Der moderne Mensch hat sich im Laufe von vielen Tausend Jahren an seine Umwelt angepasst. Doch wie verschiedene Varianten seines Erbguts zu dieser Anpassung beigetragen haben, war bisher unbekannt. Um diese Frage zu klären haben Forscher das Erbgut von Menschen untersucht, die vor 45.000 bis 7.000 Jahren in Europa lebten. Die Anpassung an die Umweltbedingungen spiegeln sich in einem gehäuften Vorkommen bestimmter Genvarianten bei Europäern wieder. Die meisten dieser Varianten bestanden bereist bei den frühen Jägern und Sammlern und entwickelten sich nicht erst mit den später auftretenden Bauern. Die Jäger und Sammler, die mehrere Tausend Jahre vor dem Auftreten der ersten Bauern in Europa lebten, waren also bereits optimal an die Umweltbedingungen in Europa angepasst und haben diese Genvarianten an uns heutige Europäer weitergegeben.
Genetisch betrachtet unterscheiden sich einzelne Menschen nur geringfügig voneinander. Zudem haben die meisten dieser Unterschiede keine Auswirkungen auf das Erscheinungsbild oder den Fortpflanzungserfolg. Deshalb ist es schwer herauszufinden, welche Rolle die Anpassung an lokale Umweltbedingungen bei der Entwicklung einzelner, menschlicher Populationen spielt.
Das Genom eines 45.000 Jahre alten modernen Eurasiers aus Ust‘-Ishim in Russland hat Forschern vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie jetzt dabei geholfen, die wenigen genetischen Varianten zu untersuchen, die sich bei Afrikanern und Nicht-Afrikanern besonders häufig unterscheiden. „Als wir das erste Mal von der Entschlüsselung des Ust‘-Ishim-Genoms hörten, waren wir sofort begeistert“, sagt Aida Andrés, die das Forscherteam leitete. „Dieses Individuum ist für uns so wertvoll, weil es Informationen über die genetische Beschaffenheit seiner Population enthält, die kurz zuvor aus Afrika ausgewandert war. Diese Menschen hatten noch keine Zeit, sich an die Umwelt in Europa und Asien anzupassen.“
Für ihre Untersuchungen verglichen die Forscher die Genome von modernen Europäern, Afrikanern und Ostasiaten. Um mehr darüber zu erfahren, wann bestimmte Varianten erstmals auftraten ergänzten sie ihre Daten mit denen von Frühmenschen aus Europa. Dabei entdeckten sie, dass etwa 70 Prozent der Genomvarianten, die sich zwischen Afrikanern und Nicht-Afrikanern besonders häufig unterscheiden, zufällige Veränderungen sind. Sie spiegeln vermutlich die Variation der Erbanlagen einer kleinen Population von Menschen wider, die vor über 50.000 Jahren aus Afrika auswanderte. Weniger als 30 Prozent dieser Varianten traten während oder unmittelbar nach der Besiedlung Europas auf. Diese Varianten befinden sich vorwiegend in Bereichen, die für Proteine kodieren oder die Genaktivität regulieren. Sie könnten ihren Trägern bei der Anpassung an lokale Umweltbedingungen geholfen haben.
Europäer sind genetisch mehr Jäger als Bauern
Laut den Forschern verfügten bereits die frühen Jäger und Sammler über mehr Genvarianten, die sich in Europa schnell ausbreiten, als die später dazu gekommenen Bauern. „Obwohl die Neolithische Revolution mit dem Ackerbau eine bis heute vorherrschende Lebensweise nach Europa brachte, verdanken Europäer die Mehrzahl der genetischen Anpassungen an ihren Lebensraum den Jägern und Sammlern“, sagt Felix Key, Doktorand am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Eine der Eigenschaften, die möglicherweise von Genvarianten der Jäger und Sammler beeinflusst wurde, ist eine blaue Augenfarbe und helle Haut. Diese Varianten waren eine gute Anpassung an Breitengrade mit wenig UV-Licht. Die helle Haut erlaubte den Betroffenen auch bei geringer Sonneneinstrahlung, vor allem im Winter, genügend des lebenswichtigen Vitamin-Ds herzustellen. Und eine blaue Iris könnte sie davor bewahrt haben in der dunklen Jahreszeit ein Winterdepression zu entwickeln.
Andrés sieht in dieser Forschung ein großes Potential: “Die Untersuchung sowohl moderner als auch alter Genome hilft uns dabei, lokale Umweltanpassungen besser zu verstehen. Die Genauigkeit von Studien wie dieser wird weiterhin zunehmen, je mehr alte Genome in hoher Qualität vorliegen.“, so Andrés. „Mit zusätzlichen Daten werden wir sehr wahrscheinlich ähnliche Muster auch auf anderen Kontinenten finden.“
Max-Planck-Gesellschaft, 18. März 2016
Originalpublikation:
Felix M. Key, Qiaomei Fu, Frédéric Romagné, Michael Lachmann and Aida M. Andrés. Human adaptation and population differentiation in the light of ancient genomes. Nature Communications, 18. März 2016, DOI: 10.1038/NCOMMS10775