Hominid 7 (kurz OH 7): Es besteht aus einem Unterkiefer, Teilen einer Schädeldecke und den Handknochen eines einzelnen Individuums. Diese versteinerten Knochen waren in den 1,8 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten in der Olduvai-Schlucht in Tansania gefunden worden.

In den letzten 50 Jahren versuchten Evolutionsforschung herauszufinden, welche anderen Fossilien ebenfalls zu Homo habilis gehören. Der Zustand des Originalfossils OH 7 stellte dafür jedoch ein Hindernis dar: Der Unterkiefer war verzogen und vom Gehirnschädel waren nur Fragmente des Scheitelbeins erhalten. Die Forscher lösten dieses Problem nun mit Hilfe modernster bildgebender Verfahren. Dazu digitalisierten sie die Fundstücke zuerst mittels Computertomografie (CT), lösten dann die verschobenen Einzelteile voneinander und setzten sie dann wieder virtuell am Computer neu zusammen.

Nach Wochen mühevoller Detailarbeiten überraschte die rekonstruierte Version des Fossils OH 7 die Forscher mit einer unerwarteten Mischung verschiedener Merkmale. Der Unterkiefer hat eine äußerst primitive Form und besteht aus einer langen und engen Zahnreihe, die eher der viel älteren Art Australopithecus afarensis („Lucy“) ähnelt als näher verwandten Arten, wie z.B. Homo erectus. Dagegen zeigt die rekonstruierte Gehirnkapsel von OH 7, dass das Gehirnvolumen von Homo habilis größer war als bisher angenommen und damit dem des Homo erectus ähnelt. Die Forscher konnten nun erstmals den entzerrten OH 7 mit anderen menschlichen Fossilien vergleichen und kamen dabei zu zwei wichtigen Erkenntnissen.

Rekonstruierter Schädel eines Homo habilis basierend auf den Knochen des Fossils OH 7 aus der Olduvai-Schlucht in Tansania. Die transparenten Teile basieren auf dem Schädel des Fossils KNM-ER 1813 aus Kenia, der am Computer so verändert wurde, dass er zum Fossil OH 7 passt. © Philipp Gunz, Simon Neubauer & Fred Spoor

Rekonstruierter Schädel eines Homo habilis basierend auf den Knochen des Fossils OH 7 aus der Olduvai-Schlucht in Tansania. Die transparenten Teile basieren auf dem Schädel des Fossils KNM-ER 1813 aus Kenia, der am Computer so verändert wurde, dass er zum Fossil OH 7 passt.
© Philipp Gunz, Simon Neubauer & Fred Spoor

Zum einen zeigen große Gestaltunterschiede des Unterkiefers zwischen frühen Fossilien der menschlichen Linie, dass vor 2,1 bis 1,6 Millionen Jahren drei verschiedene menschliche Arten nebeneinander existierten: Homo habilis, Homo erectus und Homo rudolfensis. „Komplexe statistische Analysen zeigen Gestaltunterschiede zwischen den Unterkiefern verschiedener Frühmenschenarten, die manchmal so groß sind wie die Unterschiede zwischen Schimpansen und heute lebenden Menschen”, sagt Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der an der aktuellen Studie maßgeblich beteiligt war. In der Vergangenheit unterschied man frühe Arten der Gattung Homo vor allem anhand ihres unterschiedlichen Gehirnvolumens. Wie die neuen Untersuchungen jedoch ergaben, lassen sich die drei verschiedenen Arten nicht anhand ihres Gehirnvolumens voneinander unterscheiden, sondern vielmehr durch ihre verschiedenen Gesichter.

Darüber hinaus liefern die Ergebnisse neue Einblicke in die evolutionären Ursprünge der menschlichen Linie. Bisher gingen Forscher davon aus, dass ein 2,3 Millionen Jahre altes Fossil aus Äthiopien (der Fund mit der Nummer AL 666-1) entweder einem Vorfahren oder frühen Repräsentanten der Art Homo habilis gehörte. Anhand der neuen Daten ist aber jetzt davon auszugehen, dass die Gestalt dieses äthiopischen Oberkiefers eher der eines modernen Menschen ähnelt und der Träger des Kiefers damit als Vorfahre des viel ursprünglicheren Homo habilis ausscheidet. Stattdessen scheinen dieses Fossil aus Äthiopien und OH 7 aus Tansania verschiedene evolutionäre Linien darzustellen, die sich vermutlich vor 2,3 Millionen Jahren voneinander getrennt haben. Ihr gemeinsamer Vorfahre war jedoch bis vor kurzem völlig unbekannt.

Computerdarstellung des Unterkiefers von Olduvai Hominid 7 (OH 7) so wie er aufgefunden wurde (die Bruchstücke ... [mehr] © Fred Spoor

Computerdarstellung des Unterkiefers von Olduvai Hominid 7 (OH 7) so wie er aufgefunden wurde (die Bruchstücke wurden farblich markiert, Bild links), in seine Einzelteile zerlegt (Bild Mitte) und nach der Rekonstruktion in seiner ursprünglichen Form (Bild rechts). © Fred Spoor

In der Fachzeitschrift Science berichtet ein anderes Forscherteam zeitgleich mit Spoor und Kollegen über die Entdeckung eines 2,8 Millionen Jahre alten Unterkiefers aus Ledi-Geraru in Äthiopien, welcher nun den frühesten Beleg für die Gattung Homo liefert (Science Express, 5. März 2015). Das neue Fossil LD 350-1 könnte möglicherweise einem Vorfahren von Homo habilis und anderen Arten der Gattung Homo gehört haben. „Die digitale Neuentdeckung von Homo habilis und seinem wahren Aussehen ließ uns Rückschlüsse ziehen, wie sein Vorfahre ausgesehen haben mag — doch bis heute waren keine solchen Fossilien bekannt“, sagt Fred Spoor, der am University College London und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie forscht. „Jetzt tauchte — fast wie bestellt — der Ledi-Geraru-Kiefer auf und liefert uns ein plausibles evolutionäres Bindeglied zwischen Australopithecus afarensis und Homo habilis.”

Max-Planck-Gesellschaft, 4. März 2015

 

Originalpublikation:

Spoor F, Gunz P, Neubauer S, Stelzer S, Scott N, Kwekason A, Dean MC
Reconstructed Homo habilis type OH 7 suggests deep-rooted species diversity in early Homo. Nature 519, 83-86 doi:10.1038/nature14224

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