Das Gedächtnis benötigt im Hippocampus keine dauerhaften Synapsen

Nervenzelle im Hippocampus: Die baumförmigen Verästelungen der Zelle sind mit kleinen Auswüchsen besetzt, den synaptischen Dornen. Auf diesen Dornen sitzen die Synapsen, mit denen die Zelle mit anderen Nervenzellen in Verbindung steht. © MPI f. Psychiatrie / A. Attardo

Nervenzelle im Hippocampus: Die baumförmigen Verästelungen der Zelle sind mit kleinen Auswüchsen besetzt, den synaptischen Dornen. Auf diesen Dornen sitzen die Synapsen, mit denen die Zelle mit anderen Nervenzellen in Verbindung steht.
© MPI f. Psychiatrie / A. Attardo

Der Fall des berühmten Patienten Henry Molaison revolutionierte die Hirnforschung. Er konnte sich nach seiner Hirnoperation im Jahr 1953 nicht mehr an neue Erlebnisse erinnern. Verantwortlich für diesen gravierenden Gedächtnisausfall war der Verlust eines nur kleinen Bereiches im Gehirn – des Hippocampus. Er ist dafür verantwortlich, neu gewonnene Eindrücke im Langzeitgedächtnis zu speichern. Forscher konnten nun zeigen, dass dendritische Dornen und Synapsen im Hippocampus von Mäusen nur so lange bestehen, bis die Erinnerungen von dort ins Langzeitgedächtnis übertragen wurden.

Im Jahr 1953 verlor Henry Molaison, besser bekannt als Patient H.M., die Fähigkeit, neue Erinnerungen abzuspeichern. Was war geschehen? Seit seiner Kindheit litt er an heftigen epileptischen Anfällen. In einer „bahnbrechenden“ Operation entfernte man ihm aus beiden Hirnhälften fingergroße Stücke des mittleren Schläfenlappens – darunter große Teile des Hippocampus. Dadurch wurde zwar das primäre Ziel der Operation erreicht: Die epileptischen Anfälle wurden seltener. Aber Henry Molaison konnte nach dem Eingriff keine neuen Erinnerungen mehr in seinem Langzeitgedächtnis speichern. Mittlerweile wissen wir, dass im Hippocampus verschiedenste Informationen zusammenfließen, verarbeitet und dann zur dauerhaften Speicherung an die Großhirnrinde zurückgeschickt werden. Der Hippocampus ist also die zentrale Schaltstelle von der aus Erinnerungen aus vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Das wusste man zu Henry Molaison Zeiten tragischerweise noch nicht.

Doch wie genau funktioniert die Verarbeitung im Hippocampus auf zellulärer Ebene? Seit 2008 arbeitet der Neurowissenschaftler Alessio Attardo und sein Team am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie daran, diese Frage zu klären.

Nervenzellen kommunizieren miteinander über sogenannte Synapsen: spezialisierte Strukturen die sich auf fingerartigen Ausstülpungen befinden, den dendritischen Dornen. Wenn zwischen zwei Nervenzelle ständig Signale ausgetauscht werden, stabilisieren sich die beteiligten Synapsen und dendritischen Dornen zwischen den Zellen. „In den Gehirnbereichen, die für das Langzeitgedächtnis zuständig sind, gibt es stabile und kurzlebige dendritische Dornen. Stabile speichern Erinnerungen ein Leben lang. Kurzlebige werden dann stabilisiert, wenn neue Informationen hinzukommen“, erklärt Alessio Attardo. „Wir dachten uns, dass das im Hippocampus anders sein muss, weil hier Erinnerungen nur vorübergehend verarbeitet werden.“

Ihre Vermutung bestätigte sich: Mit Hilfe von neuesten Mikroskopiertechniken und komplexen mathematischen Modellen fanden sie Belege dafür, dass die Synapsen auf den dendritischen Dornen des Hippocampus einer Maus nur etwa 30 Tage bestehen bleiben. Das entspricht genau der Zeit, die benötigt wird, um Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis zu überführen.

Max-Planck-Gesellschaft, 22. Juni 2015

 

Originalpublikation:

Attardo A, Fitzgerald JE and Schnitzer MJ. Impermanence of dendritic spines in live adult CA1 hippocampus Nature; 22 June, 2015. doi:10.1038/nature14467

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