Das antike Großreich der Perser kennen wir als übermächtigen Gegner der griechischen Stadtstaaten. Erobert und begründet wurde es von Kyros dem Großen. Über ihn wurde in der Antike meist ausgesprochen positiv berichtet. Sowohl der griechische Geschichtsschreiber Herodot, als auch die jüdischen Priester beschreiben ihn als legendären Helden. Doch wie kam es zu dieser ausgesprochen positiven Berichterstattung eines Fürsten, der ein solch großes Weltreich eroberte?
Um 843 v. Chr. betraten die indoeuropäischen Reiternomaden der Parsa die Bühne der Weltgeschichte, festgehalten in den Annalen des Assyrerkönigs Salmanassar III. Sie lebten in der Persis, einer Region in der Nähe des Zagrosgebirges am Urmiasee. 653 v. Chr. drangen die Skythen und Kimmerer, zwei Reiternomadenvölker, in das unter assyrischer Herrschaft stehende Mederreich ein und trieben die Persa nach Anshan, in das Reich der Elamer, das ebenfalls zum neo-assyrischen Reich gehörte und östlich des Tigis lag. Dort regierte Teispes als erster persischer König.
Über fünf Jahrhunderte hinweg hatten die Assyrer mit ihrer ausgefeilten Kriegsmaschinerie und ihrer Skrupellosigkeit die Region in Angst und Schrecken versetzt. Mit ihren besiegten Gegnern gingen sie nicht zimperlich um. Die Führungspersönlichkeiten wurden nach dem Sieg über eine belagerte Stadt grausam gepfählt, niedergemetzelt oder als Sklaven in Assyrien verkauft. Gleichzeitig siedelten sie oft die verbleibende Zivilbevölkerung in andere Gebiete ihres großen Reiches um. Es sind allein 20 Massendeportationen bekannt, bei denen insgesamt eine halbe Million Menschen in das Kerngebiet Assyriens verschleppt wurden. Da diese Menschen für die Assyrer wertvolle Arbeitskräfte darstellten, sorgten sie dafür, dass diese wohlbehalten an ihrem Ziel ankamen und Familien nicht getrennt wurden. Diese Menschen gingen in der Folge in der Bevölkerung ihres neuen Heimatlandes auf.
Die Grausamkeit der Assyrer spiegelt sich in einer Inschrift wider, mit der der assyrische König Assurbanipal die Zerstörung des Elamischen Reiches 647 v. Chr. feierte:
Susa, die große heilige Stadt, Heimat ihrer Götter, Sitz ihrer Mysterien, eroberte ich, drang in ihre Paläste ein, öffnete ihre Schatzkammern, wo ihr Silber und Gold, ihre Güter und ihr Reichtum aufbewahrt wurden… Ich zerstörte den Zikkurat (Tempelturm) von Susa. Ich zertrümmerte ihre glänzenden Kupferhörner. Ich minderte ihre Götter zu einem Nichts herab; ihre Götter and Göttinen zerstreute ich in alle Winde. Die Grabmahle ihrer alten und neuen Könige verwüstete ich. Ihre Knochen setzte ich der Sonne aus und brachte sie fort in das Land Assur. Ich zerstörte die Provinz Elam und säte auf ihrem Land Salz.
Zwar war die Zerstörung Elams nicht ganz so redikal, wie von Assurbanipal beschrieben. Die Herrscher der damaligen Zeit ließen ihre Siege gerne als absolut feiern, was jedoch zum Glück so gut wie nie der Fall war. Doch von dieser Niederlage sollte sich das alte Elam nie wieder erholen. In der Folge kam es zu einer Vermischung der aufstrebenden Macht der Perser mit der elamischen Kultur.
Als der assyrische König Assurbanipal 627 v. Chr. starb, kam es zu einem Machtkampf um seine Nachfolge. Möglicherweise spielte bei der folgenden Schwächung des assyrischen Reiches auch eine Dürre eine nicht unwesentliche Rolle. Hatte doch Assyrien eine große Zahl von Gefangenen in sein Land verschleppt. Und so wurden die vorhandenen Nahrungsmittelvorräte im massiv gewachsenen Ninive, der Hauptstadt des Assyerreiches, bald knapp. Schließlich bildeten die Meder, ein den Persern verwandtes und benachbartes Volk, mit den Babyloniern eine Allianz und führten 612 v. Chr. den Untergang des assyrischen Reiches herbei.
