Minoer und Mykener stammen aus der Ägais

Die Minoer auf Kreta und die Mykener auf dem griechischen Festland entwickelten die erste Schrift Europas. Sie sind die kulturellen Vorfahren des klassischen Griechenlands. Forscher haben lange gerätselt in welcher Beziehung die Minoer und die Mykener zueinander standen. Genetische Untersuchungen kommen nun zu dem Ergebnis, dass die Minoer aus der Ägäis stammen und nicht etwa aus einer fortschrittlicheren, entfernt gelegenen Region einwanderten. Die Vorfahren der Minoer und Mykener lebten im neolithischen Westanatolien und Griechenland. Wobei beide Gruppen sowohl miteinander als auch mit den modernen Griechen eng verwandt sind.

Das Stierspiel-Fresko im minoischen Palast von Knossos auf der griechischen Insel Kreta (Das Original befindet sich im Archäologischen Museum Iraklio, auf Kreta.)
© Lapplaender, CC BY-SA 3.0. Wikimesia Commons.

In der griechischen und europäischen Geschichte kommt den Minoern und Mykenern eine besondere Bedeutung zu. Entwickelten doch die Minoer, die  zwischen 2600 und 1100 vor unserer Zeitrechnung auf Kreta lebten, die erste Schrift Europas, Linear A. Diese Schrift sowie die ebenfalls auf Kreta verwendete Hieroglyphenschrift harrt bis heute ihrer Entschlüsselung. Deshalb sind die Ursprünge der dazugehörigen Sprache nach wie vor rätselhaft. Es handelt sich dabei vermutlich nicht um indoeuropäische Schriften und sie unterschieden sich deshalb vom frühen Griechisch. Später zwischen 1700 und 1050 vor unserer Zeitrechnung bildete sich auf dem griechischen Festland die mykenische Kultur heraus.  Sie breitete sich nach und nach auch auf nahegelegene Inseln, einschließlich Kreta aus. Ihre Linear-B-Schrift ist eine Frühform der griechischen Schrift.

Tontafel mit Linearschrift A aus dem Palast von Zakros, Archäologisches Museum von Sitia, Kreta, Griechenland. © Olaf Tausch. CC BY 3.0. Wikimedia Commons.

Trotz der zahlreichen archäologischen Funde fragen sich die Forscher bis heute, wo die Minoer herkamen. Sollten sich ihre kulturellen Innovationen, wie ihre Schrift, die weitläufigen Palastkomplexe und andere beeindruckende Kunstwerke isoliert auf Kreta entwickelt haben? Nicht wenige Forscher konnten sich dies nicht vorstellen und vermuteten daher, dass die Minoer aus einer weiter entfernten, höheren Gesellschaft in die Ägäis eingewanderten. Während die Mykener auf dem griechischen Festland an die minoische Technik und deren Kultur anknüpften. Es war jedoch unklar, in welcher Verbindung die beiden Gruppen zueinander standen. Deshalb stelle sich ein internationales Forscherteam die Frage, ob sich die Minoer und Mykener genetisch voneinander unterschieden. Wie sie miteinander verwandt waren. Wer ihre Vorfahren waren. Und in welcher Verbindung sie zu den modernen Griechen stehen.

Um diese Frage zu beantworten, verglichen die Forscher die Genome von 19 Individuen: Darunter Minoer, Mykener, ein vom griechischen Festland stammendes steinzeitliches, sowie ein bronzezeitliches Individuum aus Südwestanatolien. Darüber hinaus bezogen sie in ihre Untersuchungen früher veröffentlichte Sequenzdaten von fast 3.000 anderen Menschen mit ein, die sowohl aus früheren Epochen, als auch aus der modernen Zeit stammen. So gelang es den Forscher die Beziehungen zwischen den Gruppen aufzuklären.

Mit einem überraschenden Ergebnis: Demnach wanderten die Minoer nicht aus einer entfernten Zivilisation ein, sondern waren Einheimische, die von den ersten neolithischen Bauern Westanatoliens und der Ägäis abstammen:  Bonzezeitliche Minoer, Mykener und ihre anatolischen Nachbarn teilten drei Viertel ihrer genetischen Abstammung mit einer jungsteinzeitlichen Bevölkerungsgruppe Anatoliens. Der Rest ähnelte weiter östlich im Kaukasus und im Iran beheimateten Bevölkerungsgruppen. Bisher nahm man an, dass diese östlichen Abstammungslinien durch Hirtenvölker der Steppen aus dem Norden nach Europa gelangten, die selbst ebenfalls östlicher Abstammung waren.

Bisher unbekanntes Migrationsereignis?

Neben der engen Verwandtschaft zwischen Minoern und Mykenern stellten die Forscher jedoch auch einige Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen fest. So teilen etwa die Minoer mit den Mykenern eine gemeinsame östliche Abstammung, nicht jedoch deren Beimischung nördlicher Steppenvölker. Demnach könnte das östliche genetische Erbe aus dem Kaukasus und dem Iran mindestens in einigen Fällen eigenständig nach Europa gelangt sein. Vielleicht durch eine bisher unbekannte Wanderungsbewegung. Die Migration der Steppenhirten aus dem Norden gelangte folglich bis auf das griechische Festland, erreichte jedoch nicht die Minoer auf Kreta. „Gerade angesichts der Tatsache, dass das griechische Festland und Kreta in der Bronzezeit kulturell aufs Engste miteinander verwoben waren, erstaunt es doch, dass sich beide Populationen genetisch so klar differenzieren lassen“, ergänzt Philipp Stockhammer von der Ludwig-Maximillians-Universität München.

Damit ist geklärt, wann die östlichen und nördlichen Vorfahren in etwa in Griechenland eintrafen. Da sich bis zum Endneolithikum rund 4100 vor unserer Zeitrechnung keine Spuren der beiden Volksgruppen in Griechenland nachweisen lassen muss die Vermischung, die die Forscher beschireben haben, wahrscheinlich zwischen dem vierten und zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung stattgefunden haben. Um den Zeitpunkt noch genauer bestimmen zu können, sind allerdings noch weitere Proben aus umfassenderen Zeiträumen und geografischen Regionen erforderlich.

Moderne Griechen eng mit Mykenern verwandt

Moderne Griechen weisen einige zusätzliche Vermischungen mit anderen Gruppen auf und sind damit weniger eng mit den neolithischen Anatoliern verwandt. Dafür ähneln sie genetisch mehr den Mykenern der Bronzezeit. Das lässt vermuten, dass es eine hohe Bevölkerungskontinuität in Griechenland gab, diese jedoch nicht isoliert war.

„Es ist bemerkenswert, wie beständig die Abstammung der ersten europäischen Bauern in Griechenland und anderen Teilen Südeuropas ist. Das heißt aber nicht, dass die Bevölkerungsgruppen dort vollständig isoliert lebten. Vor der Zeit der Minoer und Mykener gab es mindestens zwei weitere Migrationsbewegungen in der Ägäis und später zusätzliche Vermischungen. Die Griechen waren immer im Wandel begriffen und erwarben im Laufe der Jahrhunderte genetische Anteile aus verschiedenen Migrationsereignissen, was aber das genetische Erbe der Bevölkerungsgruppen aus der Bronzezeit nicht ausgelöscht hat”, erklärt Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School, Erstautor der Studie.

Max-Planck-Gesellschaft, 2. August 2017

Originalpublikation:

Iosif Lazaridis et al. Genetic origins of the Minoans and Mycenaeans, Nature, DOI: 10.1038/nature23310.

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