Funktionslose DNA-Abschnitte dienen der Evolution als Spielwiese

Die "Minimaus" Mus mattheyi ist eine besonders klein Mausart, die die Forscher am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie auf ihre Genexpression untersucht haben. Genau wie bei anderen Säugetieren werden 95% des Genoms nicht in Proteine übersetzt. © MPI für Entwicklungsbiologie

Die „Minimaus“ Mus mattheyi ist eine besonders klein Mausart, die die Forscher am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie auf ihre Genexpression untersucht haben. Genau wie bei anderen Säugetieren werden 95% des Genoms nicht in Proteine übersetzt.
© MPI für Entwicklungsbiologie

Nicht jeder Abschnitt unseres Genoms kodiert für ein Gen. Manche DNA-Bereiche werden zwar abgelesen und in RNA übersetzt, können jedoch nicht in ein funktionierendes Protein umgewandelt werden. Durch einen Vergleich des Genoms der Hausmaus Mus musculus mit dem ihrer Verwandten haben Forscher nun entdeckt, dass aus diesen zunächst funktionslosen DNA-Abschnitten in kurzer Zeit neue Gene entstehen können.

Mäuse sind bei Forschern beliebt, weil sich mit ihrer Hilfe Fragestellungen zu Verhalten oder Genetik beantworten lassen. Neben der im Labor oft eingesetzten Hausmaus Mus musculus gibt es noch 39 weitere Arten ihrer Gattung. Während sich die Gattung Mus vor zehn Millionen Jahren herausbildete, entwickelte sich die Hausmaus erst vor 500.000 Jahren als eigenständige Art. Neue Arten entstehen oft durch die Veränderung bereits existierender Gene. Vor drei Jahren haben Forscher des Max-Planck-Instituts in Plön jedoch herausgefunden, dass viele Gene komplette Neuentwicklungen und nicht nur abgewandelte Kopien älterer Gene sind.

Die Forscher verglichen in ihrer neuen Studie das Erbgut verschiedener Mäusearten und konzentrieren sich dabei auf Regionen, die keine Gene enthalten. Bei manchen Arten werden viele dieser Bereiche abgelesen und in RNA umgeschrieben, in anderen dagegen nicht. Die Forscher analysierten die RNA-Moleküle verschiedener Geweben von zehn Mäusearten und verglichen sie mit den Molekülen, die in einer „Referenzmaus“ vorkommen. Als Referenzmaus diente eine Labormaus der Art Mus musculus. Das Genom dieser Labormaus ist den Forschern im Detail bekannt.

Die Forscher untersuchten für jede Mäuseart, welcher Prozentsatz des Genoms in den verschiedenen Geweben in RNA umgeschrieben wird. Dabei fanden sie heraus, dass jede Art insgesamt etwa gleich viel RNA bildet. Wobei jedoch bei jeder Art andere Bereiche abgelesen werden.

Funktionslose DNA-Abschnitte haben Potenzial zum Gen

Wie die Forscher beobachteten, werden nur bei besonders eng verwandten Arten die gleichen nicht-funktionellen RNA-Moleküle abgelesen. Über alle Arten hinweg betrachtet gab es keine Region im Erbgut, die nicht von irgend einer Art in ein RNA-Molekül übersetzt wurde. „Früher haben wir die zusätzlichen Moleküle für fehlerhafte Messungen oder biologischen Müll gehalten, denn wir wussten nicht, wofür diese RNA abgelesen wird. Tatsächlich können diese Transkripte jedoch die Kandidaten für neue Gene sein“, erklärt Rafik Neme vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie. Abgelesene DNA-Abschnitte ohne bekannte Funktion oder Genbezeichnung werden als ,,Protogene‘‘ bezeichnet. Die Forscher gehen davon aus, dass jeder beliebige DNA Abschnitt das Potential zu einem neuen Gen hat, sobald er in RNA übersetzt wird. Entsteht hierbei ein neues Gen mit einer wichtigen Funktion, bleibt es auf Dauer erhalten. Wenn quasi das gesamte Genom potentiell als RNA ablesbar ist, steckt in jedem Abschnitt ein mögliches Protogen.

Evolution verändert die Aktivität im Erbgut: Ein Vergleich zwischen den unterschiedlichen Mausarten zeigt verschiedene Regionen des Erbguts, in denen die DNA abgelesen wird (blau). Dabei sind Abschnitte mit Genen dunkelblau, während Bereiche, die zwar aktiv sind, aber keine Gene enthalten, hellblau dargestellt sind. © MPI für Evolutionsbiologie

Evolution verändert die Aktivität im Erbgut: Ein Vergleich zwischen den unterschiedlichen Mäusearten zeigt verschiedene Regionen des Erbguts, in denen die DNA abgelesen wird (blau). Dabei sind Abschnitte mit Genen dunkelblau, während Bereiche, die zwar aktiv sind, aber keine Gene enthalten, hellblau dargestellt.
© MPI für Evolutionsbiologie

Tatsächlich sind jedoch nicht in jeder Art die gleichen Bereiche aktiv. Sondern viele Bereiche, die bei der einen Art aktiv sind können bei einer anderen Art inaktiv sein. „Wir schließen daraus, dass diese Bereiche relativ leicht aktiviert oder inaktiviert werden können“, sagt Neme.

Nutzlose RNA verschwindet relativ schnell wieder

Im Laufe der Evolution wird in den verschiedenen Geweben unterschiedlich viel RNA abgelesen. Laut den Forschern verändern sich manche RNA-Moleküle innerhalb von ein paar Tausend Jahren schneller als über einen längeren Zeitraum von etwa Jahrmillionen hinweg. Dieses Phänomen erklären sie damit, dass RNA-Moleküle, die keine wichtigen Aufgaben übernehmen, schnell wieder verloren gehen. So gibt es denn auch Bereiche, deren Aktivität zwischen nahe verwandten Arten besonders stark variiert. Manche variieren sogar auf Populationsebene.

Das gesamte Genoms kann also sehr leicht in RNA umgeschrieben werden. Damit wird jeder Teil des Erbguts im Laufe der Evolution irgendwann abgelesen. „Das Erbgut besteht folglich komplett aus Genen und Protogenen“, so Neme. „Das weit verbreitete Umschreiben in RNA ermöglicht, dass die Protogene permanent getestet werden, ob sie als neue Gene taugen.“

„Der molekulare Apparat zum Ablesen und Umschreiben von DNA bringt die Entstehung neuer Gene zwangsläufig mit sich. Jeder Teil des Genoms, in dem keine Gene zu finden sind, könnte deswegen irgendwann wichtig werden“, so Diethard Tautz, Direktor am Plöner Max-Planck-Institut.

Max-Planck-Gesellschaft, 7. März 2016

 

Originalpublikation:

Rafik Neme, Diethard Tautz. Fast turnover of genome transcription across evolutionary time exposes entire non-coding DNA to de novo gene emergence. eLife 2016; 10.7554/eLife.09977

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