Bereits präkolumbianische Völker prägten den Amazonaswald

Kultivierter Urwald: Menschen prägten die Pflanzenwelt im Amazonasbecken, wie etwa im Staatswald von Humaitá im brasilianischen Bundesstaat Amazonas, stärker als bislang angenommen. Denn sie domestizierten wie hier zum Beispiel Acai-Palmen (Euterpe spp.) und sorgten für deren Verbreitung.
© Carolina Levis

Das Amazonasgebiet ist für viele ein Sinnbild für unberührte Wildnis. Doch bevor die Spanier nach Südamerika gelangten sollen dort rund zehn Millionen Menschen gelebt haben. Das blieb nicht ohne Folgen: Die präkolumbianischen Völker kultivierten zahlreiche Nutzpflanzen, die dort bis heute eine wesentliche Rolle spielen. Die Regenwälder Amazoniens waren also in vorkolumbianischer Zeit alles andere als unberührte Urwälder. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam.

Bereits vor etwa 8000 Jahren begannen die Völker Amazoniens, Pflanzen wie den Paranussbaum, den Kakaobaum oder die Kohlpalme zu domestizieren. Allerdings war bislang unklar, in welchem Ausmaß die Ureinwohner den Wald tatsächlich veränderten, etwa indem sie manche Bäume gezielt anbauten oder deren Samen über große Gebiete verbreiteten. Ein internationales Team um Carolina Levis vom Brasilianischen Nationalinstitut für Amazonasforschung (INPA) untersuchte daher die Häufigkeit von 85 Baumarten, die von den präkolumbianischen Völkern etwa als Nahrungsquelle oder Baumaterial genutzt wurden. Dazu analysierten die Forscher Daten des „Amazon Tree Diversity Network“ (ATDN). In dieser Datenbank ist der Bestand von Baumarten auf gut tausend Untersuchungsflächen im Einzugsgebiet des Amazonas gespeichert.

Domestizierte Arten sind weiter verbreitet als erwartet

Das Team stellte fest, dass 20 der 85 domestizierten Arten im gesamten Amazonasbecken weit verbreitet sind und große Teile des Waldes dominieren. Bereits 2013 identifizierten die Forscher insgesamt 4962 verschiedene Baumarten auf den Untersuchungsflächen des ATDN. Nur 227 dieser Arten waren weit verbreitet. Während also nur fünf Prozent aller Baumarten im Amazonasbecken häufig vorkommen, sind von den domestizierten Arten etwa 24 Prozent oft anzutreffen. Der Anteil der weit verbreiteten domestizierten Arten war damit fünfmal höher, als zu erwarten gewesen wäre, wenn der Mensch nicht eingegriffen hätte.

„Die Studie liefert für viele Baumarten tatsächlich Aufschluss über deren Verbreitung durch den Menschen, etwa bei Bertholletia, der Paranuss“, erklärt Florian Wittmann, der bis 2016 für das Max-Planck-Institut für Chemie in Manaus in Brasilien forschte und seit 2016 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) tätig ist. Genetische Studien ergaben, dass sich das Erbgut der Paranussbäume im gesamten Amazonasgebiet kaum voneinander unterscheidet. Dies deutet auf eine Verbreitung durch den Menschen hin. Da die genetische Vielfalt bei Arten, die sich auf natürliche Weise im Regenwald verbreiten, normalerweise größer ist. Bei anderen Bäumen, wie etwa dem Kakaobaum, müssen die Forscher noch genauere Untersuchungen durchführen, um ihre Annahme zu überprüfen.

Menschen prägten den Amazonaswald bereits in vorkolumbianischer Zeit

Noch heute kommen gerade in der Nähe von archäologischen Fundstellen besonders viele, verschiedene domestizierte Bäume vor. Die amerikanischen Ureinwohner umgaben demnach wohl ihre Siedlungen mit für sie nützlichen Bäumen und veränderten so die Ökosysteme zu ihren Gunsten. So prägten sie den Amazonas-Regenwald bereits vor der Ankunft der Spanier. „Wohl kaum ein Wald in Amazonien ist unberührt“, ist Florian Wittmann überzeugt. „Schätzungen gehen davon aus, dass vor der europäischen Kolonisation gut zehn Millionen Menschen dort lebten.“

Wittmann arbeitet seit langem eng mit brasilianischen Forschern zusammen und betreut mehrere Untersuchungsflächen des „Amazon Tree Diversity Network“. Neun davon, die sich ungefähr 150 Kilometer nordöstlich der tief im Regenwald gelegenen brasilianischen Millionenstadt Manaus befinden, flossen in die aktuelle Studie ein. Diese jeweils einen Hektar großen Untersuchungsgebiete liegen in der Nähe des Forschungsobservatoriums ATTO (Amazon Tall Tower Observatory). Mit Hilfe dieses 325 Meter hohen Turms wollen brasilianische und deutsche Forscher vor allem Klimafragen untersuchen. „Es geht darum, welchen Einfluss der Regenwald auf das Klimageschehen hat, und wie umgekehrt die Atmosphäre den Regenwald beeinflusst“, berichtet Wittmann.

Eingriffe der Ureinwohner sind nicht vergleichbar mit heutiger Zerstörung

Die Forscher überwachen deshalb nicht nur die Atmosphäre, sondern auch den Wald: So haben sie denn auf ihren Untersuchungsflächen alle Bäume markiert, die jeweilige Art bestimmt, sowie Durchmesser und Höhe der Gewächse ermittelt. Darüber hinaus untersuchten sie den Bodentyp, Nährstoffgehalt und weitere Umweltbedingungen, erstellten Wachstumsmodelle und berechneten die gesamte Biomasse auf den Versuchsfeldern.

Den Forschern zufolge sind auch diese Waldstücke nicht mehr im Urzustand. „Es gibt auf unseren Flächen zwar nur wenige Individuen der Arten, die in unserer Publikation als domestiziert beschrieben werden“, sagt Wittmann. Da sich ATTO aber in Flussnähe befinde, müsse davon ausgegangen werden, dass die umliegenden Wälder nicht menschenleer waren. Denn die indigenen Völker siedelten vor allem entlang der Flussläufe.

Der Eingriff der Ureinwohner Amazoniens in präkolumbianischer Zeit sei allerdings in keiner Weise mit der Zerstörung des Regenwaldes in den vergangenen Jahrzehnten vergleichbar. „Die industrielle Nutzung hat bereits eine Million Quadratkilometer vernichtet“, sagt Florian Wittmann. Das entspricht der dreifachen Fläche Deutschlands und etwa 20 Prozent des gesamten amazonischen Regenwaldes. „Es ist dringend notwendig, die verbleibenden Flächen noch besser zu schützen“, mahnt der Forscher.

Max-Planck-Gesellschaft, 2. März 2017

Originalpublikation:

Carolina Levis et al. Persistent effects of pre-Columbian plant domestication on Amazonian forest composition. Science, 3. März 2017. Vol. 355, Issue 6328, pp. 925-931. DOI: 10.1126/science.aal0157

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