Als auch das babylonische Reich mehr mit sich selbst beschäftigt war übernahm 559 v. Chr. der Perserkönig Kyros II von seinem Vater Kambyses I den Thron von Anschan. Damit begann er seinen Aufstieg als regionales Mitglied der medischen Konföderation, der bereits sein Vater angehört hatte.
Doch Kyros strebte nach höheren Zielen. Durch geschicktes Taktieren und Verhandeln brachte er das medische Heer dazu gegen seinen König Astyages zu rebellieren und diesen an Kyros auszuliefern. Auf diese Weise gelang es Kyros ohne Blutvergießen in die Mederhauptstadt Ekbatana einzuziehen, sich deren Reichtümer anzueignen und sie mit nach Anschan zu nehmen. Wie die Nabonid-Chronik berichtet.
Wenig später strebte Kyros nach einer weiteren Ausdehnung seiner Machtsphäre und begann daher ab 549 v. Chr. damit die Fürstentümer und Gebiete, die zu der medischen Konföderation gehörten zu erobern. Hierzu gehörte wohl Parthien und Gebiete südlich des Urmia-Sees im Zāgros-Gebirge.
„Im Monat Nisanu sammelte Kyros, König von Parsu, seine Truppen und überquerte unterhalb von Erbil den Tigris. Im Monat Ajaru marschierte er nach Urartu, tötete den dortigen König und stationierte seine Truppen in einer Festung.“
So berichtet die Nabonid-Chronik über die Eroberung Uratus, einem altorientalischen Reich in Kleinasien, das sich um den Vansee herum erstreckte.
Nach diesen Erfolgen des Kyros, fühlte sich der Lyderkönig Krösus von dem immer mächtiger werdenden Perserkönig bedroht, so überliefert es uns zumindest der griechische Geschichtsschreiber Herodot. Darüber hinaus wollte sich Krösus an den Persern für deren Sturz seines Schwagers Astyages rächen und sein Reich durch einen Sieg über die aufstrebenden Perser vergrößern. Bevor er seine Pläne in die Tat umsetzte, verbündete er sich mit Sparta, dem babylonischen König Nabonaid und Amasis von Ägypten.
Doch war bereits der Beginn seines Unternehmens von einem Verrat überschattet: Hatte Krösus doch dem Eurybatos aus Ephesos eine große Geldsumme anvertraut, um auf der Peloponnes eine Söldnertruppe anzuheuern. Doch Eurybatos verfolgte seine eigenen Interessen, lief zum Perserkönig über und händigte diesem das ihm anvertraute Geld aus. Bevor Körsus seine Offensive gegen die Perser startete, befragte er das Orakel von Delphi. Dieses lieferte ihm eine seiner berühmt, berüchtigten zweideutigen Weissagungen:
„Wenn du den Halys (den Lydischen Grenzfluss) überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören.“
Krösus deutete diese Aussage, typisch menschlich, zu seinen Gunsten. Doch tatsächlich sollte er durch diesen Angriffsfeldzug den Untergang seines eigenen Reiches einleiten.
Als nächstes wandte sich Kyros gegen das massiv befestigte Babylon. Dabei nutzte er geschickt einen inneren Konflikt zwischen dem König Nabonid von Babylon und der verärgerten Marduk-Priesterschaft aus. Denn Nabonid hatte versuchte das Rad der religiösen Geschichte Babylons zurückzudrehen, indem er den alten Göttern wieder mehr Geltung verschaffte. Dadurch brachte er die inzwischen mächtig gewordene Priesterschaft der Marduk Anhänger gegen sich auf, so dass er für zehn Jahr ins Exil nach Tayma gehen musste. Als Nabonid aus seinem Exil zurück gekehrt war drohte der Kyros Babylon zu erobern. Deshalb holte Nabonid die Ischtar-Statue aus Uruk und weitere Götterstatuen nach Babylon, damit diese die Stadt beschützten. Kyros griff geschickt in diesen Konflikt zwischen der Marduk-Priesterschaft und Nabonid ein und bot sich selbst als Regierungsalternative an. Auch behauptete er Nabonid habe die Götterstatuen gegen den Willen der Götter nach Babylon gebracht und damit deren Zorn auf sich gezogen.
