Forscher haben zwei uralte Milchzähne aus der Grotta di Fumane und aus Riparo Bombrini in Norditalien untersucht und diese modernen Menschen zugeordnet. Wie eine neue Altersbestimmung von Knochen und Kohle aus Riparo Bombrini, sowie bereits veröffentlichte genetische Daten zu dem Fund aus der Grotta di Fumane ergaben, handelt es sich bei den Besitzern der Zähne um die ältesten, wissenschaftlich nachgewiesenen, modernen Menschen in Südeuropa. Sie gehörten vermutlich der archäologischen Kultur des Aurignaciens an und lebten damit zeitgleich mit den letzten Neandertalern. Die Ergebnisse lassen das Zusammenleben von modernen Menschen und Neandertalern in einem neuen Licht erscheinen.
Das Proto-Aurignacien ist eine archäologische Kultur, die vor etwa 42.000 Jahren im Südwesten und südlichen Zentrum Europas auftrat. Sie zeichnet sich durch zahlreiche technische Innovationen bei der Herstellung von Stein- und Knochenwerkzeugen, sowie die Anfertigung vielfältiger, persönlicher Ornamente und Schmuck aus. Das Proto-Aurignacien überschneidet sich zeitlich mit dem Auftreten der letzten Neandertaler. Bisher war unklar, ob moderne Menschen oder Neandertaler die Schöpfer dieser Kultur waren. Diese Frage ist unter anderem auch deswegen so schwer zu beantworten, weil es aus dieser Zeit kaum Funde menschlicher Überreste gibt. Nur an zwei Ausgrabungsstätten hat man menschliche Überreste gefunden, die eindeutig dem Proto-Aurignacien zuzuordnen sind: In Riparo Bombrini in den westlichen Ligurischen Alpen wurde 1976 ein Schneidezahn entdeckt. Und 1992 fand ein Team der Universität Ferrara in der Grotta di Fumane, in den westlichen Lessini-Bergen einen oberen Schneidezahn. Wobei beide Zähne Milchzähne sind.
Stefano Benazzi von der Universität Bologna und Kollegen vom CNR-Institut für Klinische Physiologie aus Pisa erstellten digitale Modelle des Zahns aus Riparo Bombrini und verglichen ihn mit Zähnen des modernen Menschen und des Neandertalers. Um die Eigenschaften der verschiedenen Zahnkronen miteinander zu vergleichen wendeten die Forscher digitale Methoden an. Wobei ihr besonderes Augenmerk der Dicke des Zahnschmelzes galt. Bei ihren Untersuchungen kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass es sich um den Zahn eines modernen Menschen handelt.
Viviane Slon und Kollegen vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie entnahmen dem Zahnfund Fumane 2 mitochondriale DNA und analysierten sie. Laut den Forschern ist das mitochondriale Erbgut typisch für einen modernen, noch keine Landwirtschaft betreibenden Europäer.
Sahra Talamo, die ebenfalls am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie forscht, ermittelte mit der Radiokohlenstoff-Datierung das Alter des Zahns aus Riparo Bombrini: Mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS) ergab sich ein Alter von etwa 40.000 Jahren.
Laut den Forschern sind menschliche Fossilien und insbesondere gut erhaltenen Milchzähne selten. Die umfangreichen Untersuchungen dieser seltenen Funde war nur durch die Zusammenarbeit mehrerer europäischer Forschungseinrichtungen möglich. Erst die technischen Innovationen, wie die hochaufgelöste Computertomografie, digitale Methoden und die Analyse alter DNA, die in den letzten zehn Jahren entwickelt wurden, erlaubten es, die beiden Fossilienfunde in den Stammbaum des Menschen einzuordnen.
Bisher war nicht klar, ob die Kultur des frühen Aurignacien vom Neandertaler oder vom modernen Menschen stammt. Die neuen Erkenntnisse, nach denen die gefundenen Überreste von modernen Menschen stammen werden die Debatte über den Grund für das Verschwinden des Neandertalers neu anheizen. Einer Theorie zufolge könnte der moderne Mensch aufgrund seiner technischen Überlegenheit zum Untergang des Neandertalers beigetragen haben. Dabei könnte es entweder zu direkten Auseinandersetzungen zwischen modernen Menschen und Neandertalern gekommen sein oder der Neandertaler hatte aufgrund der schlechteren Konkurrenzsituation beim Erwerb von Nahrung das Nachsehen. Ob diese Theorie stimmt oder ob andere Faktoren zu seinem Aussterben führten, wie etwa Krankheitsepidemie, denen der Neandertaler weniger gewachsen war, als der moderne Mensch, ist mit den neuen Ergebnissen jedoch immer noch nicht abschließend geklärt.
von Ute Keck
Quelle:
Max-Planck-Gesellschaft, 23. April 2015
Originalpublikation:
S. Benazzi, V. Slon, S. Talamo, F. Negrino, M. Peresani, S.E. Bailey, S. Sawyer, D. Panetta, G. Vicino, E. Starnini, M.A. Mannino, P.A. Salvadori, M. Meyer, S. Pääbo, J-J. Hublin. The Makers of the Protoaurignacian and Implications for Neandertal Extinction. Science; April 23, 2015. DOI: 10.1126/science.aaa2773