Sowohl Pflanzen, als auch Insekten speichern Zuckerverbindungen als Energievorräte. Zucker können jedoch auch Teil eines tödlichen Wettstreits zwischen der Pflanze und ihrem Schädling werden, wie Wissenschaftler jetzt herausgefunden haben. Viele Getreidearten und Gräser hängen ein Zuckermolekül an ihre Abwehrstoffe, sogenannte Benzoxazinoide, um sich auf diese Weise selbst vor ihren eigenen Pflanzenschutzmitteln zu schützen. Denn ohne diesen Zuckerrest würden diese auch in der Pflanze ihre volle Toxizität entfalten. Sowie sich ein Insekt Teile der Pflanze einverleibt, spaltet ein pflanzliches Enzym den Zucker ab und aktiviert so das Gift. Wissenschaftler haben nun entschlüsselt, warum diese Pflanzenabwehr bei Raupen der Gattung Spodoptera versagt. Die Forscher fanden im Kot der Insektenlarven Moleküle der pflanzlichen Abwehrstoffe, die eine räumlich anders angebundene Zuckergruppe enthielten. Im Gegensatz zu dem ursprünglichen Pflanzenabwehrstoff lässt sich diese neue Verbindung nicht mehr enzymatisch in ein Gift umwandeln. Mit diesem verkehrten Anhängen des Zuckers gelang den Eulenfalterraupen eine einfache, aber effektive Entgiftung des natürlichen Pflanzenschutzmittles. Durch diesen simplem Trick wurden sie zu sehr erfolgreichen Landwirtschaftsschädlingen.
Viele Pflanzen verteidigen sich gegen ihre Fraßfeinde, indem sie Gifte oder Abwehrstoffe bilden. Aber im Laufe der Evolution haben sich viele Insekten bestens an die pflanzlichen Verteidigungsstrategien angepasst und können sich ungehindert an giftigen Pflanzenteilen gütlich tun. Zur Überwindung der Pflanzenabwehr wenden sie unterschiedliche Methoden an: manche scheiden die schädlichen Stoffe der Pflanzennahrung möglichst schnell wieder aus, andere lagern sie in ihrem Gewebe ein und wieder andere machen sie durch Entgiftung unschädlich. Durch solche Anpassungen ist im Laufe der Evolution eine enorme Insektenvielfalt entstanden. Dabei haben sich viele Insekten auf bestimmte Pflanzen spezialisiert und manche von ihnen treten heute als Schädlingsarten auf, die jedes Jahr die landwirtschaftliche Produktion gefährden.
Da Mais weltweit in großflächigen Monokulturen angebaut wird werden seine Erträge durch viele Schädlinge bedroht, darunter auch Raupen der Gattung Spodoptera. In Nord- und Südamerika ist der Heerwurm Spodoptera frugiperda ein wichtiger Maisschädling, der beträchtlichen Schaden verursacht. Mais wehrt sich wie viele andere Gräser und Getreide mit Chemie. Die Blätter junger Maispflanzen enthalten große Mengen eines Benzoxazinoids namens (2R)-DIMBOA-Glycosid. Die Pflanzen produzieren außerdem noch ein weiteres Enzym, das erst im Darm der Raupen aktiv wird und dort den Zucker von dem DIMBOA-Glycosid abspaltet. Das freie DIMBOA-Molekül, das bei der Spaltung entsteht, hat auf viele Schädlinge eine toxische Wirkung: Die Schädlinge sterben oder hören auf zu wachsen. Dem Heerwurm kann dieses Gift jedoch nichts anhaben.
Forscher um Daniel Giddings Vassão und Jonathan Gershenzon am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie sind jetzt einer bisher unbekannten Entgiftungsstrategie dieser Schädlinge auf die Spur gekommen. Raupen des Heerwurms und zwei weiterer Spodoptera-Arten besitzen in ihrem Darm ein Enzym, das zur Entgiftung des DIMBOA-Moleküls an dieses erneut ein Zuckermolekül anhängt. Der Trick dabei: Um sicher zu stellen, dass der Zucker nicht wieder abgespalten wird hängt das Heerwurm-Enzym den Zuckerrest umgedreht an das DIMBOA-Molekül. Diesen Entgiftungsmechanismus entdeckten die Wissenschaftler durch eine chemische Analyse des Raupenkots. Mit Hilfe von Massenspektrometrie und Kernresonanzspektroskopie fanden die Forscher heraus, dass das Benzoxazinoid aus dem Raupenkot nicht mehr der Substanz aus den Maisblättern entsprach, sondern eine Art Spiegelbild der ursprünglichen Substanz darstellte (nunmehr (2S)-DIMBOA-Glycosid genannt).
„Wir waren überrascht, dass der Unterschied lediglich in der geänderten dreidimensionalen Anbindung der Zuckergruppe besteht. Entscheidend ist dabei, dass das pflanzliche Enzym den Zucker nicht mehr abspalten kann und somit das giftige DIMBOA auch nicht mehr zum Einsatz kommt. Die Eleganz dieses Mechanismus besteht in seiner Einfachheit, aber er schützt die Raupen davor, vergiftet zu werden“, fasst Felipe Wouters, der als Doktorand am Institut die Untersuchungen durchgeführt hat, die Ergebnisse zusammen.
In Brasilien vernichtete der Heerwurm vor dem Anbau von Bt-Mais große Teile der Maisernte. Brasilianische Farmer haben diesen Sommer jedoch eine zunehmende Resistenz des Schädlings gegenüber Bt beobachtet. Das liefert einen weiteren Grund dafür, das Verständnis über die natürlichen Anpassungsmechanismen der Heerwürmer an die pflanzliche Abwehr zu vertiefen. „Wenn wir mehr darüber erfahren, wie ein Darm-Enzym aus dem Heerwurm einen so gefährlichen Schädling gemacht hat, können wir dieses Wissen vielleicht zu unserem Vorteil einsetzen, indem wir beispielsweise das Enzym deaktivieren und die natürliche Maisabwehr vollständig wiederherstellen“, meint Daniel Giddings Vassão.
Die Wissenschaftler wollen jetzt die beteiligten Enzyme und die dafür kodierenden Gene identifizieren, die für den Entgiftungsmechanismus in Spodoptera-Raupen verantwortlich sind. Darüber hinaus werden sie nach ähnlichen Enzymen in verwandten Arten suchen und diese miteinander vergleichen. DIMBOA ist nur eine Verbindung aus einer Vielzahl toxischer Benzoxazinoide, die in Gräsern vorkommen. Ziel der Forschung ist es ein umfassendes Bild des Benzoxazinoid-Stoffwechsels in Insekten zu gewinnen. Es könnte dazu beitragen bessere Strategien zu entwickeln, um Ernteschädlinge in Schach zu halten.
Max-Planck-Gesellschaft, 25. September 2014.
Wouters, F.C., Reichelt, M., Glauser, G., Bauer, E., Erb, M., Gershenzon, J., Vassão, D.G. Reglucosylation of the benzoxazinoid DIMBOA with inversion of stereochemical configuration is a detoxification strategy in lepidopteran herbivores. Angewandte Chemie − International Edition. DOI: 10.1002/anie.201406643