Der Perserkönig schloss nun mit dem Sagartier-Fürsten Ugbaru ein Bündnis zur Eroberung Babylons und versprach ihm die Satrapen-Position in der mächtigen Stadt. In Opis am Tigris, der am östlichen Ende der so genannten „Medischen Mauer“ gelegenen Festung erlitt das babylonische Heer eine schwere Niederlage gegen die persisch-medische Allianz. Die Sieger metzelten nach altem Kriegsrecht alle babylonischen Gefangenen nieder und nahmen anschließend die letzte strategische Festung Sippar ohne Gegenwehr ein. Kyros versuchte Nabonid gefangen zu nehmen. Doch dieser war inzwischen geflohen. In der Nabonid-Chronik heißt es dazu:
„Im Monat Taschritu schlug Kyros die Schlacht bei Opis an den Ufern des Tigris. Wegen der Stärke des Heeres von Kyros II. zogen sich die akkadischen Soldaten zurück … Am 15. Taschritu wurde Sippar eingenommen … Kyros II. ließ die Kriegsbeute wegschaffen und die Gefangenen töten … Am 16. Taschritu zogen Ugbaru, Statthalter von Gutium und das Heer des Kyros in Babylon ein.“
Zur Neujahrsfeier im Monat Nisannu 538 v. Chr. verkündete der Perserkönig nach seiner Ernennung zum babylonischen König vor dem Volk seinen Erlass in dem es unter anderem heißt:
19 Der Herr (Kyros), der die wandelnden Toten aus ihrer Not befreite und ihnen Gutes antat, so huldigten sie (das Volk) ihm und verehrten seinen Namen. 20 Ich bin Kyros – der König des Weltreichs, der große und mächtige König, der König von Babylonien, der König von Sumer und Akkad, der König der vier Weltsektoren, 21 Sohn des Kambyses, des großen Königs von Anschan, Enkel des Kyros I., Nachkomme des Teispes – dessen Regierung Bel-Marduk und Nabu liebgewannen. Die (jenseits des Tigris) wohnenden Götter brachte ich zurück. Alle ihre Leute versammelte ich und brachte sie zurück zu ihren Wohnorten. 33 Und die Götter von Sumer und Akkad, die Nabonid zum Zorn der Götter nach Babylon brachte, ließ ich auf Befehl Bel-Marduks in ihren Heiligtümern einen Wohnsitz der Herzensfreude beziehen, 34 mögen diese Götter, die ich in ihre Städte zurückbrachte, 35 Tag für Tag vor Bel-Marduk und Nabu die Verlängerung meiner Lebenszeit befürworten.“
Als Rechenschaftsbericht für die Eroberung Babylons führte Kyros auf dem Kyros-Zylinder folgendes an:
„6 Eine Kultordnung, die sich nicht ziemte, redete er (Nabonid) Tag für Tag und als Bosheit stellte er die festen Opfer ein. 7 Die Verehrung Marduks tilgte er in seinem Gemüt. 8 Seine Untertanen richtete er durch ein Joch ohne Erleichterung zugrunde. 9 Auf ihre Klage ergrimmte der Enlil (oberster Gott, entspricht dem kanaanitischen und damit dem biblischen El) der Götter. 10 Trotz seines Zornes brachte Nabonid die Götter nach Babylon. 11 Nun wandte sich er (Enlil) den Bewohnern von Sumer und Akkad mit Erbarmen zu. 12 Alle Länder musterte er und suchte nach einem gerechten Herrscher. Kyros berief er deshalb zum Herrscher über das gesamte All. 13 Gutium und die Umman-manda unterwarf er seinen Füßen. 14 Marduk, der große Herr, blickte freudig auf seine guten Taten und sein gerechtes Herz. 15 Er (Marduk) befahl ihm (Kyros), nach Babylon zu gehen. Gleich einem Freunde ging er (Marduk) an seiner Seite. 