Gleichgewichtsorgan: Sensitivität passt sich während Bewegung an

Das knöcherne Labyrinth im Innenohr des Menschen. © public domain.

Das knöcherne Labyrinth im Innenohr des Menschen. © public domain.

Wenn wir joggen bewegen sich sowohl unser Kopf und als auch unser Körper stark hin und her, trotzdem wird uns dabei nicht schwindelig, wie etwa bei einer Achterbahnfahrt. Das verdanken wir unserem Gleichgewichtsorgan. Es sorgt dafür, dass sich unsere Kopf- und Augenbewegungen während des Laufens unbewusst an die Bewegung unseres Körpers anpassen. Dazu müssen unsere Haarsinneszellen im Innenohr kleinste wie auch große Bewegungen richtig erfassen, um eine angemessene Gegenbewegung einzuleiten.

Wissenschaftler von der Universität München konnten nun erstmals zeigen, wie das Rückenmark die Empfindlichkeit der Haarsinneszellen an den jeweiligen Bewegungsreiz anpasst. „Wir haben gar keine Empfindung dafür, was Bewegung wirklich ist, weil unsere Gleichgewichtsorgane sofort gegensteuern. Das Innenohr hält uns im Gleichgewicht, ohne dass wir uns dessen bewusst sind“, sagt Boris Chagnaud von der Universität München.

Am Beispiel von Kaulquappen untersuchten die Forscher, wie es den Haarsinneszellen im Innenohr gelingt, sowohl kleine als auch große Bewegungen wahrzunehmen und für eine passende Gegenbewegungen zu sorgen. Kaulquappen sind ein gutes Modellsystem zur Erforschung des Gleichgewichtsorgans, denn ihr Vestibularapparat funktioniert nach demselben Prinzip wie bei uns Menschen. Die wesentlichen Bestandteile, wie die Haarsinneszellen und das Rückenmark, sind sehr ähnlich aufgebaut.

Für Ausgleich sorgende Impulse

Sobald sich die Kaulquappe durch Schwimmen fortbewegt senden Nervenzellen in ihrem Rückenmark elektrische Impulse. „Durch die Entladung der Neuronen wird die Sensitivität im Innenohr während der Fortbewegung heruntergefahren“, sagt Boris Chagnaud. So können die Haarsinneszellen die großen Reizamplituden wahrnehmen, die beim Schwimmen im Innenohr entstehen und entsprechende Signale auszusenden, um eine angemessene Gegenbewegung auszulösen.

Dieser Prozess wird über das Rückenmark gesteuert. Bereits bevor die Muskeln die nächste Bewegung einleiten schickt es Signale an die sogenannten efferenten Neuronen im Hirnstamm. Damit kündigt es an, auf welche Bewegung sich das Gleichgewichtsorgan einstellen muss. „Das Feedforward-Prinzip ist entscheidend, um die Sensitivität der Haarsinneszellen auf die nächste Bewegung vorzubereiten“, sagt Chagnaud. „Das Rückenmark übt eine direkte Kontrolle auf die Sensitivität unseres Gleichgewichtsorgans aus. Das zeigt nicht nur, wie wichtig die Interaktion zwischen motorischen und sensorischen Systemen ist, sondern auch, wie wichtig das Zusammenspiel verschiedener neuronaler Komponenten – in diesem Fall von Rückenmark und Hirnstamm – ist. Die Evolution hat somit einen sehr eleganten Weg gefunden, wie sich die Auswirkungen von Bewegungen auf unseren Körper nicht nur vorhersagen, sondern gleichzeitig auch kompensieren lassen.“

Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, ob alle Haarsinneszellen im Innenohr auf die gleichen Reize reagieren oder ob es verschiedene Haarsinneszellen gibt, die sich jeweils darauf spezialisiert haben langsame oder schnelle Bewegungen zu registrieren.

Ludwig-Maximilians-Universität München, 04.09.2015

 

Originalpublikation:

Boris P. Chagnaud, Roberto Banchi, John Simmers, Hans Straka. Spinal corollary discharge modulates motion sensing during vertebrate locomotion. Nature Communications, 2015; 6: 7982 DOI: 10.1038/ncomms8982

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