17 Babylon rettete er (Marduk) aus der Bedrängnis. Nabonid, der ihn nicht verehrte, überantwortete er ihm (Kyros). 23 Unter Jubel und Freude schlug ich im Palast des Herrschers in Babylon meinen Königssitz auf. Tag für Tag kümmerte ich mich um die Verehrung von Marduk. 24 Ich ließ dem ganzen Land Sumer und Akkad keinen Störenfried aufkommen. 25 Die Stadt Babylon und alle ihre Kultstätten hütete ich in Wohlergehen. Die Einwohner, die gegen den Willen der dortigen Götter ein nicht ziemendes Joch trugen, 26 ließ ich in ihrer Erschöpfung zur Ruhe kommen. 27 Mich, Kyros, und Kambyses, meinen leiblichen Sohn, sowie alle meine Truppen segnete Marduk, der große Herr. 30 Auf seinen (Marduk) Befehl brachten mir 28 alle Könige, die auf Thronen sitzen, 29 aus allen Weltsektoren, vom oberen Meer bis zum unteren Meer, welche ferne Distrikte bewohnen, alle Könige vom Amurru, die in Zelten wohnen, 30 ihren schweren Tribut, und sie – die 31 Herrscher von Ninive, Aššur, Susa, Akkad, Eschnunna, Der, Zamban und Meturnu bis zum Gebiet von Gutium, der Städte jenseits des Tigris – 30 küssten in Babylon meine Füße.
Kyros lässt sich auf dem Kyros-Zylinder als Auserwählten des obersten Gottes Enlil feiern, der im babylonischen Kult mit Bel-Marduk gleichzusetzen war. Er erklärt, dass er die Stadt nicht geplündert, niemanden bedroht und täglich Marduk gehuldigt habe. Und dass er die Babylonier von ihrem harten Joch befreit habe, das Nabonid ihnen auferlegt habe. Darüber hinaus berichtet er, er habe die Götterstatuen, die Nabonid aus ganz Mesopotamien in Babylon versammelte, mit ihrem Tempelpersonal wieder in ihre Tempel zurück gebracht. So rechtfertigte er seinen Machtanspruch nicht nur gegenüber Babylon, sondern über sein gesamtes großes Reich.
Der Zylinder belegt eindrücklich, dass Kyros einen völlig anderen Anspruch an sich selbst und die Machtausübung eines Königs hatte, als seine assyrischen Vorgänger. Er respektierte die Würde und Bräuche der von ihm eroberten Stadt. Gleichzeitig erweist er sich als glänzender Propagandist, der seinen Widersacher Nabonid schlechter dastehen läßt, als er vermutlich tatsächlich war. Diesen beiden Eigenschaften von Kyros ist es wohl zu verdanken, dass viele spätere Geschichtsschreiber ihn nicht nur als mächtigen, sondern auch gerechten Herrscher darstellten. Und im Alten Testament wird er, ganz, wie auf dem Kyros-Zylinder, als Messias (Gottes Auserwählter) gefeiert, der die Juden aus dem Babylonischen Exil befreite.
von Ute Keck, 16. Oktober 2018
Artikel zum Thema Dürre führte zum Untergang der Assyrer:
Fall of ancient civilization offers climate warning
Artikel im Spiegel zur Relativierung der Legende Kyros:
LEGENDEN Der falsche Friedensfürst
Einen guten Überblick über das Perserreich gibt diese Doku vom Historischen Museum der Pfalz Speyer:
H. Zlotnick-Sivan von der University of Kansas beschreibt in einem interessanten Artikel, wie jüdische Priester die Gestalt des Moses in ihrer charakteristischen Umkehrtechnik anhand der Beschreibung von Herodots Kyros Darstellung entwickelten.
Moses the Persian? Exodus 2, the Other and Biblical Mnemohistory
Hier ein sehr amerikanisch euphorisches Video über das Perserreich: